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Anhörung Wehrdienstgesetz im BundestagIn alter Militarismustradition

Militärhistoriker Neitzel nennt das Wehrpflichtgesetz „halbherzig“. Generalleutnant Robert Sieger hält den Regierungsentwurf hingegen für sinnvoll.

Protestaktion gegen die Wehrpflicht von Greenpeace vor dem Bundestag in Berlin am 10. November Foto: Michael Kappeler/dpa
Pascal Beucker

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Pascal Beucker aus Berlin

Sönke Neitzel setzte einen scharfen Ton in der Bundestagsanhörung zum Wehrdienst-Modernisierungsgesetz. Der Entwurf von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sei zwar „zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung, um die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen“, sagte der Militärhistoriker der Universität Potsdam am Montag im Verteidigungsausschuss. Zugleich sei er jedoch „ein weiterer Beleg für die Halbherzigkeiten der deutschen Sicherheitspolitik der letzten dreieinhalb Jahre“ und „ein weiteres Dokument des Zögerns und Zauderns“.

Insgesamt sechs Sachverständige hatte der Verteidigungsausschuss eingeladen. André Wüstner vom Deutscher Bundeswehrverband war wie Neitzel auf Vorschlag der Union mit dabei. Offen schürte er die Angst vor einem bald bevorstehenden Krieg. „Was tun wir, auch in diesem Hause, wenn in zwei Jahren ein Krieg ausbricht und die Bundeswehr nicht kämpfen kann?“, fragte Neitzel. „Für einen raschen personellen Aufwuchs der Bundeswehr wäre die Einführung einer Auswahlwehrpflicht zwingend notwendig“, forderte er.

In alter deutscher Militarismustradition redete Neitzel den Bundestagsabgeordneten ins Gewissen, die „Teil der Zeitenwende, nicht einer Zeitenbremse“ sein sollten. Falls es zu einer militärischen Auseinandersetzung der Nato mit Russlands kommen sollte, „wird man auf Sie schauen“, sagte er. „Man wird Sie fragen, was Sie getan haben.“

Auch Wüstner kritisierte, dass die Bundesregierung beim anvisierten Personalaufbau „auf das Prinzip Hoffnung mit Blick auf die freiwilligen Meldungen“ setze. Er forderte, bereits jetzt einen „Umschaltmechanismus“ im Gesetz zu verankern, falls sich nicht genug Freiwillige meldeten.

Wehrgerechtigkeit in Friedenszeiten: wurscht

Der von der AfD benannte ehemalige Generalleutnant Joachim Wundrak sprach sich dafür aus, die Wehrpflicht direkt wieder einzusetzen. Alle Männer ab dem Jahrgang 2008 sollten für einen dreimonatigen Grundwehrdienst eingezogen werden. Für alle, die den Kriegsdienst verweigern, könne man einen Ersatzdienst von „mindestens neun Monaten“ vorsehen.

Ein weiterer Beleg für die Halbherzigkeiten der deutschen Sicherheitspolitik

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Neitzel und Wüstner sprachen sich hingegen für eine „Auswahlwehrpflicht“ aus. „Wir können nicht zur alten Wehrpflicht zurückkehren“, sagte Neitzel. Denn so groß sei der Bedarf nicht. Dass eine solche Auswahl ein Problem mit der Wehrgerechtigkeit mit sich bringen würde, räumte er zwar ein, befand es aber als nicht besonders relevant. „Historisch betrachtet ist die Wehrpflicht im Frieden nie gerecht gewesen“, so Neitzel. „Sie war immer gerecht im Krieg, weil dann alle Männer, die irgendwie laufen können, in der Armee dienen mussten.“

Generalleutnant Robert Sieger, der Präsident des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr, verteidigte hingegen erwartungsgemäß den vorliegenden Gesetzentwurf. Er ermögliche Be­wer­be­r:in­nen „schon ab einer Dienstzeit von sechs Monaten direkt als Soldatinnen und Soldaten auf Zeit eingestellt zu werden“, sagte Sieger, den die SPD als Sachverständigen vorgeschlagen hatte. Dies sei sinnstiftend und mache „den persönlichen Einsatz für den Schutz der eigenen Heimat greif- und erlebbar“. Zudem steigerten ein höherer Sold und ein Zuschuss zum Führerschein die Attraktivität des Dienstes. Alle Indikatoren wiesen darauf hin, „dass wir in keinem Fall am Ende der Freiwilligkeit stehen“, so Sieger.

Verunsicherung bei jungen Menschen

Und wie sehen das Ganze diejenigen, die es unmittelbar betrifft? Das hätte man gerne von Quentin Gärtner von der Bundesschülerkonferenz erfahren. Doch der blieb leider eine Antwort schuldig. Benannt von den Grünen, zog sich Gärtner darauf zurück, nur immer wieder eine stärkere „Jugendbeteiligung an diesem Prozess“ zu fordern – ohne jedoch irgendeine Position zu beziehen.

„Wir haben uns weder zur Wehrpflicht positioniert noch zu allgemeinen Dienstpflichten“, sagte Gärtner. Aber klar sei, dass es sich bei dem Thema um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handele, die „in einer Verantwortungsgemeinschaft von Staat und eben auch der Generation, die es richten wird, gesehen werden muss“, sagte er in bestem Politikerdeutsch.

Die von der Linkspartei benannte Vorsitzende des Deutschen Bundesjugendrings (DBJR), Daniela Broda, kritisierte, dass der Gesetzentwurf viele junge Menschen verunsichere. „Sie fühlen sich nicht einbezogen, unzureichend informiert und in ihren Zukunftsentscheidungen alleine gelassen“, sagte sie. Der DBJR lehne bereits die in dem Gesetzentwurf festgeschriebene verpflichtende Bereitschaftserklärung ab.

Falls diese trotzdem eingeführt würde, müssten junge Menschen umfassend und ausgewogen über „sämtliche Formen des Engagements für Staat und Gesellschaft“ informiert werden – und zwar ausdrücklich auch über zivile und soziale Möglichkeiten, etwa in den Freiwilligendiensten, im Katastrophenschutz oder im Rettungswesen. Nur auf dieser Grundlage könne eine selbstbestimmte und informierte Entscheidung getroffen werden, so Broda.

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1 Kommentar

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  • Warum gehen eigentlich alle stillschweigend davon aus, dass eine Wehrpflicht die Bundeswehr schlagkräftiger machte?



    von 15 Jahren klang das noch anders: Wehrdienst ist teuer und bringt dem Militär nichts, weil es um Technik und nicht um Soldatenmassen geht.