Angst vor Lieferstopp Russlands: Trotz Krieg fließt das Gas

Politik und Wirtschaft bemühen sich um Entwarnung. Im nächsten Herbst könnte die Versorgung mit Gas aber kompliziert werden – und sehr teuer.

Ein Arbeiter an einer Gaspipeline.

Wird erstmal nicht blockiert: Gaspipeline in der Westukraine (Archivbild) Foto: Pavlo Palamarchuk/ap

BERLIN taz | Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine floss das Erdgas aus Osten am Donnerstag zunächst weiter. Durch die Pipelines Jamal und Nord Stream 1 kamen ähnliche Mengen in Deutschland an wie in den vergangenen Tagen. Das zeigten die Zahlen der Transportfirma Gascade in Kassel. „Aktuell liefern die russischen Vertragspartner die vertragsgemäß zugesagten Gasmengen“, erklärte auch eine Sprecherin des Karlsruher Energieversorgers EnBW.

Etwa 55 Prozent des Erdgases, das Deutschland verbraucht, kommen derzeit aus Russland, 31 Prozent aus Norwegen, 13 Prozent aus den Niederlanden, der Rest aus anderen Quellen. EU-weit beläuft sich der russische Anteil auf etwa 40 Prozent. Eine Unterbrechung infolge des Krieges ist nicht unwahrscheinlich – beispielsweise, weil westliche Sanktionen gegen den russischen Finanzsektor die Bezahlung verhindern oder weil Russland die Exporte nach Europa selbst einstellt.

Ist die hiesige Versorgung dann noch gesichert? „In diesem Winter wird jeder Gaskunde eine warme Wohnung haben“, erklärte Kerstin An­dreae, Chefin des Energieverbandes BDEW, am Donnerstag. Auch der Verband der Gasindustrie sieht keine akute Knappheit. Zwar füllte der russische Konzern Gazprom seine deutschen Speicher während des Sommers weniger als üblich – derzeit beträgt der Stand nur noch 16 Prozent. Aber die Speicher anderer Konzerne sind zu etwa 44 Prozent gefüllt.

Zudem hat sich die EU um kurzfristige Ersatzlieferungen bemüht. Dabei geht es unter anderem um zusätzliche Importe von verflüssigtem Erdgas (LNG) mittels Tankschiffen. Energie­kommissarin Kadri Simson verhandelte in Aserbaidschan und Katar, ihre Amtskollegin Margrethe Vestager mit Nigeria, Kommissionschefin Ursula von der Leyen selbst sprach mit den Regierungen in Marokko und den USA. Einige Schiffe, die für Japan oder Südkorea bestimmt waren, konnten umgeleitet werden.

Sicherheit auch ohne russisches Gas

Wie aber sieht es im kommenden Winter aus? Selbst für diese Situation gibt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) grundsätzliche Entwarnung: „Wir sind in der Lage, die Sicherheit auch ohne die Versorgung aus Russland zu gewährleisten.“ Einerseits könnten die Niederlande ihre Gasexporte erhöhen. Wobei die Ausbeutung des dortigen Gasfeldes bei Groningen eigentlich verringert werden soll, weil sie Erschütterungen und Schäden an Gebäuden verursacht. Zudem wurde 2020 eine neue Pipeline fertiggestellt, durch die Gas aus Aserbaidschan nach Europa gelangt.

Darüber hinaus haben die EU-Mitglieder ihre Hafenkapazitäten für den Import von Flüssiggas seit 2005 verdreifacht. „Rein theoretisch ließe sich ein großer Teil der russischen Lieferungen ersetzen“, sagt Georg Zachmann, Gasmarktexperte beim Brüsseler Thinktank Bruegel.

„Unseren Berechnungen zufolge können die LNG-Terminals der EU pro Woche rund 3,5 Milliarden Kubikmeter anlanden.“ Das würde vorerst die wöchentlich 1,7 bis 1,9 Milliarden Kubikmeter kompensieren, die Russland zuletzt geliefert habe. Ob das auch praktisch klappt, ist aber noch nicht ausprobiert worden. Hinzu kommt, dass das Gasnetz in Europa Schwachstellen aufweist, beispielsweise zwischen Spanien und Frankreich.

Stufenweise Abschaltungen

Für den Fall von Lieferunterbrechungen warnte Eon-Chef Leonhard Birnbaum: „Im nächsten Winter könnte die Energiewirtschaft wahrscheinlich eine Reihe von Industriekunden nicht mehr ohne Weiteres versorgen.“ Zur Vorbereitung auf Extremsituationen verfügen die Verbände der Energiewirtschaft über einen „Leitfaden Krisenvorsorge Gas“. Darin sind stufenweise Abschaltungen für bestimmte Verbrauchergruppen geregelt. Krankenhäuser und Privathaushalte sollen am längsten beliefert werden. Kommt es ganz dicke, würde die Bundesnetzagentur in Bonn die Verteilung staatlich reglementieren.

Sicher ist, dass Krieg, Lieferengpässe und Ausfälle zu höheren Preisen führen – für Gas, aber auch für Öl und Strom. Eon wies am Donnerstag darauf hin, dass man derzeit einen nochmaligen Anstieg sehe – „ausgehend von bekanntlich bereits sehr hohem Niveau“.

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