Angriffe auf Journalisten in Gaza: Presse unter Beschuss
Ein Journalist wurde in Gaza getötet, mehrere verletzt. Das israelische Militär unterstellt Nähe zur Hamas, Quellen vor Ort widersprechen.

Eine Quelle der taz in Chan Yunis bestätigte am Morgen, dass es sich bei dem bombardierten Zelt um ein von Journalisten genutztes improvisiertes Büro gehandelt habe. Mehrere freischaffende Reporter und Fotografen hätten neben dem Krankenhaus rund 30 Zelte aufgeschlagen und gemeinschaftlich Internetzugang und Strom für ihre Arbeit organisiert, nachdem die Büros vieler Medien im Gazastreifen im Laufe des Krieges zerstört wurden. Bei dem zweiten Getöteten, Youssef al-Chisandar, handle es sich demnach nicht um einen Journalisten. „Ich kenne ihn, er hatte nichts mit der Hamas zu tun“, sagte die Quelle. Dem Angriff, so dieselbe Quelle, sei keine Warnung seitens des israelischen Militärs vorausgegangen.
Die israelische Armee bestätigte am Montag den Angriff und teilte mit, er habe Hassan Eslaiah gegolten, der bei dem Angriff verletzt wurde. Dieser habe „getarnt als Journalist“ für die Hamas gearbeitet. Er habe während des Hamas-Überfalls am 7. Oktober 2023 auf Israel „israelisches Gebiet infiltriert“. Dabei habe er „Plünderung, Brandstiftung und Mord dokumentiert und auf Social Media hochgeladen“, was die Pressestelle des Militärs als „Beteiligung an dem mörderischen Massaker“ wertet.
Einen Beweis für eine Hamas-Mitgliedschaft Eslaiahs legte die Armee nicht vor. Einzelne Social-Media-Beiträge mit Verweisen auf Hamas-Propagandavideos deuten auf eine mögliche Sympathie für die Gruppe hin. Online kursiert ein Foto, das den getöteten Hamas-Anführer Jahia Sinwar zeigt, wie er Eslaiah auf die Wange küsst. 2018 arbeitete er laut der Website Electronic Intifada als Kameramann für den Hamas-nahen Sender Quds-TV.
Journalistengewerkschaft spricht von „Massaker“
Als freier Fotograf belieferte Eslaiah auch die Nachrichtenagentur AP. Am 7. Oktober 2023 ging um 7:30 Uhr, eine Stunde nach dem Beginn des Überfalls, ein Bild von Eslaiah über deren Dienst, das einen brennenden israelischen Panzer am Grenzzaun zu Israel zeigt. Ein weiteres Bild um kurz vor 8.00 Uhr zeigt eine Leiche im überfallenen Kibbuz Kfar Aza, wo an diesem Tag mehr als 60 Menschen getötet und 19 entführt wurden.
Die Fotos lösten eine Diskussion darüber aus, wie nahe Journalisten bei Massakern wie dem vom 7. Oktober 2023 an den Geschehnissen und den Tätern sein sollten. Die Agenturen AP und Reuters haben Vorwürfe zurückgewiesen, vorab von dem Angriff gewusst zu haben. Die ersten Bilder ihrer Dienste erschienen knapp eine Stunde nach dem Beginn des Überfalls. Die Arbeit mit Eslaiah stellte AP in der Folge dennoch ein.
Israelische Angriffe haben seit Oktober 2023 laut dem Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) mindestens 165 palästinensische Journalisten getötet. Das macht das vergangene Jahr zum tödlichsten für Journalisten weltweit, seit die Organisation 1992 mit ihrer Zählung begann. Dem CPJ zufolge wurden 13 von ihnen gezielt ermordet, unter ihnen Hossam Shabat und Hamza Al-Dahdouh, der Sohn des Gaza-Bürochefs des katarischen Senders Al Jazeera, Wael Al-Dahdouh. Das Recherchenetzwerk Bellingcat veröffentlichte Ende März zusammen mit Medien wie der Zeit und dem Standard mehrere Fälle, in denen palästinensische Journalisten kurz nach der Aufnahme von Drohnenbildern getötet oder verletzt wurden. Die palästinensische Journalistengewerkschaft verurteilte den Angriff auf das Zelt neben dem Nasser-Krankenhaus als „Massaker“.
Kein Kriegsende in Sicht
Trotz einzelner Proteste von Bewohnern des Gazastreifens und der zunehmenden militärischen Härte, mit der die israelische Armee seit dem Ende der Waffenruhe vorgeht, zeigt die Hamas bisher keine Absicht, aufzugeben. In einer Mitteilung der Gruppe hieß es: „Was die Besatzung (Israel) in Verhandlungen nicht erreicht hat, werden sie nicht durch Krieg erreichen.“ Am Samstag feuerte die Hamas zehn Raketen, die größte Salve seit Monaten, in Richtung Israel. Fünf wurden laut der Armee abgefangen, eine schlug in der Küstenstadt Aschkelon ein. Verletzt wurde niemand. Ein Armeesprecher erklärte daraufhin Bereiche in Deir Al-Balah im Zentrum des Gazastreifens zu Evakuierungszonen.
Das Gebiet, in dem sich die Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen laut der israelischen Armee noch aufhalten sollen, schrumpft immer weiter: Laut der Nachrichtenagentur AP hat das Militär mittlerweile mehr als 50 Prozent des Küstenstreifens eingenommen und vor allem entlang der Grenze zu Israel in einer immer breiter definierten Pufferzone zahlreiche Gebäude abgerissen.
Mitarbeit: Lisa Schneider
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