piwik no script img

Angriff auf Moschee in LibyenSalafisten zerstören Sufi-Schrein

Die Aktionen radikaler Islamisten schockieren libysche Politiker und Aktivisten. Menschenrechtler kritisieren die zurückhaltende Reaktion der Behörden.

Völlig zerstört: Mit Bagger und schwerem Gerät greifen Salafisten einen Sufi-Schrein an. Bild: reuters

TRIPOLIS/BERLIN taz | In Libyen haben Salafisten die laufenden Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung für Angriffe auf Sufi-Heiligtümer genutzt. Die für ihren Sufi-Schrein bekannte Stadt Sliten östlich von Tripolis war bis Montag Schauplatz von Kämpfen zwischen lokalen Milizen und in die Stadt eingesickerten islamistischen Brigaden. Bis zum Stadtrand der Haupstadt war der Geschützlärm zu hören.

Die salafistischen Einheiten in Slitan schossen mit großkalibriger Artillerie auf die Moschee und zerstörten große Teile der Pilgerstädte für Sufis aus ganz Nordafrika. Eine der ältesten Bibliotheken Libyens brannte ab, mit ihr Jahrhunderte alte Bücher von muslimischen Gelehrten.

In Libyen gibt es hunderte Moscheen, in denen Muslime ihrem Glauben nach den Regeln des Sufi-Ordens ausrichten, der eine spirituelle Strömung des Islam ist und sich das Leben von Mohammed zum Vorbild nimmt. Die Sufis verehren historische Persönlichkeiten oder Heilige, die auf dem Gelände der Moscheen bestattet wurden. Nach der strengen Auslegung der sunnitisch-salafistischen Gläubigen ist dies Gotteslästerung und unislamisch.

Salafistische Anti-Gaddafi-Kämpfer hatten schon mehrfach versucht, heilige Stätten der Sufis zu zerstören. Nun witterten sie ihre Chance. Anwohner versuchten sie zu verjagen, wurden aber unter Beschuss genommen. Über 16 Menschen starben, Augenzeugen sprechen von stundelangen Häuserkämpfen. Ganze Straßenzüge in der Innenstadt von Sliten sind mit Einschusslöchern übersät, schockierte Geschäftsleute stehen grimmig vor ihren ausgebrannten Läden.

Zweiter Angriff

Großmufti Scheich Sadek Al-Ghariani und Vizepremierminister Mustafa Aboushagur haben die Zerstörungen der Sufi-Heiligtümer verurteilt. Der Chef des neu gewählten Nationalkongresses, Mohammed Magarief, war außer sich. Absoushagur, den politische Beobachter als zukünftigen Premierminister sehen, betonte, man werde die Täter strafrechtlich belangen. Libysche Menschenrechtler beklagen, dass Scheich Ghariani und die Regierung trotzdem nicht energisch genug eingriffen und damit sogar den Angriff auf eine zweite Sufi-Moschee mitten in Tripolis ermöglichte.

Dieser begann am Sonntag mit der weiträumigen Absperrung der Straßen rund um das Radisson Hotel, wo internationale Diplomaten und Geschäftsleute ein und ausgehen. Vor deren Augen sicherten Angehörige des neuen Sicherheitsdienstes SSC und der Polizei ungeniert Bagger und anderes schweres Gerät, mit denen die Sidi-Shabab-Moschee zerstört wurde. Unbekannte in der für Salafisten typischen weißen Kleidung mit Dreiviertelhosen exhumierten zwei Gräber.

Libyens junge Zivilgesellschaft, der Motor der Revolution vom letzten Jahr, probt nun den Widerstand. Zwei Journalisten des Lokalsenders „Al Assema“ wurden an der Berichterstattung gehindert und verhaftet, ein gegen den Abriss protestierender Imam von Salafisten verschleppt. Er hatte ihnen unislamisches Verhalten vorgeworfen.

„Ich habe diese Männer noch nie gesehen“, sagt der Journalist und Aktivist Ibrahim Shebani, „die stehen für mich für das alte Libyen.“ Shebani hatte einen spontanen Protest vor der Sidi-Shabab-Moschee mitorganisiert. „Die Mehrheit der Libyer ist gegen diese Verbrechen, die neue politische Elite muss nun schnell Religions- und Meinungsfreiheit durchsetzen“, sagt Shebani.

„Oder ihr wahres Gesicht zeigen“, sagt ein anderer Protestierer, der seinen Namen lieber nicht nennen will.

Kurze Zeit später passiert, was beide insgeheim befürchtet haben. Innenminister Fawzi Abdelali tritt zurück, statt zu handeln. Während der andauernden Abrissaktion lässt sich Abdurrahman Shater, ein Vertrauter von Wahlsieger Mahmoud Dschibril, blicken. Er schweigt und geht nach kurzer Zeit wieder.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • O
    Ohjee

    Wie die TAZ sich windet und sogar behaupten lässt: ..."diese Männer stehen für das alte Libyen..." Das ist bürgerliche Ideologie-Arbeit vom feinsten! Die NATO und ihre Söldner dürfen auch Rückwirkend nicht scheitern, gell?

  • H
    Hoga

    Arabischer Frühling?

    Man darf Zustände wie im 30jährigen Krieg erwarten. Bravo,Westen.

    Ist das politische Unfähigkeit oder einfach nur Blödheit? Aber sie zündeln fleißig weiter. Nach Syrien und dem Iran wartet der Kaukasus. Es gibt viel zu tun, sagen die Waffendealer dieser Welt.

  • A
    Ane

    @ Elies

     

    Bravo! Wenn das nur jemand begreifen würde...

  • E
    Elies

    Tja. Nun erweist sich, wovor der ach so schlimme Gaddafi dieses Land bisher bewahrt hat. Er stand für einen säkulären Staat. Nun haben die Fanatiker freies Spiel und können wieder tun, was sie wollen. Und was sie wollen, sieht man hier: vor allem zerstören, was 'anders' ist.

    Auch Assad steht für einen säkulären Staat, in dem verschiedenen Religionen koexistieren. Wie lange noch?

    NATO, USA und EU sollen sich doch verdammt nochmal raushalten aus den Angelegenheiten anderer Länder! Die Verhältnisse sind zu komplex für Gut/Böse-Logik! Organische Veränderung eines Landes kommt nur von innen. Die sogenannte Weltpolizei - hat sie je etwas wirklich Gutes bewirkt, hatte nicht jenseits der Propaganda jeder ihrer Eingriffe rein eigennützige und letzlich wirtschaftlich-territoriale Motive?

    Besonders traurig: ausgerechnet die Sufi sind nun betroffen - der mystische, pazifistische, toleranteste und kulturell-philosophisch hochstehendste Zweig des Islam. Hier gehen unschätzbare kulturelle Werte verloren. Eine Schande für die Welt!

  • BG
    Bernd Goldammer

    Das alles war doch zu erwarten. Ich kann das Bild-mäßige Geheule nicht verstehen. Die TAZ hat doch viele Monate aufseiten der US-NATO für diese schmuddeligen Rebellen geschrieben. Jetzt ist die Macht da, die sie herbeigeschrieben hat. Und diese Banden werden sich einrichten. Irgendwann werden sie vielleicht auch wieder auf das libysche Öl zugreifen wollen. Den Frieden und den Volkswohlstand wie zu Gaddafis Zeiten wird es dort auf sehr lange Zeit nicht mehr geben. Dafür dürfen sich die Libyer jetzt an der Worthülse "Freiheit" ergötzen. Sie werden Hunger kennenlernen und erleben, wem diese seltsame Freiheit wirklich nützt. Fazit: Überall dort, wo US-NATO Verbrecher angegriffen haben, sind weitere Verbrechersyndikate entstanden.

  • S
    SamSpeed

    @salafisten

     

    Allah ist groß... usw. verstehe ich, aber ich würde gerne mal die Stelle im Koran sehen wo steht "Kulturgut" und "Wissen" vernichten.

     

    Das ist ungefähr so wie in der Bibel "Gerechtigkeit erfahren" steht kann man viel rein interpretieren

    ... auch viel schlechtes... mit Fantasie auch den Sinn verfremdende Dinge.

     

    Das was die Salafisten machen ist Schwarzmalerei im Islam und der Sinn des Korans erreicht ganz neue höhen.

     

    Vielleicht sollte mal jemand losziehen und ihnen zeigen was "Gerechtigkeit erfahren" heißen KANN.

     

    Ihr lieben Salafisten seid für mich nix anderes als

    die "Westboro Baptist Church" für durchgeknallte Islamisten... nur das ihr leider mehr Mitglieder habt.

     

    Ich werde euch nie verstehen und will es auch nicht.

    Es wäre mir egal was ihr glaubt, aber es sterben Menschen für diesen ganzen Blödsinn.