Angriff auf Einkaufszentrum in Kenia: „Wir hatten solche Angst“
Der schwerste Terrorangriff in Kenia seit 15 Jahren fordert mindestens 59 Tote in einem beliebten Einkaufszentrum der Hauptstadt Nairobi.
NAIROBI taz | Maria steht immer noch wie unter Schock. Sie war am Samstag mit einer Freundin bummeln gegangen, in der Westgate Mall, einem luxuriösen Einkaufszentrum in Nairobi. Die beiden versteckten sich unter einen Tisch, aber die Freundin wurde durch einen Schuss am an Hals verwundet. „Ich versuchte so gut wie möglich, das Bluten zu stoppen und nicht zu schreien“, sagt Maria am nächsten Morgen bei ihrem Freund Ralph zuhause. „Wir hatten solche Angst.“
Sie hat einige Angreifer ganz aus der Nähe gesehen, erzählt sie. Einer war eine Frau, da ist sie sich ganz sicher. Manche sahen aus wie Somalis, andere wie Araber. „Sie schrieen auf Englisch: Ihr habt uns so lange getötet, jetzt seid ihr dran“, berichtet Maria. Und einer habe gerufen: „Alle Muslime aufstehen und weggehen“. Nur die Nichtmuslime sollten getötet werden.
Die Angreifer zogen weiter, nach zwei Stunden wagte sich Maria mit ihrer verletzten Freundin hinaus und rannte weg. Die Freundin liegt jetzt im Krankenhaus.
Mindestens 59 Menschen starben, über 200 wurden verletzt, als nach bisherigen Erkenntnissen 18 Angreifer mit AK47-Maschinengewehren und Granaten am Samstag mittag die Westgate Mall stürmten und um sich schossen. Am Sonntag früh verschanzten sich immer noch einige Bewaffnete in dem weitläufigen, mittlerweile abgeriegelten Gebäudekomplex.
An zwei Orten innerhalb der Mall halten die Angreifer „noch eine erhebliche Anzahl“ von Geiseln, heißt es. Die Polizei sagt, sie kontrolliere den Videoüberwachungsraum der Anlage, daher wisse sie was los ist. Spezialkräfte waren am Sonntag dabei, die Terroristen auszuräuchern; nach ersten Berichten wurden zwei kenianische Soldaten verletzt.
Shabaab-Miliz bekennt sich
Am Samstagabend bekannte sich die islamistische Shabaab-Miliz aus Somalia zu dem Angriff – als „Rache“ für getötete Muslime im somalischen Krieg. Seit Kenia 2011 militärisch in Somalia eingriff, um die Shabaab zu bekämpfen, hatten die radikalen Islamisten immer wieder mit großen Anschlägen in Kenia gedroht. Die Frage war nicht, ob, sondern wann und wie.
Auf der Liste von möglichen Zielen stand Westgate meistens ganz oben. Das große Einkaufszentrum ist beliebt bei Ausländern, die in Kenia wohnen, und reichen Kenianern. Viele Deutsche sind reguläre Besucher, Nairobis Deutsche Schule ist nicht weit weg.
Viele der Opfer nahmen gerade an einem Kochwettbewerb für Kinder teil, als die Terroristen hineinstürmten. Unter den Toten sind eine Chinesin, zwei Französinnen und zwei Kanadier sowie ein Neffe von Kenias Präsident Uhuru Kenyatta. Viele Besucher der Mall konnten fliehen, aber einige wurden offenbar als Geiseln genommen.
Oben auf der Liste
„Was ist nur los mit unserem Land“, fragt sich Ralph, der Freund von Maria, bei dem sie jetzt Zuflucht gesucht hat. „Unser internationaler Flughafen wurde zerstört durch ein Inferno. Unser Präsident und Vizepräsident stehen in Den Haag vor Gericht. Und jetzt sind wir Opfer eines Anschlags radikaler Muslime, zum dritten Mal.“
1998 hatte al-Qaida mit Autobomben die US-Botschaften in Kenia und Tansania zerstört, über 200 Menschen waren getötet worden. 2002 war ein bei Israelis beliebtes Hotel in der Hafenstadt Mombasa angegriffen und eine Maschine der israelischen Fluglinie El Al beim Aufstieg aus Mombasa knapp mit einer Rakete verfehlt worden.
Westgate ist auch in israelischem Besitz, auch deshalb stand es so hoch auf der Liste der möglichen Terrorziele. „Wir wissen das natürlich“, sagt Aisha Mohammed, die ganz in der Nähe lebt. „Aber wir Kenianer haben ein kurzes Gedächtnis. Wir machen uns Sorgen, vergessen zwei Tage später wieder und jetzt sind wir dafür gestraft“, meint Aisha Mohammed die ganz Nahe am Tatort lebt.
Uhuru Kenyatta warnt
Kenia, sonst ethnisch und religiös so gespalten, ist jetzt geeint in Entsetzen und Trauer. Aber es werden auch kritische Fragen gestellt. Die Polizei tauchte erst eine halbe Stunde nach Beginn der Schießerei in Westgate auf, obwohl die Mall als so gefährdet galt. Die Armee erst noch später.
Am Samstagabend wandte sich Kenias Präsident Uhuru Kenyatta in einer Ansprache an die Nation. Die Regierung werde Kenia gegen „Angriffe von innen wie von außen“ verteidigen, erklärte er: „Wir haben Terroristen in der Vergangenheit geschlagen, wir werden sie wieder schlagen“. Er kündigte an: „Wir werden die Täter jagen, wo auch immer sie hinrennen. Wir kriegen sie. Wir werden sie bestrafen.“
Am Sonntagfrüh sind die Straßen in Nairobi verlassen. Obwohl Menschen wie immer in großer Anzahl in die Kirche gehen, bleiben auch viele Zuhause. „Ich habe Angst, irgendwo zu sein wo es viele Menschen gibt“, erklärt Morris Wambua, ein Automechaniker. „Eine Kirche ist für radikale Muslime ein Ziel. Ich bete zu Hause für die Opfern. Und für Kenia“, sagt Morris Wambua.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland