Angespannte Lage in der Ostukraine: Schüsse an der gesamten Frontlinie
Der Waffenstillstand in der Ostukraine war von Anfang an brüchig – jetzt werden die Kämpfe heftiger. Auch schwere Waffen kommen zum Einsatz.
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Nach Angaben des Zentrums der vereinigten ukrainischen Streitkräfte haben die Separatisten allein am Samstag 73-mal den Waffenstillstand verletzt und dabei 20-mal auch schwere Artillerie eingesetzt. Zwei Angehörige der „russisch-terroristischen Besatzungstruppen“ seien bei den Kämpfen ums Leben gekommen, so ein Sprecher der ukrainischen Streitkräfte.
Gleichzeitig haben die ukrainischen Streitkräfte einen Mann verloren. Demgegenüber berichtet das separatistische Internetportal dan-news.info unter Berufung auf den Pressesprecher der bewaffneten Einheiten der „Volksrepublik Donezk“, Daniil Bessonow, die ukrainischen Streitkräfte hätten versucht, im Gebiet Gorlovka neue Positionen zu erobern. Doch sie seien nicht nur gescheitert, hätten sich auch noch hinter ihre ursprüngliche Position zurückziehen müssen, so Bessonow.
Der Donbass kommt nicht zur Ruhe. Der bei den Verhandlungen zwischen OSZE, Russland und der Ukraine in Minsk ausgehandelte Waffenstillstand war von Anfang an brüchig. Im September 2014 hatten die OSZE, die Ukraine und Russland das erste Protokoll von Minsk unterzeichnet. Doch auch ein neuer Anlauf, das am 12. Februar 2015 unterzeichnete Protokoll von Minsk II, konnte keinen stabilen Waffenstillstand gewährleisten.
Über 400.000 Verletzungen des Waffenstillstands
„Die OSZE-Sonderbeobachtungsmission in der Ukraine (SMM) verzeichnet täglich eine hohe Anzahl von Verstößen gegen den Waffenstillstand“, so Alexander Hug, stellvertretender OSZE-Chefbeobachter im Donbass gegenüber der taz. 2017, so Hug, habe die SMM mehr als 4.000 schwere Waffen in Gebieten beobachtet, in denen sie gemäß den Minsker Vereinbarungen nicht hätten sein sollen, und über 400.000 Waffenstillstandsverletzungen registriert. 86 Zivilisten, so Alexander Hug, seien 2017 ums Leben gekommen.
„Die Verluste in den ,Volksrepubliken' sind weitaus größer, als die Medien kundtun“, berichtet die 40-jährige J., die in einem kleinen Ort in der „Volksrepublik Donezk“ wohnt und anonym bleiben möchte, der taz am Telefon. „Die Machthaber der ,Volksrepubliken‘ beschönigen die Lage.“
Sie berichtet von allein fünf toten Kämpfern der Aufständischen in den letzten Tagen und insgesamt 15 toten Aufständischen in den ersten zwei Maiwochen. Die Ukrainer würden auch auf zivile Ziele, die allerdings militärisch genutzt werden, schießen. „Eine Schule in der Nachbarschaft, in der Kämpfer der ,Volksrepublik' untergebracht sind, wird von der anderen Seite beschossen“, berichtet sie. Vor ihrem Haus ständen einige Panzer. „Und die ziehen natürlich das Feuer an.“
„Es ist ein verrückter Krieg“, berichtet die Frau weiter. „Abends treffen sich oft Kämpfer der Separatisten und der ukrainischen Seite zum Abendessen. Irgendwann im Laufe des Abends werden sie per Funk zurückgerufen und anschließend schießen sie aufeinander.“
Neue Lösung gesucht
Dabei gibt es neue Bemühungen, den Waffenstillstand von Minsk, der auf dem Papier immer noch gültig ist, zu stabilisieren. An diesem Montag wird der Beauftragte der US-Regierung für den Ukraine-Konflikt, Kurt Volker, in Kiew eintreffen.
Noch in diesem Monat sollen sich die Staatschefs von Russland, der Ukraine, Frankreichs und Deutschlands in Paris treffen, um über eine Lösung für den Donbass zu sprechen.
OSZE-Vize Alexander Hug wünscht sich, dass die Unterzeichner der Minsker Vereinbarungen den Willen zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen zeigten. „Erstens sollte die Entfernung zwischen Positionen der ukrainischen Streitkräfte und der der bewaffneten Formationen an der Kontaktlinie erhöht werden, und zweitens sollte parallel dazu der Abzug schwerer Waffen erfolgen“, so Hug zur taz.
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