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Angebliche Übergriffe auf Frauen in Kiel„Dinge sind undramatischer“

Berichte von Übergriffen in einem Kieler Einkaufszentrum seien übertrieben, sagt die Polizei. „Da fehlte der eine oder andere Konjunktiv.“

Bestand die Gruppe der mutmaßlichen Belästiger vor allem aus Schaulustigen? Foto: dpa

Kiel taz | Drei junge Frauen werden in einem Einkaufszentrum am Kieler Hauptbahnhof von „20 bis 30 Personen mit Migrationshintergrund“ belästigt – so meldete es die Polizei in der Schleswig-Holsteinischen Landeshauptstadt Ende vergangener Woche, auch die taz berichtete und kommentierte den Vorfall. Nun ist klar: „Die Dinge stellen sich undramatischer da“, es „fehlte der eine oder andere Konjunktiv“, so Polizeidirektor Joachim Gutt am Mittwoch im Innen- und Rechtsausschuss des Kieler Landtags. Der Fall zeigt, wie schwer sich Polizei und Medien zurzeit tun, angemessen zu informieren.

Was in der Sophienhof-Einkaufspassage passierte, war für die 15-, 16- und 17-jährigen Mädchen unangenehm genug: In einem Lokal fühlten sie sich aus der Ferne von zwei „südländischen Typen“ angemacht und per Handy fotografiert. Später setzten sich die Männer auch an den Tisch und belästigten die Mädchen, bis ein anderer Mann den Sicherheitsdienst rief. Der Security-Mitarbeiter überwältigte die Belästiger und wurde von einer Menge anderer Männer umringt.

Die hinzugerufene Polizei empfand sie als „Neugierige“, so Gutt. Die Frauen „nahmen sie als homogene Masse“ und Verfolger wahr. Was stimmt, wird noch ermittelt. Zurzeit werden Handys ausgewertet und nach Fotos durchsucht.

Eigentlich verbietet der Pressekodex, Nationalitäten mutmaßlicher Täter zu nennen – diese freiwillige Selbstverpflichtung gilt eigentlich auch für Polizeisprecher. Doch seit der Kölner Silvesternacht ist vieles anders, und die Kieler Polizei steht nach einer früheren Kommunikationspanne unter besonderer Beobachtung. So „gehen wir lieber das Risiko ein, einen Vorab-Stand zu berichten, als den Anschein zu erwecken, wir würden etwas deckeln“, so Gutt.

Vor allem auf den elektronischen Plattformen geht es rund: Auf Twitter rauschte der Hashtag „Sophienhof“ unter die meistgelesenen, gehetzt wird gegen „linke Kläffer“, die die „Rapefugees“ auch noch verteidigten. „Angesichts des Drucks auf die klassischen Medien, der durch die sozialen Netzwerke extrem beschleunigt ist, bleibt auf keiner Seite mehr Zeit, Luft zu holen und nachzudenken“, sagt Bettina Neitzel, Geschäftsführerin des Deutschen Journalistenverbands in Schleswig-Holstein.

Von einem „Kommunikationsdilemma“ sprach Manuela Söller-Winkler (SPD), Staatsekretärin des Kieler Innenministeriums. Wenn in Zukunft „der Konjunktiv eingesetzt“ werde, hoffe sie darauf, „dass sich das auch in den Medien niederschlägt“.

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37 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Es gibt allerdings diese Entwicklung, wie sie in der jungle-world vom Cottbusser Tor berichtet wird:

    Berlin: http://jungle-world.com/artikel/2016/08/53547.html

    mit Erörterungen zur Verhaltensweise.

    • @nzuli sana:

      Dabei wäre mit einfacher Abhilfe zu helfen: Einfach mehr Polizei präsentieren. Warum kommt der Staat seiner Pflicht nicht zurecht?

  • Als #aufschrei durch das Land ging hätte man ebenfalls zur Mäßigung aufrufen können. Aber diejenigen die das jetzt tun, waren damals selber daran beteiligt eine enorm übertriebene Hysterie zu entwickeln. Dafür bekommen sie jetzt die Quittung. Jetzt merken sie selber, dass es durch das Geschreie der Feministinnen nicht möglich ist sachlich über das Thema sexuelle Gewalt und die potentielle Gefahr des Generalverdachtes zu reden.

    • @Marcus Frank:

      ja, das ist schon blöd, wenn mann feststellen muß, dass mann ein ziemlich islamisches frauenbild hat.

      und richtig gut tut es, wenn mann dann darauf kommt, dass daran ja eigentlich+nur die feministinnen schuld sind.

      • @christine rölke-sommer:

        Immerhin haben sie hier die verallgemeinernde Formulierung "islamisches frauenbild" verwendet und nicht ich. Und ich werde diese Formulierung auch nicht verwenden. Aber sie können gerne weiterhin jegliche Form von Kritik mit der Sexismuskeule niederknüppeln. Dann müssen sie sich aber auch nicht wundern, wenn der Ruf des Feminismus sich weiterhin verschlechtert.

        • @Marcus Frank:

          ok.

          die "enorm übertriebene Hysterie" ist, zugegeben, eher hellenistisches erbteil.

          eines, das selbstverständlich ebenfalls die feministinnen zu verantworten haben.

  • Wir waren alle nicht dabei und verlassen uns darauf die Situation auf Grund von Mutmassungen und unserer eigenen Phantasie vorzustellen.

    Wer Sexismus oder sexuelle Belästigung bestreitet oder herunterspielt wird an den medialen Pranger gestellt. Wer umgekehrt Ausländer oder gar Flüchtlinge in ein schlechtes Licht stellt, wird an den gleichen Pranger gestellt. Was tatsächlich passiert ist, interessiert dabei wenig.

    Kommen beide Aspekte zusammen, läuft dieser Mechanismus heiss. Die einen empören sich über die sexuelle Belästigung und die anderen über die pauschale Verurteilung von Flüchtlingen.

    Dabei sollten wir diese Situation und auch Pegida als Chance sehen. Während früher jedes Gerücht einer Vergewaltigung zu Empörungsstürmen führte, die auch dann nicht aufhörten, wenn das Gerücht längst als Lüge entlarvt war, wird inzwischen die Gefährlichkeit von Gerüchten erkannt. Wenn das dazu führt, nicht jedem Gerücht sofort zu glauben, ein wenig zu zögern, bevor jeder Quatsch geteilt wird, häufiger den Konjunktiv zu verwenden und sich mehr für die Fakten zu interessieren, haben wir mehr an Offenheit gewonnen, als uns Pegido & Co nehmen können.

  • Natürlich ist Zeit zum Luftholen und Nachdenken. Man muss sie sich nur nehmen und sich nicht abhängig davon machen, wer als erstes die fix und fertige Meinung verscherbelt. Ein Pseudo-Sachzwang.

  • Haben denn jetzt (fast) alle ihr Hirn abgestellt? Fiel es niemandem auf, das die ursprüngliche Meldung sogar in den Tagesthemen war, und sogar als Einspieler? Ich habe mich gleich gefragt, was soll das, wenn fotografieren jetzt schon kriminalisiert wird? Was passiert wenn die guten alten Tagesthemen das schon so bringen, vor allem aber, warum? Was hat dies mit seriösem Journalismus zu tun, oder ist das vorauseilender Gehorsam? Ich dachte zuerst, ich hätte das falsche Programm, den russischen Sender RT, weil da hätte es mich nicht gewundert...

  • und was macht die taz jetzt mit ihrem artikel und kommentar?

    • @christine rölke-sommer:

      Hält sich nicht an die freiwillige Selbstverpflichtung, na sowas aber auch! Vielleicht wäre eine unfreiwillige Fremdverpflichtung doch wirksamer?

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        ach gottchen, vom lesen einer nationalität fall ich nicht gleich in mob-modus.

        im gegenteil. wäre die pop!stolizei des pashtu, dari oder farsi mächtig, hätte sie sich womöglich beim pinseln ihrer strafanträge die beleidigung schenken können.... womöglich hätte auch schon besseres englisch gereicht...

         

        was ich meine ist: ich vermißte im artikel "die tat". unerlaubtes fotografieren ist zwar eine verletzung der persönlichkeitsrechte, aber eben nicht gleich+immer eine straftat.

        und im kommentar vermißte ich die kritische besinnung auf die eigenen haremsfantasien und fand stattdessen zu viel ruf nach sittenpolizei.

        • @christine rölke-sommer:

          Da bin ich ja ganz bei Ihrer Augenhöhe. Nur täte ich mir wünschen, dass es weniger verlogene Konstrukte von der Sorte "freiwillige Selbstverpflichtung" gäbe.

          • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

            und ich tät mir mehr leutz wünschen, die beim lesen von nationalität xy/aufenthaltsstatus nicht schließen: die mal wieder.

            • @christine rölke-sommer:

              Auch da stehe ich ohne einen Schimmer von Anzweifelung neben Ihnen. Die Gefährlichkeit der von Ihnen zurechterweise bemängelten Falschauffassung weiter Teile der Leute steht außer Frage und Antwort. Man macht es sich zu liegestuhlmäßig, mit solchen Einfachheiten.

  • 2G
    24636 (Profil gelöscht)

    Dem Turbinendruck in den Köpfen können Medien nicht genügen, wenn sie kritisch sein und bleiben wollen. Siehe z.B. das, was gerade mit Beck geschieht. Der Mann hat sofort gehandelt und dennoch wird er als Person an den Pranger genagelt und mit Dreck beworfen. Oder Dritte, die sich dazwischenstellen, wie Augstein. Wir erleben nun in Deutschland den Zerfall der Öffentlichkeit an den letztlich altbekannten Fronten von Aufklärung und deren Widerpart.

     

    Die Frage, die sich an die Aufklärer (im weitesten Sinne Menschen, die reflexiv denken und argumentieren) stellt, lautet heute, wie man Formen des Widerstands gegen Pranger, Propaganda und den Niedergang grundsätzlicher Rechte (und Ansprüche) entwickeln kann, ohne sich erstens der gleichen Methoden zu bedienen (Gegenpranger) und zweitens dennoch nicht marginalisiert zu werden.

    • @24636 (Profil gelöscht):

      Nun, wer Politiker sein will, muß natürlich in Kauf nehmen, u.U. gnadenlos abgesägt zu werden. Viel Feind, viel Ehr. Nicht zuletzt heimsen die Damen und Herren dafür auch ordentlich Privilegien ein. Wer sonst, wenn er vorzeitig geht oder gegangen wird, kann sich dies mit einer solch komfortablen finanziellen Versorgung polstern? Der Mann kassiert jetzt eineinhalb Jahre lang Minimum 9000.- Euro pro Monat "Übergangsgeld".

      • @DR. ALFRED SCHWEINSTEIN:

        Es gibt keinen Grund über ungelegte Eier zu urteilen.

        Ob und was er genau bei sich hatte, kann nur die Polizei wissen;

        warum er es bei sich hatte, kann nur er wissen;

        was daraus wird weiß keiner.

        Um etwas zu erzwingen, kann natürlich manipuliert werden, wie Sie es hier mit Ihrer unsachlichen Ablenkung auf die Privilegien versuchen.

        • @Selbstdenker:

          Die Privilegien sind nunmal Fakt. Das Ei liegt bereits im Nescht.

  • "'Angesichts des Drucks auf die klassischen Medien, der durch die sozialen Netzwerke extrem beschleunigt ist, bleibt auf keiner Seite mehr Zeit, Luft zu holen und nachzudenken', sagt Bettina Neitzel, Geschäftsführerin des Deutschen Journalistenverbands in Schleswig-Holstein".

     

    Was für eine billige faule Ausrede! Zeit kriegt man nicht geschenkt. Zeit muss man sich nehmen, sonst hat man sie nicht. Bettina Neitzel ist ganz offensichtlich nicht bereit, im Sinne eines ernstzunehmenden, fairen Journalismus den Sieg im Rattenrennen um die erste Meldung zu riskieren. Genau wie die Polizei geht sie lieber ohne Not "das Risiko ein, einen Vorab-Stand zu berichten", der sich dauerhaft in den Köpfen festsetzt, obwohl er später dementiert wird (auf Seite 8 ganz unten und in Schriftgröße 5), als überholt zu werden. Die Angst davor, "den Anschein zu erwecken, [sie] würden etwas deckeln", ist meiner Ansicht nach eher vorgeschoben. Irgendwie muss man sich ja schließlich vor sich selbst rechtfertigen.

     

    Derzeit sieht es für mich so aus, als ließen sich sämtliche Medien treiben von einer Meute interessierter rechter "Kläffer" (war nur das Spiegelbild, Kollegen!) Aber wer nicht bereit ist, diesem angeblichen "Druck" etwas entgegen zu setzen, der ist in meinem Augen kein seriöser Journalist und er arbeitet auch nicht für ein „klassische“ Medium. Außerdem wird er zu gut bezahlt. Und zwar ganz unabhängig davon, welches Gehalt er kriegt.

    • @mowgli:

      Sehr gut! Die Medien können immer noch selbst entscheiden wie schnell sie reagieren. Auch die taz hat zu Volker Beck innerhalb von zwei Tagen, zwei Artikel und einen Kommentar hochgeladen. Hätte auch ein Artikel mit mehr Zeit und Ruhe sein können.

      Ist doch nicht so, dass keiner nach Recherche und Qualität fragt, die Hetzer schreien doch nur Lauter. Vorm tippen einfach noch mal ne Tüte rauchen... und dann den Artikel morgen schreiben.

      • @Freddy Helm:

        Wenn die Dinge durch Facebook jagen, kann die Presse das halt nicht einfach für 2 Tage hin an stellen und auf die Tatsachen warten, sonst wird behauptet es würden Inforamtionen etwas unterdrückt.

  • 8G
    849 (Profil gelöscht)

    Ich frage mich, warum solche Bagatellfälle überhaupt gemeldet werden. Das ist allenfalls eine Nachricht im Lokalteil des lokalen Käseblatts wert.

  • Das mit dem Pressekodex verstehe ich nicht. Wäre es nicht besser wenn bei jeder Straftat die Nationalität genannt werden würde, damit die Leute sehen dass einheimische genauso häufig Straftaten begehen, sogar noch häufiger da es ja mehr einheimische als Migranten in Deutschland gibt??

    • @Tobias Müller:

      Nicht nur das. Man sollte weitere relevante Eigenschaften wie etwa Schuhgrößen, Nasenlängen, Ohrschmalzfarben oder Hobbies dazuschreiben.

  • Es gibt einfach viel zu viele, die an nichts als an Eskalation interessiert sind. Das gilt für rechte Hetzer genauso wie für junge Männer, die eher eine Prügelei anfangen als sich auf ein "lass mich bitte in Ruhe" einfach zurückzuziehen. Und auch für "Sicherheitsdienste" und die Polizei.

     

    Letztlich ist das auf allen Seiten die kaum noch verhohlene Machtfrage, die da gestellt wird (wobei man der Polizei lassen muss, dass sie gesetzlich das Gewaltmonopol hat und diese Frage nicht unbeantwortet lassen kann). Bloss den vielen halbwegs Zivilisierten ist das alles zu blöd (ist es ja auch), also sehen sie oft weg.

    • @Mustardman:

      wo nehmen Sie denn in diesem fall "junge Männer, die eher eine Prügelei anfangen" her?

      oder meinen Sie den security-mann, welcher "die Belästiger" "überwältigte"?

      • @christine rölke-sommer:

        Ich meinte die beiden, die sich der später hinzukommenden Polizei heftigst widersetzt haben. Oder stimmte auch das nicht?

        • @Mustardman:

          ps: und was wir als bereits "überwältigte" täten?

          also... ich hätte den eindruck, unter die räuber gefallen zu sein und tät entsprechend alles abzuwehren suchen, was mich packen will.

          ich will jetzt garnicht von wegen trauma anfangen... bei mir tät's auch die ganz normale vulnerabilität tangieren.

          • @christine rölke-sommer:

            Sie, verehrte Frau Röcke- Sommer, beherrschen den Konjunktiv jedenfalls gut.

          • @christine rölke-sommer:

            Davon ab kann sich jeder Lulli eine Polizeiuniform besorgen. Woher will man wissen, wer wirklich drin steckt, siehe Breivik?

        • @Mustardman:

          es wird immer abenteuerlicher!

          in der taz http://www.taz.de/Belaestigung-von-Frauen-in-Kiel/!5278924/

          steht zu lesen, die beiden "überwältigten" hätten gewiderstandet.

          und was wir alle täten, wollte pop!stolizei uns als "hinzukommende" festnehmen wollen.... ich laß es mal dahingestellt.

          • @christine rölke-sommer:

            Schön dass Sie ganz offensichtlich keinen Respekt für die Exekutivgewalt dieses Landes haben, und das auch so offen jedem hier ins Gesicht reiben.

             

            Sie werden sich allerdings damit abfinden müssen dass der größte Teil der Deutschen sehr wohl Vertrauen in die Polizei hat -- laut Statistik aus 2015 satte 80% -- und gewaltsamen Widerstand gegen Beamte als problematisch betrachtet.

            • @SpecialK:

              kann auch nur schreiben, wer keine ahnung hat, wie schnell Sie eine anzeige wg. widerstand pp an der backe haben.

              • @christine rölke-sommer:

                Wer widerstand leistet,muss auch damit rechnen.