Angeblich Chemiewaffen eingesetzt: Verbotene Waffen in Syrien?
Aufständische und Regierungstruppen beschuldigen sich gegenseitig, Chemiewaffen eingesetzt zu haben. Eine Bestätigung für den C-Waffeneinsatz gibt es nicht.
BEIRUR/ISTANBUL rtr | Die Kriegsparteien in Syrien haben sich gegenseitig vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen. Informationsminister Omran al-Soabi sprach von einer gefährlichen Eskalation seitens der Aufständischen. Ein Rebellen-Sprecher machte hingegen regierungstreue Kräfte für den Angriff auf die bei Aleppo gelegene Stadt Chan al-Assal verantwortlich. Eine Bestätigung für einen Chemiewaffen-Einsatz von unabhängiger Stelle gab es nicht.
Bei dem Raketenangriff wurden nach Angaben einer oppositionsnahen Beobachtungsstelle 26 Menschen getötet, darunter mindestens 16 Soldaten. Die britische Regierung kündigte ernste Konsequenzen an, sollte der Einsatz von Chemiewaffen bestätigt werden.
Soabi erklärte, die Aufständischen hätten vom Bezirk Nairab in Aleppo aus eine mit chemischen Kampfstoffen bestückte Rakete abgefeuert. Die syrischen Streitkräfte würden niemals international verbotene Waffen einsetzen, selbst wenn sie über solche verfügten, wurde er im Staatsfernsehen zitiert.
Offiziell hat Syrien nicht bestätigt, dass es Chemiewaffen hat. Soabi sprach von 16 Toten und 86 Verletzten. Zugleich gab er der Türkei und Katar wegen ihrer Unterstützung für die Rebellen die „rechtliche, moralische und politische“ Verantwortung für den Angriff. Die Türkei wies den Vorwurf als haltlos zurück.
Bisher keine Bestätigung
Die Rebellen machten Regierungskräfte verantwortlich: „Wir glauben, dass sie eine Scud(-Rakete) mit chemischen Stoffen abgefeuert haben“, sagte ein hochrangiger Aufständischer in Aleppo. „Die Rebellen stecken nicht hinter dem Angriff.“
Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte sprach von 26 Toten in Chan al-Assal. Die meisten von ihnen seien Regierungssoldaten, sagte Rami Abdelrahman in Beirut. Berichte über den Einsatz von Chemiewaffen könne er jedoch weder bestätigen noch dementieren.
Der Chef der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW), Ahmet Uzumcu, erklärte in Wien, er habe keine unabhängige Bestätigung für den Einsatz von Chemiewaffen. Seine Organisation überprüfe die Berichte.
Videoaufnahmen veröffentlicht
In der Hauptstadt Damaskus veröffentlichten Oppositionelle Videoaufnahmen von Opfern eines angeblich weiteren Chemiewaffenangriffs. Die Aufnahmen zeigten, wie Männer und Jungen in einem Gesundheitszentrum mit Sauerstoff versorgt wurden.
Der Angriff habe in dem östlich von Damaskus gelegenen Otaiba stattgefunden, hieß es. Angaben aus Syrien können kaum überprüft werden, weil der Zugang unabhängiger Journalisten eingeschränkt ist.
Eine Sprecherin des britischen Außenministeriums erklärte, der „Einsatz oder die Verbreitung von Chemiewaffen würde eine entschlossene Reaktion der Staatengemeinschaft erfordern“. Großbritannien wäre gezwungen, seinen bisherigen Ansatz in der Syrien-Frage zu überprüfen.
Rote Linie überschritten
Großbritannien und Frankreich machen sich für Waffenlieferungen an die Rebellen stark, stoßen damit aber bei ihren EU-Partnern noch auf Widerstand. Die USA haben Präsident Baschar al-Assad bereits mehrfach vor einem Einsatz von Chemiewaffen gewarnt – dadurch würde eine rote Linie überschritten.
Zudem ist die Sorge laut geworden, die Kampfstoffe könnten in die Hände radikaler Gruppen geraten. In Syrien sollen etwa 1.000 Tonnen chemische Kampfstoffe lagern, darunter Sarin, Senfgas und VX.
Aleppo liegt nahe der Grenze zur Türkei. In der südosttürkischen Stadt Kahramanmaras sind auf Bitten der Regierung in Ankara rund 300 deutsche Soldaten mit zwei Raketenabwehr-Batterien stationiert. Sie sollen das Nato-Land vor Angriffen aus Syrien schützen. Deutschland, die USA und die Niederlande verfügen als einzige Nato-Staaten über eine Version der „Patriot“-Abfangrakete, die speziell auf die Abwehr von Chemiewaffen ausgelegt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett