DIE UNION VERHINDERT ANTIKORRUPTIONSREGISTER, DAS SIE SELBST WOLLTE: Anfall von Bewusstseinsspaltung
Die Bundesratsmehrheit, die gestern das rot-grüne Gesetz über die Errichtung eines Antikorruptionsregisters torpedierte, handelte in einem akuten Anfall von Bewusstseinsspaltung, hervorgerufen durch Wahlkampffieber. Denn was die CDU/CSU-Länder verwarfen, praktizieren sie zum Teil seit Jahren auf Länderebene.
Stimmte der christdemokratische Einwand gegen das Bundesgesetz, es weite die Korruptionsliste zu einer Liste unzuverlässiger Unternehmen aus, wären auch ihre Länderlisten nicht rechtens. Doch: Schon nach geltendem Recht muss die Zuverlässigkeit von Unternehmen, die sich um öffentliche Aufträge bemühen, geprüft werden. Unzuverlässig sind nicht nur Firmen, die bestechen, sondern auch solche, die gegen das Entsendegesetz verstoßen oder Schwarzarbeiter beschäftigen. Von einer uferlosen Ausdehnung der Tatbestände kann keine Rede sein. Die Länderpraxis im Umgang mit den Korruptionslisten lässt Vorsicht walten, schon wegen möglicher Regressforderungen. Das wird mit der Bundesliste nicht anders sein.
Um auf die Liste zu kommen, bedarf es schwerwiegender Verdachtsgründe, etwa des Geständnisses von Firmenmitarbeitern. Dass kein rechtskräftiges Urteil vorliegen muss, erklärt sich daraus, dass es hier um kein Strafverfahren geht und dem Verdächtigen die Möglichkeit richterlicher Nachprüfung offen steht. Zudem fällt rechtspolitisch ins Gewicht, dass bis zu einem rechtskräftigen Urteil oft viele Jahre ins Land gehen können. Es gibt Verfassungsjuristen, die alle bisherigen Korruptionsregister wegen Verstoßes gegen das Prinzip „Im Zweifel für den Angeklagten“ für verfassungswidrig halten, aber die CDU/CSU-Bundesratsmehrheit hat sich aus nahe liegendem Grund dieser Argumentation nicht angeschlosssen.
An der Vernünftigkeit des zentralen Antikorruptionsregisters zweifelt auch die Union zu Recht nicht. Es geht einfach um die bundesweite Verfügbarkeit von Daten bei der Auftragsvergabe. Aber Rot-Grün wird jetzt zum Bösewicht stilisiert, der die Unternehmer unter den Generalverdacht der Korruption stellt. Nichts liegt, wie wir wissen, der Regierung ferner als eine solche Haltung.
CHRISTIAN SEMLER
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