Anerkennung von Berufskrankheiten: „Das zu be­weisen, ist schwierig“

Damit die Berufsgenossenschaft ein Leiden als arbeitsbedingt anerkennt, muss viel passieren.

Zwei Personen arbeiten in einer Grube an einem Rohr.

Schwere Arbeit: Wer gesundheitliche Schäden davon trägt, muss das erst einmal beweisen Foto: Thomas Frey/dpa

taz: Herr Wellmann, ich hab ’n bisschen Rückenschmerzen. Ein Fall für die Berufsgenossenschaft?

Niklas Wellmann: Wahrscheinlich eher nicht. Es gibt eine Liste mit Berufskrankheiten, mit jeweils speziellen Anforderungen. Beim Beispiel Rücken wäre eine Anforderung, dass Sie einen Bandscheibenvorfall haben.

43, arbeitet seit acht Jahren bei der Arbeitnehmerkammer Bremen als Berater zu Berufskrankheiten.

Was muss alles stimmen, damit eine Krankheit von der BG anerkannt wird?

Es gibt drei Bereiche, die abgeklopft werden. Einmal die versicherungstechnischen: Ist jemand überhaupt versichert? Viele Selbstständige sind es nicht. Dann die medizinischen Voraussetzungen: Das Krankheitsbild muss eine bestimmte Form aufweisen, der Bandscheibenvorfall ist ein Beispiel. Und schließlich die arbeitstechnischen Voraussetzungen, für jedes Krankheitsbild eigene. Bei Knieschäden zum Beispiel muss man mindestens 13.000 Stunden mit den Knien gearbeitet haben, damit es als Berufskrankheit gilt.

Wie will man das nachweisen? Das klingt irre kompliziert.

Kommt drauf an, wen man fragt. Die Berufsgenossenschaft argumentiert, dass man über so klare Regeln Fälle schneller bearbeiten kann. Aus Sicht der Betroffenen ist das schwierig. Oft ist nicht ermittelbar, wie ich die letzten 30 Jahre gearbeitet habe. Dann geht der Beweisnotstand zulasten der Antragssteller. Viele Krebserkrankungen machen sich erst nach Jahrzehnten bemerkbar. Manchmal sind dann die Aufbewahrungsfristen schon abgelaufen und Arbeitgeber haben keine Aufzeichnungen mehr. Dann wird es schwierig.

Wie hoch sind denn die Erfolgsquoten?

Das hängt von der Berufskrankheit ab. Bei Muskel-Skelett-Erkrankungen wie Rücken oder Knie ist die Anerkennungsquote sehr gering, etwa zehn bis 20 Prozent. Bei Corona werden aktuell 60 bis 70 Prozent der Fälle anerkennt, das ist hoch. Mesotheliome, die durch Asbest verursacht werden, werden zwischen 80 und 90 Prozent anerkannt.

Ich habe Zahlen gelesen, nach denen Lungenkrebs statistisch nur halb so oft anerkannt wird, wie es durch Asbest wahrscheinlich wäre.

Das ist tatsächlich ein Unterschied, Mesotheliome und Lungenkrebs sind beides Krebsarten, aber nur die eine ist klar auf Asbest zurückzuführen. Für Lungentumore gibt es viele mögliche Ursachen. Da den Zusammenhang zur Arbeit zu beweisen, ist schwer.

Wenn Sie das System nach Ihren Vorstellungen gestalten dürften – was würde anders aussehen?

Ich würde es leichter machen, einen Nachweis für eine Berufskrankheit zu erbringen: Heute reicht ein einfacher Nachweis nicht, es muss statistisch sehr, sehr wahrscheinlich sein. Außerdem wünsche ich mir mehr Möglichkeiten, sich zu beteiligen: Es gibt die freie Gutachterwahl im medizinischen Bereich – die müsste nun noch eingehalten werden. Und dann wäre es schön, wenn die Arbeitnehmer auch im arbeitstechnischen Bereich den Gutachter aussuchen könnten. Der kommt nämlich heute von der BG.

Und der entscheidet zugunsten der Berufsgenossenschaft?

Die Diskussion gibt es, aber das ist spekulativ. Man kann einen Sachverhalt mit einem Gutachten nicht umkrempeln. Aber es gibt natürlich Grenzfälle: Ab 20 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit gibt es eine Berufsrente. Bestimmt entscheidet sich da der eine Gutachter eher für 10 Prozent, der andere für 30. Und es ist möglich, dass ich als Gutachter zumindest glaube, dass es mehr Aufträge gibt, wenn ich häufiger ablehne. Ich denke, jede Seite hat so ihre Lieblingsgutachter.

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