Andrea Nahles hört auf: „Machen Sie’s gut!“
Nach Jahrzehnten löst sich Andrea Nahles nun endgültig von der SPD. Damit endet nicht nur ihre Karriere – sondern auch eine politische Ära.
Damit endet eine politische Ära, eine bemerkenswerte Karriere und ihr – misslungener – Versuch, die Sozialdemokratische Partei Deutschlands mit dem vollen Gewicht der eigenen Persönlichkeit vor dem Niedergang zu retten.
Dass sich also Andrea Nahles im Herbst 2019 aus dem politischen Geschäft zurückzieht, mag in turbulenten großkoalitionären Zeiten wie diesen wie eine weitere Meldung unter vielen wirken. Bei der Union fand gerade ein intrigant inszenierter Deutschlandtag der Jungen Union statt, auf dem junge Männer einen alten Lobbyisten wie Friedrich Merz gegen die gewählte Parteivorsitzende in Stellung gebracht haben.
Und die SPD tingelte seit Wochen mit einer rollenden KandidatInnen-Roadshow mit zahllosen Namen, Gesichtern, Geschichten durch die Lande. Dass sich eine der prominentesten SPD-Politikerinnen, die sich Jahrzehnte krumm gemacht hat für ihre Partei, pünktlich am ersten Tag der Urabstimmung aus dem Parlament abmeldet, mag da kaum noch auffallen.
13 Vorsitzende seit 1990
Gleichwohl ist die Rückzugsmeldung der 49 Jahre alten Andrea Maria Nahles mehr als ein Vollzug. Sie ist eine Respektsbezeugung gegenüber der Basis und eine erfrischend deutliche „Macht doch euren Scheiß alleine“-Message an die Funktionärsebene.
Denn wer immer als neue Doppelspitze ins Berliner Willy-Brandt-Haus einziehen mag – dass er und sie überhaupt die Möglichkeit dazu haben, liegt unter anderem daran, dass Nahles sich zurückzieht. Und das wiederum ist nicht nur, aber auch die unmittelbare Folge des mehr als handfesten Umgangs der SozialdemokratInnen untereinander.
Sage und schreibe 13 Vorsitzende hatte die Partei seit 1990, und da sind die kommissarischen Vorsitzenden noch nicht mitgezählt. Diese beachtliche Zahl lässt zweierlei Schlüsse zu. Erstens: Bei der SPD wird jedeR Vorsitzende alsbald verschlissen. Weil es, zweitens, in dieser Partei einen geradezu verdächtig wirkenden Wunsch nach starker Führung bei gleichzeitiger permanenter Infragestellung eben dieser gewählten Person gibt.
Am Ende, daran sei hier noch einmal erinnert, hat Nahles die Verantwortung übernommen für das miserable Abschneiden ihrer Partei bei der Europawahl: Gerade einmal 15,8 Prozent der Wählerschaft waren im Mai noch bereit, der einst stolzen Sozialdemokratie ihre Stimme zu geben. Kaum war das Desaster amtlich, hatte Nahles angekündigt, die Neuwahl zum Fraktionsvorsitz im Bundestag vorzuziehen.
Am Ende dauerte es dann aber nur noch wenige Tage bis zum Rückzug, auch vom Parteivorsitz. Zu unverhohlen waren zuvor die Rücktrittsforderungen gegen sie durchgestochen worden – als sei in diesen Zeiten SPD-Vorsitzende zu sein vergnügungsteuerpflichtig und jedeR halbwegs begabte Genossin mindestens ebenso geeignet.
Schon klar, Andrea Nahles hat immer kräftig ausgeteilt, hart ausgeteilt. Sie ist die „Bätschi!“-Frau, die „In die Fresse“-Politikerin, die schambefreit singende Fraktionsvorsitzende. Schwer erträglich, ja. Und hart vor allem zu sich selbst. Aber ihre eigene Partei war eben immer noch ein bisschen härter – am härtesten zu den Frauen in ihren Reihen. Und beinhart zu ihrer ersten Frau an der Spitze.
Nahles ist seit 1988 Parteimitglied. Die SPD war in diesen drei Jahrzehnten alles, was sie hatte und kannte. Sie war Juso-Chefin, Abgeordnete, Generalsekretärin, Bundesministerin, Fraktions- und Parteivorsitzende. Sie war laut und ja, sie hat auch Fehler gemacht. Aber immer musste sie sich gegen die Männer in der SPD erwehren. Sie ist burschikos, clever und schwer abzuschätzen, schon deshalb taugte sie nicht als Adresse für das gute alte Mansplaining.
Als sie 2013 SPD-Generalsekretärin und damit Wahlkampfmanagerin war, hielt es der damalige Kanzlerkandidat Peer Steinbrück für eine gute Idee zu erklären, ohne Andrea Nahles wäre sein Leben einfacher. Und die Abneigung zwischen dem damaligen Vorsitzenden Sigmar Gabriel und Nahles war Pausengespräch im Willy-Brandt-Haus.
Als sie als Arbeits- und Sozialministerin ein Gesetzesprojekt nach dem anderen durchsetzte, lobte sie niemand. Aber als Nahles ab 2017 Fraktions- und später 2018 Parteivorsitzende wurde, durfte sie sich immer wieder schlaue Kommentare vom dauerbeleidigten Ex-Vizekanzler Gabriel anhören.
Ein mieser Laden
Als Andrea Nahles am 3. Juni vom Partei- und Fraktionsvorstand zurückgetreten war, verließ sie noch vor der angesetzten Pressekonferenz mutterseelenallein die Parteizentrale.
Architektonisch ist das Gebäude an einen Tanker angelehnt. In den zurückliegenden Jahren war es zum Schlachtschiff mutiert, das in schwerer See vor allem die eigenen Truppen aufgerieben hatte. Nahles trug damals dunklen Anzug, weißes Shirt und war noch von ihren engsten Mitarbeiterinnen bis zur Drehtür begleitet worden, vor der die Kameras und Mikrofone standen.
Die letzten Meter musste sie allein zurücklegen. Ihr Mund lächelte, als sie sagte: „Ich habe mich gerade eben im Parteivorstand verabschiedet, ich bin zurückgetreten. Und ich wollte mich auch bei Ihnen persönlich verabschieden. Dankeschön, machen Sie’s gut.“
Man sah das und dachte: Was für ein mieser Laden das ist. Keiner aus dem Vorstand hatte es für nötig gehalten, die eigene Genossin, die sich jahrelang für die Partei aufgeopfert hatte, zu begleiten, ihr ein Stück Würde zu bewahren, Solidarität zu zeigen. Solidarität, das ist doch eines dieser Schlagworte, auf das diese alte Partei sonst immer so stolz ist.
„Bleibt beieinander und haltet zusammen“, hatte Andrea Nahles nach 31 Jahren SPD-Mitgliedschaft an ihre GenossInnen geschrieben. Prompt fand sich einer, der das Gegenteil beweisen wollte: „Die SPD braucht eine Entgiftung“, kommentierte Sigmar Gabriel den Rücktritt seiner eigenen Vorsitzenden. Der ehemalige Vizekanzler hatte da schon nichts mehr zu gewinnen – bei und in seiner Partei. Irgendwie folgerichtig, dass Sigmar Gabriel am selben Tag wie Andrea Nahles sein Bundestagsmandat abgeben wird.
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