Anarchos verletzen Urheberrecht: „‚Geistiges Eigentum‘ ist Humbug“
Wolfgang Krolows Bild wurde unter Linksradikalen zur Ikone. Jetzt fordert die Erbin des Fotografen Schadenersatz wegen seiner Reproduktion.
Krolow, geboren 1950, war ein Urgestein der sozialkritischen Fotografie. Das Zentrum seiner Motive war der Berlin-Kreuzberger Kiez der 70er- und 80er-Jahre. Krolow portraitierte Punks, Hausbesetzer*innen, migrantische Frauen, Kinder, Rentner*innen und arabische Jugendliche und zeichnete mit seinem Werk ein vielfältiges Bild einer Zeit zwischen Verfall und Utopie, Abriss und Stadtentwicklung.
Ende der 80er schlug die Gentrifizierung in Kreuzberg ein und Krolow gingen die Motive aus. Er reiste nach Wolgograd und Albanien, fotografierte Ansichten vom Leben zwischen Postsozialismus und Präkapitalismus und kehrte zurück nach Berlin, wo er die Inbesitznahme des Grenzstreifens durch die Anwohner*innen nach der Wende dokumentierte. In den letzten 15 Jahren kehrte etwas Ruhe in sein bewegtes Leben ein.
Das Bild von fünf spielenden Kindern auf einem Autowrack nahm Krolow 1980 auf, bekannt wurde es durch ein Poster der linken Zeitschrift „Radikal“. Darauf sieht man es leicht abgewandelt, ergänzt durch einen Spruch auf dem Autowrack: „We don’t want just one cake, we want the whole fucking bakery.“ In dieser Form wurde es zig-tausendfach reproduziert. Black Mosquito druckt es seit 2011 auf T-Shirts, Pullover und Jutebeutel und machte damit nach eigenen Schätzungen 4.000 Euro Umsatz, wovon 1.500 Euro Gewinn blieben. Bis vor einem Monat die Abmahnung in den Mail-Eingang flatterte – von Jörg Schaller, dem Anwalt der Erbin Krolows.
Die Zeitschrift „Radikal“ machte das Bild bekannt
„Wir wussten nicht, dass das Bild urheberrechtlich geschützt ist, weil es schon so lange überall kursiert“, sagt Wanja T., Mitglied des Kollektivs Black Mosquito. Der Onlineshop versteht sich als „nicht profitorientierter Mailorder mit Schwerpunkt auf anarchistischen, emanzipatorischen, linksradikalen Ideen und Praxen“. Seit der Abmahnung vertreibt das Kollektiv den Druck nicht mehr, aber den geforderten Schadenssatz von 7.000 Euro will es nicht zahlen – für das linke Projekt ist das eine sehr große Summe.
Außerdem zählen das Copyright und das Erbe nicht gerade zu den beliebtesten Konzepten unter Anarchist*innen. „Einem freien Fließen der Kreativität steht das Copyright diametral entgegen“, sagt T. „‚Geistiges Eigentum‘ ist für uns Diebstahl und kleinkarierter, fortschrittsfeindlicher Humbug.“
Bereichert habe man sich an dem Bild ohnehin nicht, wie solle das auch gehen mit einem nicht-profitorientierten Versand. „Was wir hier verdienen, reicht gerade mal zum Überleben“, sagt T. Sämtliche Gewinne flössen nach Abzug der Miete und Lohnkosten in emanzipatorische Projekte.
Krolows Erbin, Sigrid H., will die Urheberrechtsverletzung aber nicht auf sich sitzen lassen. „Ich bin dafür zuständig, Wolfgangs Werk zu schützen, und er hätte das sicher nicht geduldet“, sagt sie der taz. Klar sei Krolow der linken Szene immer verbunden gewesen, aber dass man sein Motiv einfach so auf T-Shirts drucke, gehe nicht, sagt H. Der Schriftzug auf dem Auto verfremde zudem das Bild, „er beschmutzt sein Erbe“, sagt die Erbin. In Richtung des Kollektivs fragt sie: „Wenn das Linke sind, warum treten sie dann so kapitalistisch auf und verwenden ein künstlerisches Motiv für Werbezwecke?“
Das Recht der Besitzenden
Das Kollektiv entschuldigte sich für die Urheberrechtsverletzung und schlug ein klärendes Gespräch vor – „schließlich bestand ja die Möglichkeit, dass sie uns für eine kommerzielle Klitsche hielt, die rücksichtslos alles verwertet, was irgendwie passt“, sagt Wanja T. H.s Anwalt lehnte ab.
Die Forderung über 7.000 sei moderat, gemessen an dem, was für Urheberrechtsverletzungen sonst so gefordert wird, sagt Schaller. Die Summe setze sich zusammen aus den 4.000 Euro, die Black Mosquito mit dem Bild eingenommen hat, und dem Lohn des Anwalts. „Ich will mich nicht bereichern und keine Existenzen zerstören“, betont die Erbin mehrfach.
Die Verhandlungen zwischen beiden Konfliktparteien laufen noch, aber rein rechtlich betrachtet steht Black Mosquito schlecht dar. Das Kollektiv weiß das: „Das Recht steht schon immer auf der Seite der Besitzenden“, schreibt es in einem Blogeintrag. Und endet mit einem Zitat des Autors Peter-Paul Zahl aus dem Vorwort eines Bildbands von Krolow: „Die Andere Kultur zur herrschenden Barbarei: Ein Lachen wird es sein, das euch beerdigt!“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Fußball WM 2030 und 2034
Der Profit bleibt am Ball