piwik no script img

Anarchistischer Philosoph wird 90Was Chomsky sagt, gilt

Noam Chomsky, Linguistikprofessor, Intellektueller, Medienkritiker und Star der Linken, wird am Freitag 90. Gebraucht wird er jetzt mehr denn je.

Sollte ruhig noch 1.000 Jahre weiterleben: Gesellschaftskritiker Noam Chomsky Foto: dpa

Während Donald Trump und seine Regierung weiterhin Geflüchtete jagen und kriminalisieren, findet ein Mann wie gewohnt klare Worte. Laut Noam Chomsky ist Trump ein „infantiler Größenwahnsinniger“, dessen Politik „kriminell“ sei. Die Flüchtlingsströme aus Südamerika verknüpft der berühmte Linguistiker und Philosoph mit der dortigen US-Außenpolitik, die in den letzten Jahrzehnten, ähnlich wie anderswo, brutale Regimes und Diktaturen unterstützte und dadurch Chaos und Zerstörung kreierte. Am Freitag wird Chomsky, der laut New York Times am meisten zitierte Intellektuelle der Welt, 90 Jahre alt.

Zur Ruhe gesetzt hat sich Chomsky allerdings noch lange nicht. Dies wurde abermals vor wenigen Wochen deutlich. Während weite Teile der westlichen Welt sich kaum für die jüngsten Präsidentschaftswahlen in Brasilien interessierten und elitäre Wirtschaftskreise den neofaschistischen Jair Bolsonaro als „ihren Kandidaten“ favorisierten, reiste Chomsky gemeinsam mit seiner Frau Valeria ins Land und besuchte den eingesperrten Ex-Präsidenten Lula da Silva im Gefängnis.

Da Silva ist kein einfacher Inhaftierter. Er wurde vielmehr von den neoliberalen Eliten, die die Macht im Land abermals an sich gerissen haben, nach einem fadenscheinigen Prozess im vergangenen Jahr ins Gefängnis verfrachtet. Seitdem gilt er als erster politischer Gefangener Brasiliens seit dem Ende der Militärdiktatur. Mit dem Sieg Bolsonaros ist jenes schlimmste Szenario eingetreten, vor dem Chomsky während seines Besuchs in Brasilien gewarnt hat.

Dass der ehemalige MIT-Professor etwas gegen Faschisten hat, wurde früh deutlich. Bereits im Alter von zehn Jahren schrieb er einen Artikel über den Aufstieg des Faschismus in Europa. Es war Chomskys erster Artikel, der veröffentlicht wurde. Es folgten zahlreiche weitere. Im Laufe seines Lebens hat Noam Chomsky über 100 Bücher veröffentlicht. Er revolutionierte die Linguistik und setzte mit seinen anarchistischen und medienkritischen Schriften Akzente wie kein anderer.

Eine aussterbende Sorte von Mensch

Im Zeitalter der Renaissance gab es den Uomo universale – Universalgelehrte, die in verschiedenen Themenfeldern mit ihrer Intelligenz und ihren Begabungen brillierten. Noam Chomsky ist ein moderner Uomo universale. Doch gleichzeitig gehört er – so traurig und hart diese Feststellung auch klingen mag – zu einer aussterbenden Sorte von Mensch.

Mit seinen anarchistischen und medienkritischen Schriften brillierte Chomsky wie kein anderer

In der gegenwärtigen Twitter- und YouTube-Dystopie, in der permanente Kriege, Migrations- und Fluchtbewegungen und Klimakatastrophen zum Alltag gehören und faschistische Reality-TV-Stars vom Schlag Trumps das Sagen haben, werden Menschen wie Chomsky immer seltener.

Noam Chomsky ist ein Gigant, der mehrere Generationen beeinflusst hat und der nicht nur von seinen Lesern, Bewunderern und Anhängern respektiert wird, sondern auch von vielen seiner politischen Gegner. Was Chomsky sagt, gilt – oder wird zumindest in irgendeiner Art und Weise deutlich aufgenommen.

Das bedeutet allerdings noch lange nicht, dass dieser Gigant unfehlbar ist. Chomskys Haltung zum Balkankrieg, zu den Verbrechen der Roten Khmer in Kambodscha sowie jüngst etwa auch zum Syrien-Krieg wurde im Laufe der Zeit auch von vielen seiner Fans kritisiert und in Frage gestellt.

Er wird weiterhin gebraucht

Auf Chomskys Gesamtwerk und seine damit verbundene Hinterlassenschaft für künftige Generationen nimmt Derartiges allerdings kaum Einfluss. Dabei ist es auch seine eigene Familiengeschichte, die ihn unter anderem zu dem gemacht hat, was er heute ist. Hitlers Reden konnte Chomsky noch im Radio hören und obwohl er sie nicht verstand, so bemerkte er die deutliche Begeisterung der Scharen, die sich um den „Führer“ versammelten. Sympathien für die Nazis gab es auch in Chomskys Nachbarschaft in Philadelphia, in der vor allem Iren und Deutsche lebten. Seine Familie gehörte zu den wenigen Juden in der Umgebung.

Das Buch

Von Noam Chomsky und Emran Feroz ist gerade das Buch „Kampf oder Untergang! Warum wir gegen die Herren der Menschheit aufstehen müssen“ im Westend-Verlag erschienen.

Auf diese Umstände macht Chomsky in diesen Tagen in Anbetracht aktueller Entwicklungen besonders aufmerksam. Sie sind wohl auch einer der Hauptgründe dafür, dass Chomsky sich seit jeher für Minderheiten starkmacht. Dies gilt nicht nur für Juden, sondern auch für Muslime und Araber. Bereits vor Jahrzehnten, in einer Zeit, in der sich in den USA niemand für die Rechte der Palästinenser interessierte, prangerte Chomsky die israelische Politik, die von Washington bis heute vehement unterstützt wird, lautstark an. Auch dem wurde nicht nur mit Beifall, sondern auch mit Kritik begegnet.

Heute lebt Chomsky in Tucson, Arizona. Im vergangenen Jahr hat er das MIT in Boston nach vielen Jahren verlassen. In der Wüste, nahe der Grenze zu Mexiko, lehrt er weiterhin im Fach Linguistik und gibt auch öffentliche Kurse, die für jedermann und -frau zugänglich sind. Seiner Rolle als kritischer public intellectual mit klaren moralischen Standpunkten wird er dabei abermals mehr als gerecht.

Im Afghanischen gratuliert man Menschen zum Geburtstag, indem man ihnen 1.000 weitere Lebensjahre wünscht. Dies kann und sollte man auch Chomsky wünschen, denn er wird weiterhin gebraucht – und das für mindestens noch weitere 1.000 Jahre.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

17 Kommentare

 / 
  • Alles gute Herr Chomski!

    Aber1 der Autor des Artikels hat das was nicht auf dem Schirm.....



    Chomski ist der Held der Antiimps, nicht der Linken und ein Anarchist ist er schon gar nicht......



    Aber er ist trotzdem ein guter :)

    • @siri nihil:

      Tja - Wer kennt sich schon?

      “Ich ist ein anderer“, erkannte der Dichter Arthur Rimbaud, den man auch „den Mann mit den Fußsohlen aus Wind“ genannt hat, und daß „Philosophieren sterben zu lernen bedeutet“, wissen wir seit den literatur-philosophischen Essays des Franzosen Michel de Montaigne, also immerhin seit mehr als vierhundert Jahren.…“



      Na bitte - Geht doch. Lesenswert - & ff



      www.deutschlandfun...m:article_id=81137



      & pp !;))

      &dess noch - so passend - ;)



      Die Analogie: Das Herz des Denkens by Douglas Hofstadter, Emmanuel Sander, (Susanne Held Übers.)



      www.spiegel.de/spi...t/d-126717981.html

  • Es lebe Mr. Chomsky! Hippippippipp Hurraaaa!

  • Könnten nicht unsere Politiker dazu verpflichtet werden, wenigstens e i n Buch von ihm zu lesen?

  • Sehr schöner Titel: "Was Chomsky sagt, gilt"

    Passend dazu: de.wikipedia.org/wiki/Halo-Effekt

    • @Existencielle:

      Na wat denn jetzt. Mr. Hallalocielli?

      “Bei einer positiven Verzerrung spricht man auch vom Heiligenschein-Effekt, bei einer negativen vom Teufelshörner-Effekt“

      Gildet? Mal Ehrlich - Gesagt?¡)

      • @Lowandorder:

        Nun, es ging mir darum, nochmal darauf hinzuweisen, worauf ja auch die Überschrift des Artikels anspielt: Manchmal gibt Noam Chomsky auch Quatsch von sich, aber auch der wird ihm oft trotzdem geglaubt, weil man von ihm Qualität gewöhnt ist.

  • 'Das 21. Jahrhundert ist die Zeit der Solidarität des Mutes der globalen Initiativen...'



    Was muss man sich denn einwerfen, um die Welt so zu sehen?

    • @Gregor Tobias:

      ist Antwort an @FRANK MÖGLING

      • @Gregor Tobias:

        Das was man sich da einwirft nennt sich "Hoffnung" - denn wenns das nicht wird, dann sieht das 21. Jahrhundert eher nach Untergang aus...

  • 90 Jahre alt zu werden ist wahrlich ein betagtes Alter, dafür herzlichen Glückwunsch.

    Den nachfolgenden Generationen die individuellen, kreativen, schöpferischen Fähigkeiten der Universal Gelehrten abzusprechen, andere Personen mit üblen Attributen zu bewerfen, sich der eigenen Berühmtheit zu rühmen, weil man der am meisten zitierte Intellektuelle der Welt ist oder über 100 Bücher geschrieben zu haben und sich selber als Giganten darstellen zu lassen, entspricht wohl eher der Verblendung einer Götzenverehrung als der Weisheit und Würde eines Universal Gelehrten des Senat, der sich seiner eigenen Vergänglichkeit bewusst ist und es nicht nötig hat ständig darauf hinzuweisen wie klug er ist und keinerlei Wert darauf legt sich von andern zu unterscheiden.

    Die Zeiten der persönliche sozialen und politischen Eitelkeiten der Gurus aus dem 20. Jahrhundert sind Gott sei Dank im 21. Jahrhundert endgültig vorbei, ebenso wenig benötigen wir den Chor der Schmeichler und Jünger, die sich immer dann zu Wort melden wenn es etwas von dem vermeintlichen Flitterglanz des Tinniff zu erben gibt.

    Das 21. Jahrhundert ist die Zeit der Solidarität des Mutes der globalen Initiativen, Kommunen, Kollektive, Genossenschaften und Recherche Teams der geistigen Aufklärung und des Willen zum entschlossenen Handeln aus wirklich und wahrhaftig menschlichem Mitgefühl, ohne nach dem Ruhm zu fragen.

    • @Frank Mögling:

      Woher hast du die Information, dass Chomsky den Autor darum gebeten hat, ihn so zu bezeichnen, wie er das gemacht hat? Rühmt Chomsky sich selbst so schlimm? Das wäre in der Tat recht unsympathisch.



      Ansonsten halte ich deinen Kommentar für schlecht: Du kanzelst das gesamte Werk Chomskys als Tinnef ab, weil es das Werk eines Einzelnen, besonders aktiven Menschen ist, ohne dabei ein einziges inhaltliches Argument zu liefern? Zugleich erscheint dir allein wegen seines Ursprungs alles das als gut, was Gruppen als Gruppen hervorbringen? Das ist etwas dünn, findest du nicht?

      • @Karl Kraus:

        schließe mich an.

        (Hatte das im ersten Lesen nicht überrissen - sorry.;(

        • @Lowandorder:

          :)

    • @Frank Mögling:

      Hab den Artikel noch nicht gelesen, aber Titel und Untertitel nach zu urteielen (verbunden mit dem was ich über Chomsky weiss), trifft dein Kommentar, Frank, ziemlich genau den Kern von dem was ich sagen wollte - Danke!

  • Genau! 1000 weitere Jahre Noam Chomsky!

    • @Gagarin:

      Liggers - anschließe mich - euch vieren hier.(derzeit;))



      &



      Chapeau Mr. Noam Chomsky.



      Happy Birdsday & alles that stuff!;)



      Masel tov.