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Anarchischer Film aus HamburgEine anarchistische Nummernshow

Pachet Fulmens Langfilm „Durch die Nacht mit Wanda Wandalis“ ist ein wildes Vergnügen. Auch wenn ihr Dietrich Kuhlbrodt darin fast die Schau stiehlt.

Auch ein Wannenband sorgt im Wanda Wandalis-Film nicht für pure Entspannung Foto: Fulmen

Dies sei ein „Film, in dem nichts passiert“. So spricht Pachet Fulmen in ihrem eigenen Film „Durch die Nacht mit Wanda Wandalis und die Krossen Kerle“, bei dem sie für Idee, Buch, Regie, Zeichnungen, Animation, Styling und einen Teil der Musik verantwortlich ist und natürlich auch noch die Titelrolle spielt. „Mein erster Kunstfilm“ nennt sie ihn dann etwas später.

Beide Sätze wurden mal dahingesagt, als gerade eine Kamera lief und ein Mikro offen war. Und beim Schnitt blieben sie dann drin – einfach, weil sie witzig sind. Und so fröhlich mutwillig werden in dem Film auch sonst Stile und Inhalte zusammengeworfen, Regeln des ordentlichen Filmemachens ignoriert und das genutzt, was während den Dreharbeiten halt gefunden wurde.

Das gilt auch für den Titel: „Die Krossen Kerle“ ist der Markenname jener Kartoffelchip-Sorte, die Dietrich Kuhlbrodt gerne isst. Und weil Pachet Fulmen als die Kunstfigur Wanda Wandalis in ihrem Film eine ganze Reihe von sich mehr oder weniger machohaft gebärdenden Männern trifft, passen die „Krossen Kerle“ perfekt in den Titel.

Und ja, Dietrich Kuhlbrodt, das Gesamtkunstwerk und Enfant Terrible der Hamburger Justiz, dessen Filmporträt „Nonkonform“ gerade in den Kinos angelaufen ist, spielt auch mit im dem Film.

Ein Akteur aus Schlingensiefs Erbmasse

Er droht in der ersten Viertelstunde des Films Pachet Fulmen tatsächlich die Show zu stehlen, weil er eine begnadete Rampensau ist und keine Hemmungen hat, vor der Kamera das von Wanda Wandalis verführte Männchen zu geben, nach ihren Brüsten zu lechzen und sexuelle Handlungen zu simulieren.

Den Kuhlbrodt hat Pachet Fulmen sozusagen von Christoph Schlingensief geerbt, dessen geplant chaotischer Art des Filmemachens sie hier nacheifert und in dessen Filmen und Performances Kuhlbrodt immer wieder gerne die Sau raushängen ließ.

In „Durch die Nacht mit Wanda Wandalis und die Krossen Kerle“ droht er eine Zeitlang die Regisseurin bei ihrem Langfilmdebüt mit seiner Energie und Frechheit zu überrennen. Aber spätestens beim Schnitt hat sie wieder das Sagen, und so schaut Kuhlbrodt ziemlich bedröppelt in die Kamera, wenn Pachet Fulmen ihm mitteilt, gerade würde die letzte Einstellung mit ihm gedreht.

Denn der Hauptgang des Films ist der im Titel versprochene Bummel „durch die Nacht“, bei dem Wanda Wandalis eine ganze Reihe von Jungs und Männern trifft, die ihr vor die Füße fallen. Mal in einer Bomberjacke, mal in extrem hochhackigen Schuhen (in denen Pachet Fulmen nach eigenem Bekunden ständig umzuknicken drohte) trifft sie Sportwagenfahrer, Esoteriker und HipHopper, die in ihren Songs begeistert über sie rappen.

Ein Posaunenspieler spielt an einer nächtlichen Straßenecke solo eine Serenade für sie, und eine Gruppe von 14-jährigen TicTokern bringt sie dazu, ihre Handys zu begraben, in den nächtlichen Sternenhimmel zu schauen und gemeinsam einen Baum zu umarmen.

Ursprünglich (es gibt sogar ein Drehbuch) sollte dies eine Parodie auf die vor einigen Jahren populären Fernsehshows sein, in denen Prominente nachts durch die Stadt streiften und auf andere Prominente trafen.

Aber zum Glück franste dieses Konzept jetzt an den Rändern heftigst aus, und nun ist der Film eine anarchistische Nummernshow geworden, bei der ständig Animationen von Fulmens Zeichnungen über das Bild tanzen, mit denen mit Fritz-Kola, Always-Binden und eben den Krosse Kerle Kartoffelchips (unbezahlt) Product Placement betrieben wird.

Und immer wieder verwandeln sich die Spaziergänge durch das nächtliche Hamburg in Musikvideos, von denen eines mit dem Titel „Tiefsee Baby“ bei der Vorstellung sogar als Vorfilm gezeigt wird.

Die Multimediakünstlerin Pachet Fulmen hat sich mit ihren Ölbildern, Installationen, Performances und Kurzfilmen als ästhetische Grenzüberschreiterin einen Namen gemacht. Einer ihrer frühen künstlerischen Triumphe bestand darin, dass YouTube jahrelang wegen „Nacktheit“ ihren Kanal sperrte.

Mit jeder Einstellung ein neuer Haken

Dass sie Humor hat, beweist etwa der Titel ihres Kunstdrucks „Totale Fatal-Verführung eines virtuellen Fleischklopses“, der für 149 Euro über ihre Homepage zu erwerben ist. Komisch ist auch der neue Film „Wanda Wandalis“, in dem sie sich selbst als Superheldin zelebriert, die im Sturm solche maskulinen Domänen wie das breitbeinige Sitzen erobert.

Dies ist ein Film, der mit jeder Einstellung einen neuen Haken schlägt und bei dem es auch nicht weiter überraschen würde, wenn Wanda Wandalis sich in die Lüfte erheben und über das nächtliche Hamburg davonfliegen würde. „Vielleicht im nächsten Film.“, sagt Pachet Fulmen dazu.

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