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AnalyseJunker nach Polen?

■ Vertriebene wollen in erweiterter EU ihren ehemaligen Besitz zurück

In Schlesien, Pommern und dem südlichen Ostpreußen stürmen die dort lebenden Polen schon seit Monaten die Grundbuchämter. Viele wohnen seit Kriegsende in Häusern und auf Bauernhöfen, die einst den Deutschen gehörten. Sie wollen, bevor Polen in die Europäische Union aufgenommen wird, das Eigentumsrecht an den bisher nur gepachteten Immobilien erwerben. Die Angst, daß die Vertriebenen doch noch zurückkommen und ihr früheres Eigentum zurückfordern könnten, schüren die Landsmannschaften in Deutschland ganz bewußt. Immer häufiger treffen in Polen Briefe mit deutschen Forderungen nach der Rückgabe des früheren Eigentums oder einer Entschädigung ein.

Die Vertriebenen berufen sich auf die Haager Landkriegsordnung von 1907, die in der Europäischen Union verbindlich sei und folglich auch von Polen nach seinem Beitritt respektiert werden müsse. Allerdings scheinen die Vertriebenen weder den Text gelesen zu haben noch mit der Geschichte vertraut zu sein: In Artikel 46 heißt es, daß ein Staat, der im Krieg das Territorium eines anderen Staates zeitweise besetzt, dort kein Eigentum konfiszieren dürfe. Polen aber hat nach dem Zweiten Weltkrieg weder Schlesien noch Pommern oder Ostpreußen besetzt. Vielmehr haben die Siegermächte USA, Großbritannien, Sowjetunion und Frankreich in Potsdam beschlossen, daß diese Gebiete Polen bis zur endgültigen Regelung in einem Friedensvertrag zur Verwaltung übergeben werden. Die Bevölkerung sollte – auch dies ein Potsdamer Beschluß – ausgesiedelt werden. Über Eigentumsfragen hatten sich die Siegermächte keine Gedanken gemacht. In Polen wurde der Zugewinn der Gebiete im Westen als Kompensation für die Ostgebiete verstanden, die den Potsdamer Beschlüssen gemäß an die Sowjetunion fielen.

Heute ist sicher, daß es nie zu einem Friedensvertrag kommen wird. Verbindlich sind die bilateralen Verträge zwischen Polen und Deutschland. Die Grenzen sind endgültig anerkannt, somit gehören auch die ehemaligen deutschen Ostgebiete endgültig zum Staatsgebiet Polens. Zwar ist die Frage des Eigentums der Vertriebenen in den Verträgen nicht eigens geregelt, doch keine der deutschen Regierungen hat diese Frage jemals zu einer offiziellen Forderung erheben wollen. Damit ist auch in Zukunft nicht zu rechnen, da eine solche Position nur eines zur Folge hätte: die politische Isolierung Deutschlands innerhalb Europas. Da die Bundesregierung aus Rücksicht auf das Wählerpotential der Vertriebenen kein offenes Wort in dieser Frage spricht, die Briefe mit den Rückforderungen aber nach wie vor in Polen eintreffen, dürften sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen in den nächsten Monaten weiter abkühlen. Gabriele Lesser

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