Analyse Urteil gegen Kriegsverbrecher: Späte Strafe für Kongo-Schlächter
Mit dem Schuldspruch gegen Milizenführer Bosco Ntaganda kehrt der Internationale Strafgerichtshof zu früherer Härte zurück. Details sind aber fragwürdig.
Die 49 Toten vom Bananenhain von Kobu Ende Februar 2003 sind das wohl schrecklichste Einzelverbrechen, für das Bosco Ntaganda, Militärchef der kongolesischen Rebellenbewegung UPC (Union Kongolesischer Patrioten) und ihres bewaffneten Arms FPLC (Patriotische Kräfte zur Befreiung des Kongo), am Montag vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) verurteilt worden ist.
Die 6. Strafkammer des Weltgerichts sprach den Warlord in allen 18 Anklagepunkten schuldig: Mord, Angriffe auf Zivilisten, Vergewaltigung, sexuelle Versklavung, Verfolgung, Plünderung, Zwangsumsiedlung, Vertreibung, Kinderrekrutierung, Angriffe auf geschützte Objekte, Zerstörung von Besitz, jeweils als Kriegsverbrechen oder/und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Nachdem der IStGH zuletzt den ehemaligen Präsidenten der Elfenbeinküste, Laurent Gbagbo, sowie in der Berufung den ehemaligen Vizepräsidenten des Kongo, Jean-Pierre Bemba, freigesprochen hatte, kehrt es mit dem Schuldspruch gegen Ntaganda zu einer harten Linie zurück – und zum juristisch umstrittenen Konzept eines „gemeinsamen Plans“, mit dem Führer einer Organisation gemeinsam für die Taten dieser Organisation haften.
Ein militärischer Führer, kein politischer
Das liegt auch daran, dass Bosco Ntaganda, Soldat seit dem Alter von 17 Jahren und an allen Kriegen Ruandas und Kongos von 1991 bis zu seiner Festnahme 2013 beteiligt, ein reiner Militärverantwortlicher ist. Er ist kein politischer Führer wie Gbagbo, Bemba oder auch der in Deutschland vor Gericht gestellte ruandische Milizenpräsident Ignace Murwanashyaka, der im April in der Haft verstarb.
Die UPC-Rebellenbewegung rekrutierte sich aus der Hema-Volksgruppe in Kongos Nordostprovinz Ituri. Sie wurde von Ruanda und von kongolesischen Tutsi-Kämpfern wie Ntaganda unterstützt, da ihre Feinde der Lendu-Volksgruppe mit Hutu-Milizen zusammenarbeiteten. UPC-Führer nannten ihre Gegner kollektiv „Terroristen und Völkermörder“ und bezeichneten ihren eigenen Krieg als „Revolution“. Der „gemeinsame Plan“ der UPC/FPLC-Führer, so der Richter in seinem mündlichen Urteil, war, „alle Lendu aus den angegriffenen Gebieten zu vertreiben“ und „die Lendu-Gemeinschaft zu zerstören und zu zerschlagen“.
Ntaganda hatte ab 1999 in einer „Chui Mobile Force“ Hema- und Tutsi-Kämpfer gesammelt, die in Uganda ausgebildet und von Ruanda ausgerüstet wurden. Er stellte sie der UPC als Armee zur Seite, als diese sich 2002 angesichts zunehmender Massaker und Vertreibungen von Hema von einer politischen in eine bewaffnete Gruppe verwandelte. Ntaganda stieg zum Stabschef auf. Er organisierte seine Kämpfer als reguläre Armee. Die UPC eroberte im August 2002 Ituris Hauptstadt Bunia und weitete danach ihre territoriale Kontrolle aus.
Ntaganda plante und leitete dem Urteil zufolge die Eroberung von Mongbwalu im November 2002, Herz des Goldbergbaus der Region. Der Befehl habe gelautet, „auf alles zu schießen, was sich bewegt“, sagte ein beteiligter Soldat aus. Sein Kommandeur Salumu Mulenda habe versprochen, nach der Einnahme von Mongbwalu würden die Buschkämpfer „Geld erhalten, auf Matratzen schlafen, zu Essen bekommen und Frauen haben“.
Gericht hält Zeugenaussagen für glaubwürdig
Ntaganda bezog Quartier im Wohnheim der Goldmine, während die UPC-Kämpfer von Haus zu Haus gehen durften, „um zu plündern und Menschen, die Widerstand leisteten, zu verschleppen, einzuschüchtern und zu töten“, so das Urteil. Als ein alter katholischer Lendu-Priester, Abbé Bwanalonga, zu Ntaganda gebracht wurde, sah ein Zeuge laut Urteil, „wie Ntaganda den Abbé verhörte und ihn dabei mit einem Holzscheit schlug. Dann schoss Ntaganda den Abbé tot.“ Auf diesen Vorfall gründet die Verurteilung des Warlords wegen Mordes in „direkter Täterschaft“.
Nach der Einnahme von Mongbwalu jagten die UPC-Soldaten den Feind weiter. Im Ort Sayo soll Ntaganda der Brigade von Mulenda befohlen haben, mit Raketen auf eine Gruppe von Zivilisten zu schießen, die einen Berg hinaufstiegen.
Das Gericht belastet Ntaganda auch mit diesem Vorfall, obwohl es dabei keine Verletzten gab, und hält die Zeugenaussage dazu für „glaubwürdig und verlässlich“, obwohl sogar laut Urteil keine schweren Waffen nach Sayo gebracht worden waren und die Zivilbevölkerung Sayo da bereits verlassen haben soll.
Ein Anführer der Gegenseite kam frei
Bei solchen Einzelheiten bewegen sich die Den Haager auf dünnem Eis. Es befremdet auch, dass einer der Lendu-Milizenführer von damals, Mathieu Ngudjolo, in Den Haag vor Jahren freigesprochen wurde – er führt heute wieder Krieg gegen Hema-Dörfer in Ituri. Der Hema-Seite wird ihre bessere Organisation zum Verhängnis.
Unstrittig ist aber das Massaker vom Bananenhain von Kobu. In diesem Dorf hatte die UPC ein Gefängnis in einem verlassenen Haus namens „Paradiso“ eingerichtet. Lendu-Frauen mussten dort für die UPC-Soldaten kochen oder wurden vergewaltigt. Eines Nachts wurden die Lagerinsassen hinausgeführt und im Bananenhain erschossen. Die Zeugin, die das schilderte, blieb am Leben, weil UPC-Kommandeur Mulenda sie zum Beischlaf abkommandierte. All dies nahm vor Gericht breiten Raum ein, die Leichen wurden exhumiert.
Aber Ntaganda selbst war gar nicht in Kobu. Er soll lediglich Mulenda gelobt haben. Bleibt die Frage, warum Mulenda selbst nicht vor Gericht steht. Die Antwort: Er verließ 2003 die UPC, wurde regierungstreu und starb 2011 in einem Hinterhalt als Oberstleutnant der kongolesischen Armee. Ntaganda, der sogar Armeegeneral geworden war, zog 2012 in den Krieg als Rebell, stellte sich 2013 der US-Botschaft in Ruanda und wurde nach Den Haag überstellt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml