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An der eigenen Vision arbeitenDieses Kribbeln im Bauch

Michael Obert hat in der taz seinen ersten Text über Seepferdchen geschrieben, dann wurde er zum ausgezeichneten Auslandsreporter.

Michael Obert on the road Foto: privat
Edith Kresta
Interview von Edith Kresta

taz: Michael, du hast Betriebswirtschaft studiert, warst im gut bezahlten Management tätig und bist dann ein erfolgreicher Journalist mit ungewöhnlichen Themen geworden. Was hat dich getrieben?

Michael Obert: Als Jungmanager damals wusste ich nur, was ich nicht wollte: Krawatten tragen, Büropflanzen aus Plastik und ein Job, der nichts mit mir zu tun hatte.

Und dann bist du in die Welt gezogen.

Ich war 27, als ich kündigte, um mit dem Rucksack zwei Jahre durch Südamerika zu ziehen. Mit einem anderen Reisenden tauschte ich ein Buch gegen zwei Bände des britischen Reiseschriftstellers Patrick Leigh Fermor. Diese beiden Bücher haben alles verändert. Sie haben mich nicht mehr losgelassen.

Im Interview: Michael Obert

Er berichtete als Auslandsjournalist vor allem aus Afrika und dem Nahen Osten. Bekannt wurde er durch seinen Bestseller „Regenzauber“, in dem er seine siebenmonatige Reise von der Quelle bis zur Mündung des Niger in Westafrika beschreibt. Für seine journalistische Arbeit erhielt er zahlreiche Preise. Sein Regiedebüt „Song from the Forest“ wurde mit mehreren internationalen Dokumentarfilmpreisen ausgezeichnet und schaffte es 2016 in die Vorauswahl für die Oscars. Heute lebt Michael Obert als Life-Coach und Business-Coach in Berlin.

Fermor, der in 30er Jahren von Rotterdam quer durch Europa bis nach Konstantinopel gewandert ist, wurde dein Vorbild?

Ja, ein wissbegieriger Mensch mit einem großen Aufbruch in seinem Leben. Seine Bücher habe ich damals nicht eingetauscht, sondern aus Südamerika nach Hause geschickt. Das hat mich wahrscheinlich ein Wochenbudget gekostet. Danach habe ich Fermor immer mit mir herumgetragen.

Bis du ihn schließlich in Griechenland ausfindig gemacht hast?

Fast 15 Jahre später, ja. Ich suchte ihn auf dem ganzen Balkan und fand ihn auf dem Peloponnes. Er öffnete mir die Tür seines Hauses, frisch frisiert und rasiert – und im Anzug. Patrick Leigh Fermor konnte nicht nur wunderbar schreiben, er hatte auch Stil. Er war schon fast hundert Jahre alt.

Deine ersten journalistischen Versuche hast du in der taz-Wirtschaftsredaktion gemacht.

Nach zwei Jahren kam ich aus Südamerika zurück und wollte meinen Kindheitstraum verwirklichen, Auslandsjournalist werden. Das Dumme war: Bis dahin hatte ich außer meiner Diplomarbeit in Marketing nie etwas geschrieben. Ein Praktikum bei der taz – das klang vernünftig, um mal in den Journalismus reinzuschnuppern. Ich erinnere mich genau: Meine erste Geschichte, kaum mehr als eine Spalte, schrieb ich über Seepferdchen.

Dann bist du wieder gereist?

Danach war ich gut zwei Jahrzehnte als Journalist unterwegs, vor allem in Afrika und im Nahen Osten. Reisen war und ist für mich ein Lebenselixier. Freiheit. Neugier. Lernen. Dieses Kribbeln im Bauch, wenn du nicht weißt, was hinter der nächsten Straßenkurve oder Flussbiegung auf dich wartet. Das ist für mich eines der größten Gefühle. Eine wirklich gute Reise überrascht, verwirrt, irritiert und rückt den inneren Kompass immer wieder von Neuem zurecht.

Freiheit, Abenteuer, schöne Geschichten?

Die ersten zehn Jahre. Ich habe es geliebt, für ein paar Wochen eine Schotterpiste in Patagonien hinunterzufahren oder mit Mönchen in Bhutan zu leben, um darüber eine unterhaltsame Reportage zu schreiben. Als ich etwa 40 war, hat mir das dann aber nicht mehr gereicht. Ich habe mein Leben immer als eine Forschungsreise betrachtet. Ich wollte tiefer graben, über ernsthaftere Themen schreiben, die dort draußen wirklich etwas bewegen konnten. Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Ich wollte mehr Sinn in meine Arbeit bringen.

Danach hast du überwiegend aus Afrika und dem Nahen Osten berichtet. Über Menschenrechte, Rohstoffe, Migration, auch über sehr harte Themen: Menschenhandel, Folter, Terrorismus, Krieg.

Nachdem ich die Schönheiten der Welt erkundet hatte, führten mich meine Reisen in die finstersten Abgründe des Menschseins. Mehr als zehn Jahre habe ich aus Krisen- und Kriegsgebieten berichtet, mich dort allerdings weiterhin meist auf die ganz einfachen Menschen konzentriert. Bauern in Afghanistan oder Somalia, Fischer im Nigerdelta oder Arbeiter, die im Ostkongo mit bloßen Händen irgendein Erz aus den Minen kratzen, ohne das unsere Handys nicht funktionieren würden. Ich komme selbst aus einer Arbeiterfamilie, die Intellektuellen und die Politiker in diesen Ländern haben mich nur sekundär interessiert als – ich sag’s mal böse – Lückenfüller, weil man ihre Stimmen für einen handwerklich soliden Text im investigativen Bereich braucht.

Zur Freiheit gehört auch Unabhängigkeit. Hast du Familie?

Ich lebe in einer glücklichen Partnerschaft und habe keine Kinder. In all diesen Jahren des Umherziehens bin ich nur wenige tiefe Bindungen eingegangen. Ich habe zum Beispiel auch keine Tätowierung. Viele meiner Freunde sind von oben bis unten tätowiert. Ich komme ursprünglich aus dem kulturellen Underground. Freiburger Szene in den Achtzigern. Punkrock. Nein, eine Tätowierung schien mir einfach zu endgültig.

Du hast heute zwar noch eine Reporter-Akademie in Berlin, an der du deine Erfahrung weitergibst. Aber aus dem aktiven Journalismus bist du ausgestiegen und hast dich als Coach noch mal neu erfunden. Warum der Wechsel?

Nach mehr als zwanzig Jahren Auslandsjournalismus, den ich begeistert und leidenschaftlich bis in die Haarspitzen gelebt habe, war das Forschungsfeld „Welt“ für mich abgegrast. Im Schönen wie im Hässlichen. Auch der spannendste Job wiederholt sich irgendwann.

Vom Jungmanager zum Auslandsjournalisten, zum Coach. Was befähigt dich dazu?

Der rote Faden ist ein aufrichtiges und sehr tiefes Interesse für Menschen. Was macht uns aus, wie ticken wir? Welche Wünsche, Träume, Ziele verfolgen wir? Antworten auf diese Fragen zu finden hat mich als Journalisten in die hintersten Winkel unseres Planeten geführt. Und um dieselben Fragen geht es jetzt auch im Coaching. Im Journalismus ging es darum, etwas herauszufinden, es aufzubereiten und zur Verfügung zu stellen in Form von Text. Im Coaching geht es darum, Menschen dabei zu unterstützen, dass sie selbst etwas für sich herausfinden, um es dann bestmöglich in ihr Leben zu bringen.

Du hast dich auf Vision spezia­lisiert?

Dieses Thema hat mich immer fasziniert. Meine Texte sind voll von Visionären. Menschen wie der Amerikaner Louis Sarno. In den 1980ern hörte er im Radio eine Musik, die ihn nicht mehr losließ: Pygmäen­gesänge. Er kaufte sich ein Ticket nach Zentralafrika, fand tief in den Regenwäldern bei Jägern und Sammlern seine Musik – und kehrte nie mehr zurück. Als ich im Kongobecken zwanzig Jahre später zufällig auf ihn stieß, hatte er mehr als tausend Stunden dieser magischen Klänge aufgezeichnet, um sie vor dem Verschwinden zu bewahren Dann war da noch Ásbjörn Thorgilsson, ein schweigsamer Grauhaariger mit Stoppelbart. Im äußersten Nordwesten Islands, in der Einsamkeit der zerklüfteten Strandir-Küste, hatte er die Ruine einer alten Heringsfabrik gekauft. Tagein, tagaus schweißte er in den labyrinthischen Hallen wie besessen verrostete Maschinenteile, Trockenrohre, Fischöltanks und Schiffsschrauben zu einem surreal anmutenden Kunstwerk in der eisigen Stille der Fjorde zusammen.

Andrea Turkalo verbrachte ihr Leben auf einer afrikanischen Waldlichtung. Als ich die amerikanische Biologin besuchte, arbeitete sie seit Jahren an einem Wörterbuch der Elefantensprache.

Jeder Mensch ein Visionär?

Absolut! Nur wissen es die wenigsten. An der eigenen Vision zu arbeiten, sie greifbar zu machen und zu formulieren ist wichtig, weil wir alle wichtigen Entscheidungen im Leben an ihr ausrichten können.

Was sind das für Menschen, die zu dir ins Coaching kommen?

Das reicht von der Balletttänzerin und dem Opernsänger über Top-Führungskräfte und Politikerinnen bis zu Spitzensportlern und Personen des öffentlichen Lebens. Sie alle vereint, dass sie an einer Schnittstelle in ihrem Leben stehen und sich neu ausrichten wollen.

Und das Reisen – nicht nur wegen Corona – war gestern?

Für mich war das Unterwegssein immer viel toller, als darüber zu schreiben. Kurz vor Corona war ich noch mal in Afrika unterwegs. Ich hatte so eine große Sehnsucht, dass ich mir ein One-Way-Ticket nach Dakar kaufte. Wochenlang ließ ich mich durch Senegal, Gambia und Guinea-Bissau treiben. Ziellosigkeit. Leichtigkeit. Sich selbst und das Leben spüren.Ich bin jetzt mit dem Reisen wieder da, wo vor fast dreißig Jahren alles für mich begonnen hat.

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