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Amüsant feiern in OldenburgDas Theater macht sich nackig

Mit dem neuen Festival „Banden!“ will sich das Staatstheater in Oldenburg für performative Formate und demokratische Arbeitszusammenhänge öffnen

Gefesselt von der Befreiung der Frau erzählen: Szene aus „Gulliveras Reise“ der Gruppe „Das Helmi“ Foto: Stephan Walzl

Das Theater soll sich nackig machen. Zur Eröffnung lässt Oldenburgs Schauspieldramaturg Marc-Oliver Krampe keinen Zweifel daran, worum es beim neuen „Banden!“-Festival gehen soll: „Ziehen sie sich aus und lassen sie sich gehen“, ruft er dem Publikum zu. Akteure eines offenen künstlerischen Diskurses sollen sie sein, inszenierte Begegnungsorte laden zum chilligen Nachdenken (Reflexionssessel aus Omas Wohnzimmer), zum knuddeligen Näherkommen (Bettenlandschaft), zur seligen Nachhaltigkeit (Bar) und zu hitzigen Nacktgesprächen in einer Fasssauna.

Dass das Theater sich nackig machen soll, heißt für Krampe, den Wandel von hierarchischen zu demokratischen Arbeitszusammenhängen zu beginnen und den „Abschied vom Kerngeschäft“ fortzusetzen. Es gelte, das Ableben des Literatur- und Regietheaters voranzutreiben und durch performative Formate zu ersetzen. Also lüftet er dort erst mal durch, mit subversiven Aktionen der Hildesheimer Eliteschule des performativen Künstlerns. Am dortigen Institut für Medien, Theater und populäre Kultur hat der Dramaturg studiert – und kam als Dozent zurück, um zwei Semester „Resetting Staatstheater“ zu lehren. Das Ergebnis ist die Festivalpraxis des Banden-Bildens.

Für die Banden meldeten sich sechs Oldenburger Ensemblemitglieder freiwillig für drei mehrwöchige Probenphasen mit Performern von „Das Helmi“ sowie „Markus & Markus“. Und fingen bei null an. In einer Konzeptionsphase sollte erst mal herausgefunden werden, was Theater ist, anschließend guckte jeder in sich hinein, ethnologisch in die Welt hinaus und googelte durchs Internet. Dazu gab es Workshops in Sachen Live-Art, Medienkunst und einen Crashkurs von She She Pop zu kollektivem Arbeiten und Projektentwicklung.

Während des Festivals wird nun mit Zuschauern diskutiert, was sie denn davon haben, wenn Schauspieler alles selbst machen. Was die davon haben, ist klar: viel gelernt. „Ihr seid jetzt alle knallharte Perfomer“, adelte Krampe das teilnehmende Sextett zur Festivaleröffnung. Was für die beiden Eigenproduktionen auch notwendig war – sich nackig machen sowieso.

Mösenschleim, Hurensöhne sind so Worte, die aus den Lautsprechern purzeln. Nebel wird in die Bühnenluft gehaucht, zwei Frauen inszenieren ihre Brüste, Pobacken und Scham zu Softporno-Kalenderposen. Als Möhren zur Klitorisstimulation angesetzt werden, schleichen die Performer herein, tragen aus Schaumstoffresten gebastelte Puppen in Blumengestalt und becircen hauchend ein ebenso knautschiges Bienenobjekt: „Hey, komm zu mir.“ Kein Zweifel: Es geht um Sex.

„Gulliveras Reise“ nimmt im Helmi-Design einige Möglichkeiten in den Blick, erregt zu werden, um Orgasmen zu erleben. Mit dem Sponti-Charme des betont Unfertigen dargeboten, wirkt der Abend angenehm entheikelnd – obwohl Bondagekünstlerin Dasniya Sommer dabei ist, also viel gefesselt wird. Zum Beispiel an Gulliver, der hier eine Frau ist, also Gullivera heißt. Während das Ensemble ihren Körper mit Bindfäden arretiert und die Haare an den Boden tackert, erzählt sie von Feminismus und der Befreiung der Frau in den revolutionären Zeiten Russlands, „Gleichstellung per Gesetz“, wirft Helmi-Mastermind Florian Loycke einschränkend ein.

Ebenso gebrochen die Mitteilung Gulliveras, sie haben sich bereits mit sieben Jahren emanzipiert – weil ihre Eltern nie zu Hause waren. Immer wieder stehen die Bühnenfiguren erfrischend ernsthaft als Darsteller ihrer selbst im Scheinwerferlicht. Klaas Schramm erzählt vom Entlieben und wie er 1.000 Euro von einem Onanierer dafür bekam, auf High Heels einen Laptop betrampelt zu haben. Florian Loycke propagiert die Abkehr von „der völlig überbewerteten vorderen Körperhälfte“ und die Hinwendung zur Frauen und Männer gleichstellenden Rückfront inklusive Lobpreisung des Anus. Nur ergibt sich aus all den salopp theatralisierten Zeichenresten und ironischen Infragestellungen bei konsequentem Ignorieren aller Regieregeln nichts Neues. Schnipsel bleiben Schnipsel, nackt einfach nur nackt.

Bei „Markus & Markus“ müssen die Mitstreiter schwindelfrei sein bei der Gratwanderung zwischen Bühnenillusion, Reality-TV und (ihrer eigenen?) Realität. Jens Ochlast behauptet in „Die Rache“, nur Schauspieler geworden zu sein, weil er nicht Sprengmeister werden durfte. Das wird später noch wichtig. Lisa Jopt hat das Ensemble Netzwerk gegründet, um auf den Mangel an Mitbestimmung und fairer Bezahlung sowie die Burn-out-Arbeitsbedingungen am Stadttheater hinzuweisen.

Auf der Bühne wird Jopts Kündigungsschreiben vorgelesen, dazu tanzt sie im schwarzen Ganzkörpertrikot. Drei Kollegen stimmen als Mitklatschnummer Katja Ebsteins Ode ans „Theater“ an, was Markus und Markus für Käse halten und sich mit einem entsprechenden Requisit vergnügen. Zur Bestärkung kotzen drei Kollegen in einen Bottich und erklären, was alles in den Körper hineingeschüttet werden muss, damit dieser Theatereffekt gelingt.

Daraufhin versuchen Jopt und ihr Partner Pirmin Sedlmeir zu weinen, was nicht gelingt. Aber angemessen wäre, denn noch trauriger als die Armutsfalle Schauspielerei ist Sedlmeirs verwirrende Entwirrung von Rolle, Figur und Schauspieler bei der Ausformulierung seiner Biografie: den Demütigungen in der Kindheit – Aufbruch zum Rachefeldzug gegen die ehemaligen Peiniger.

Und da kommt dann das Sprengmeisterwissen ins Spiel. Eine Kamerafrau hält alles fest, die Reportage wird ins Bühnenbild projiziert – äußerst witzig. Sodass sich das szenische Drumherum schon Zirkusmittel bedienen muss, um als Kommentarebene wahrgenommen zu werden. Der sich vor lauter rampensäuischer Lust und Selbstreferentialität immer wieder verzettelnde Showdiskurs über die Wahrheit der Lüge des Schauspielens amüsiert durchweg.

Auch am heutigen Samstag sind noch Resultate der Banden-Bildung zu sehen. Unter anderem zeigen „Markus & Markus“ einen weiteren Film-Theater-Dialog, in „Ibsen: Gespenster“ begleiten sie eine 81-Jährige in den Freitod. Die Helmi-sierte Fassung von Pier Paolo Pasolinis Film „Große Vögel, kleine Vögel“ ist zu erleben.

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