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Ampelkoalition und AssangeFreiheit für den Whistleblower

Tobias Schulze
Kommentar von Tobias Schulze

Solange sie in der Opposition saß, bezog Baerbock klar Stellung für Assange. Als Außenministerin hält sie sich zurück. Das sollte sich ändern.

Seit 1000 Tagen in Haft: Julian Assange in einem Archivbild von 2019 Foto: Victoria Jones/dpa

S eit 1.000 Tagen sitzt Julian Assange am Mittwoch in einem britischen Gefängnis. Rechnet man die Zeit hinzu, in der er sich in der Botschaft Ecuadors der Polizei entzog, ist der Wikileaks-Gründer seit fast 10 Jahren gefangen. Galt er zuerst vielen als Spinner und wegen Vergewaltigungsvorwürfen zu Recht verfolgt, ist mittlerweile offensichtlich: Er sitzt nur noch ein, weil er amerikanische Kriegsverbrechen aufgedeckt hat. Lieber gestern als morgen gehörte er freigelassen.

Sogar ehemalige Mitglieder der Bundesregierung, wie Ex-Außenminister Sigmar Gabriel, setzen sich seit geraumer Zeit für Assange ein. Amtierende Kabinettsmitglieder halten es jedoch zuverlässig anders – bislang auch die der Ampel. Die Grünen und ihre Vorsitzende Annalena Baerbock hatten von den Bänken der Opposition aus noch klar vernehmlich gefordert, dass die britische Regierung Assange sofort frei lässt.

Baerbock, die Chefin im Auswärtigen Amt ist, nimmt sie sich in der Sache zumindest öffentlich wahrnehmbar zurück. Als im Dezember ein Gericht das Auslieferungsverbot für Assange vorläufig kippte, sagte sie nur knapp, sie kenne das Urteil noch nicht und könne ihren früheren Aussagen daher nichts hinzufügen. Mittlerweile hatte sie Zeit, das Urteil zu studieren. Trotzdem heißt es von der neuen Bundesregierung wie von der alten nur stoisch: Die Zuständigkeit liege bei der britischen Justiz.

Stimmt und stimmt nicht: Die britischen Gerichte entscheiden, ob die britische Regierung Assange ausliefern darf – nicht ob sie es muss. Politisch könnte die Bundesregierung sehr wohl London dazu auffordern, den Häftling zu entlassen oder an Washington appellieren, die Anklage fallen zu lassen. Am Mittwoch, pünktlich zum Assange-Jubiläum, fliegt Baerbock zu ihrem Antrittsbesuch in die USA.

Sie muss das Thema dort ansprechen. Allein schon der eigenen Glaubwürdigkeit zuliebe: Zum Amtsantritt hat sie eine deutlich hörbare und wertebasierte Außenpolitik angekündigt. Das darf nicht nur gegenüber China und Russland gelten, wo kein Rechtsstaat existiert. Es muss auch gegenüber Freunden gelten, wenn der Rechtsstaat bei denen mal nicht funktioniert.

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Tobias Schulze
Parlamentskorrespondent
Geboren 1988, arbeitet seit 2013 für die taz. Schreibt als Parlamentskorrespondent unter anderem über die Grünen, deutsche Außenpolitik und militärische Themen. Leitete zuvor das Inlandsressort.
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11 Kommentare

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  • Die einstige Friedenspartei…

    Wie genau man es im „freien Westen“ mit Menschenrechten nimmt (egal ob Grüne oder CDU) , haben wir schön bei Habeck im Interview mit Tilo Jung sehen können (bei YouTube zu finden) sehen können. Was der im Zusammenhang mit Assangestotternd von sich gegeben hat war unterirdisch. Nie wieder wähle ich diese Partei.

    George Bush sollte auf der Anklangebank sitzen, nicht Julian Assange, aber erzähl das mal den Transatlantikern in Berlin. Heuchlerische Doppelmoral.

  • Kein Wort werden wir von ihr hören! Und zwar, weil es in der Politik um Macht und Machtmittel geht und um sonst gar nichts (schon gar nicht um Moral). Der ganze Fall ist eine einzige Farce und steht natürlich mit Snowden oder Manning in einer Reihe. Es handelt sich hier um politische Gefangene, weiter nichts - es ist hoch wahrscheinlich, dass Assange sein Leben in Gefangenschaft beenden wird. Diese Menschen sind echte Helden! Sie haben alle viel riskiert und werden alle -auf die ein oder andere Weise- mit ihrem Leben dafür bezahlen. Dafür werden sie 20 Jahre nach ihrem Tod mit Statuen oder nach ihnen benannten Stiftungen oder journalistischen Ehrungen bedacht werden. Man sollte sich das ganz genau anschauen, wie in diesen tollen Demokratien (was wäre wohl wenn Assange deutschen Boden betreten hätte...?) mit Menschen umgesprungen wird, die die Werte eben dieser Demokratie verteidigen. Und genau dieses Muster setzt sich bis ins Haarkleinste fort -- wie ist das zum Beispiel, wenn ich als Polizist Rassismus in der Polizei anprangere? Dann wird mir doch geglaubt und ich muss nicht mit Konsequenzen rechnen, weil es ja Strukturen gibt, die das verhindern. Oder ein Arbeitnehmer, der seinen Arbeitgeber wegen Arbeitsbedingungen anprangert, dem wird ja dafür gedankt, dass er die verborgenen Missstände aufdeckt - mal Ricardo Lange fragen wie der das sieht. Aber vor dem Gesetz sind schon alle gleich, oder? Ja doch, wenn sich z.B. ein Ecclestone für 100 Mio € gütlich einigen kann, könnte das schließlich auch jeder andere... aber der dolle Prinz Andrews, der wird aber ganz bestimmt angeklagt werden... denkt man darüber nach, schwant einem, wie es tatsächlich um unseren Rechtsstaat und unsere Demokratie bestellt ist... Assange, Snowden, Manning - es sind die sichtbaren Spitzen der Eisberge real existierender Demokratien, deren angebliche Wertegerüste nichts weiter als lächerliche Lippenbekenntnisse sind. Es fühlt sich einfach gut an, auf der richtigen Seite zu stehen...

  • Der Schaden für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit ist bereits groß. Wäre ich ein potentielle|r Whistleblower, hielte ich die Klappe, angesichts des Umgangs mit Assange, Manning und Snowden. Das Gesetz der Omertà siegt.

  • Völlig richtig. "Unsere" Aufregung über Autokratien ist nichts wert, wenn wir nicht für Assange (und für Snowden) eintreten.

  • Baerbock, kann jetzt nicht nur in den USA



    ihre Glaubwürdigkeit unter Beweis zu stellen und dass möglichst öffentlich.



    Sollte das nicht geschehen, ist diese für mich nicht mehr gegeben.



    Das gleiche gilt für die Atomkraftwerke, welche die EU als nachhaltig einstufen will.....

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    Ein erster, kurzer, positiver Schreck beim Überfliegen der Überschriften entpuppte sich leider als unbegründet.



    Es gibt keine Freiheit für Assange.



    Überfällig ist eine internationale Solidarität der sich selbst als solche verstehenden Demokraten. Anderenfalls wird Assange wohl im Wortsinn totgeschwiegen.

  • Es ist halt mehr in Mode sich über China und Rußland zu empören. Daß der Rechtspopulist Nawalny in russischer Haft sitzt, empört die Mächtigen in Europa, aber bei Assange halten sie sich zurück, man will es ja nicht mit den USA verderben.



    Auch sonst ist Doppelmoral hoch angesagt, z.B. China anklagen wegen Arbeitslagern für Uiguren, aber fein die Klappe halten, wenn die Saudis dafür sorgen, daß Kinder im Jemen verhungern. Staatsgrenzen für unverletzlich erklären, aber durch NATO-Flugzeuge Serbien bombardieren um den Kosovo von Serbien abzutrennen, etc.



    Die eigenen, moralischen und völkerrechtlichen Maßstäbe werden nur sehr selektiv eingesetzt und gelten eben nicht für die USA und deren Verbündeten.

  • 4G
    47202 (Profil gelöscht)

    Baerbock hin oder her - Assange muss endlich frei kommen.



    Ansonsten ist die hochgelobte "freiheitliche Grundordnung" einen Dreck wert!



    Wer sich nicht dafür einsetzt, was ist der??????

  • 8G
    83635 (Profil gelöscht)

    Wäre typisch Baerbock. Sie macht ständig und überall “Fehler”. Seltsam, die sog. Fehler



    gereichen Ihr nie zum Nachteil!? Eigentlich untragbar!



    Michael

  • RS
    Ria Sauter

    Ja, das sollte sich unbedingt ändern.



    Ob die Transatlantikerin Annalena das wagt?



    Lassen wir uns überraschen. Sie scheint es momentan nicht wichtig zu nehmen. Das hätte ihre erste Amtshandling sein sollen!