Amnesty-Mitarbeiter in der Türkei: Taner Kılıç soll freikommen
Ein türkisches Gericht hat die Freilassung von Taner Kılıç angeordnet. Die Entscheidung sendet ein klares Signal an die EU: Ankara braucht Europa.
Zu den im Juli 2017 in Istanbul festgenommenen Menschenrechtlern gehörte auch der Deutsche Peter Steudtner und der Schwede Ali Gharavi. Kılıç war bereits im Juni 2017 in Izmir festgenommen worden. Steudtner und Gharavi waren Teilnehmer eines Amnesty-Workshops und sollten über IT-Sicherheit referieren.
Der Prozess gegen die Gruppe wurde mit dem von Kılıç zusammengelegt, obwohl dieser bereits in U-Haft saß, als der Workshop in Istanbul stattfand. Die Festnahmen wirkten wie eine massive Einschüchterung von Menschenrechtsorganisationen in der Türkei. Allen wurde vorgeworfen, Putschisten der Gülen-Sekte oder die kurdische PKK unterstützt zu haben.
In Deutschland führte insbesondere die Festnahme von Peter Steudtner zu heftigen Protesten in der Öffentlichkeit und der Politik. Der damalige Außenminister Sigmar Gabriel kündigte an, Deutschland werde alle Waffenlieferungen in die Türkei stoppen, die Hermesbürgschaften deckeln und deutsche Touristen warnen, in die Türkei zu fahren. Nachdem bereits im Februar 2017 der deutsche Journalist Deniz Yücel verhaftet worden war, markierten die Festnahmen der Amnesty-Leute in der Türkei einen vorläufigen Tiefpunkt in den Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Erdoğan sucht das Wohlwollen der EU
Das ausgerechnet jetzt auch Taner Kılıç freigelassen wird, ist kein Zufall. Erst am Dienstag hatte ein Gericht in Edirne die Freilassung zweier griechischer Soldaten angeordnet, die seit März in U-Haft saßen. Zusammen mit der am Mittwoch angeordneten Freilassung von Kılıç ergibt das ein eindeutiges Signal an Europa. Während US-Präsident Donald Trump die Freilassung des evangelikalen Pastors Andrew Brunson mit allen Mitteln zu erzwingen versucht, lässt Erdoğan plötzlich drei Gefangene frei, an denen vor allem in Europa vielen Leuten gelegen ist.
Kılıç hatte zwar nicht die gleiche Solidarität erhalten wie Peter Steudtner, aber Amnesty wies mit immer neuen Kampagnen darauf hin, dass ihr türkischer Sektionschef nach wie vor in Haft sitzt. Auch die Freilassung der griechischen Soldaten ist ein starkes Signal. Nicht zu Unrecht hatte die griechische Öffentlichkeit die Verhaftung der Soldaten als Vergeltung dafür begriffen, dass in Griechenland acht türkische Soldaten, die nach dem Putschversuch ins Nachbarland geflüchtet waren, Asyl erhalten hatten, anstatt, wie von der türkischen Regierung gefordert, ausgeliefert zu werden.
Angesichts der durch US-Sanktionen ausgelösten Währungskrise braucht Erdoğan jetzt dringend das Wohlwollen der EU. In Telefonaten mit Kanzlerin Angela Merkel und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron wollte Erdoğan am Mittwoch und Donnerstag seine Annäherung an Europa ausloten, bevor er im September zum Staatsbesuch nach Berlin kommt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Sport in Zeiten des Nahost-Kriegs
Die unheimliche Reise eines Basketballklubs