Amnesty International über Indonesien:
Folter und Justizfehler bei Todesstrafe
7297555243607
Amnesty International über Indonesien: Folter und Justizfehler bei Todesstrafe
Bei der Buchmesse werden die Massaker in Indonesien vor 50 Jahren thematisiert. Menschenrechtler kritisieren das Land auch aktuell wegen Folter.
Freibrief zur Folter? Die indonesische Polizei weist alle Vorwürfe zurück.
Foto:
dpa
Jakartadpa | Im Buchmesse-Gastland Indonesien werden Festgenommene nach neuen Vorwürfen der Menschenrechtsorganisation Amnesty International teils gefoltert. Richter hätten keine Probleme mit so erzwungenen Geständnissen und verurteilten auch Ausländer daraufhin zum Tode, berichtete die Organisation in der Hauptstadt Jakarta. In dem bevölkerungsreichsten muslimischen Land der Welt hätten gerade Ausländer kaum eine Chance auf einen fairen Prozess.
Seit Oktober 2014 sind dort zwölf Ausländer und zwei Einheimische hingerichtet worden. Dutzende Indonesier und mindestens 35 Ausländer seien noch in Todeszellen, berichtete Amnesty. Weltweit Schlagzeilen machte der Fall zweier Australier, die trotz internationaler Proteste im April vor ein Erschießungskommando gestellt wurden.
Die Polizei wies die Vorwürfe zurück. „Bei uns geht alles mit rechten Dingen zu“, sagte Polizeisprecher Agus Rianto. Nach seiner Logik ist eine Verurteilung der Beweis dafür, das Polizisten nichts vorzuwerfen sei. „Die Angeklagten wären nicht verurteilt worden, wenn im Ermittlungsprozess Verstöße (gegen Gesetze) passiert wären.“ Misshandlungen stünden schließlich unter Strafe.
Poengky Indarti von der Menschenrechtsorganisation Imparsial bestätigte die Amnesty-Vorwürfe dagegen. „Die Justiz ist anfällig für Korruption, und unschuldige Menschen werden leicht zum Opfer“, sagte sie. „Oft werden Kuriere hingerichtet, während die Rauschgiftbarone von korrupten Beamten gedeckt werden.“
Fragwürdige Beratung der Pflichtverteidiger
Amnesty hat nach eigenen Angaben zwölf Fälle geprüft. Sechs Verurteilte hätten von Folter berichtet. Ein Pakistaner berichtete, er sei drei Tagen so schwer geschlagen worden, dass er an Magen und Nieren operiert werden musste. Ein Richter habe das so erpresste Geständnis gelten lassen. Angeklagten werde oft monatelang Kontakt mit Anwälten verwehrt. Ausländer bekämen oft keine oder schlechte Übersetzer. Die Qualität der Pflichtverteidiger sei fragwürdig. Einer habe seinem Mandanten gesagt, er solle auf jede Frage „Ja“ antworten.
Indonesien auf der Buchmesse
„Wer das Dichten will verstehen, muss ins Land der Dichtung gehen“ – es ist ein kleines Video, das auf der Webseite der Frankfurter Buchmesse für Indonesien wirbt, den Ehrengast der Messe im Jahr 2015. Aus Buchseiten werden Wellen, wir sehen Bootsfahrer und einen Wal in einer farbenfrohen Welt, auf die jenes Bonmot aus Goethes „West-östlichem Divan“ folgt.
Buchmesse Frankfurt
Damit rückt ein Land ins Zentrum der Öffentlichkeit, das gesellschaftlich, historisch und kulturell viele Unterschiede in sich vereint. Rund 200 Millionen Muslime machen Indonesien zum Staat mit der größten muslimischen Bevölkerung der Welt.
dpa
Staatsreligion ist der Islam allerdings nicht, vor allem in den Großstädten hat sich eine laizistische Kulturszene breitgemacht. Punks allerdings, wie hier in Banda Aceh, bekamen in den vergangenen Jahren vermehrt polizeiliche Repression zu spüren.
dpa
Allein im zu Indonesien gehörenden Sultanat Yogyakarta könnten die Unterschiede kaum größer sein. Dort treffen regelmäßig muslimische Gläubige auf …
Imago / Zuma-Press
… Freunde des „Yogyakarta Art Festivals“, des größten Underground-Kulturevents des Landes. Nicht weit entfernt …
ap
… wird am Nationalfeiertag Schlammfußball gespielt …
Imago / Xinhua
… und Badminton-Roboter werden auf ihre Einsatzfähigkeit geprüft.
Imago / Xinhua
Ökonomisch gehört Indonesien zu den am schnellsten wachsenden Staaten Asiens, auch wenn der Boom in jüngster Zeit nachgelassen hat.
dpa
Fast 350 Jahre niederländischer Kolonialismus haben in Indonesien überall ihre Spuren hinterlassen. Vom faschistischen Japan im 2. Weltkrieg besetzt, wurde Indonesien im Jahr 1945 formal unabhängig, erlangte die volle Souveränität aber erst 1949 – nach Jahren des Kampfes mit niederländischen Truppen. Niederländischen Kolonialbauten wie das Historische Museum in Jakarta erinnern an die Zeit.
Imago / Alimdi
Zahlreich sind die Menschenrechtsverletzungen, die die Niederlande in ihrer indonesischen Kolonie begangen haben. Im niederländisch-indonesischen Krieg 1947/48 kam es auch zu Massakern an der Zivilbevölkerung. (Das Bild wurde mit freundlicher Genehmigung des Verlags entnommen aus Peter Van Dongens Graphic Novel: „Rampokan. Celebes“, avant-verlag 2008.)
avant-verlag
Zu den kulturellen Zentren Indonesiens zählt indes Makassar, wo auch regelmäßig das „International Writers Festival“ ausgerichtet wird.
Reuters
Eine der bekanntesten Schriftstellerinnen Indonesiens ist Laksmi Pamuntjak – spätestens seit ihrem Bestseller „Alle Farben Rot“. Sie arbeitet auch als Redakteurin der Wochenzeitung „Tempo“, die gerade in Jakarta oftmals das Zentrum zahlreicher kultureller Kreise bildet. Über Indonesien hinaus bekannt ist auch …
dpa
… Ayu Utami, die ebenfalls als Journalistin arbeitet. Unter Indonesiens zweitem Präsidenten Suharto wurde sie vom Regime verhaftet und mit einem Berufsverbot belegt. Sie lebt in Jakarta.
Imago / Thilo Schmülgen
Langsam und vorsichtig nähern sich Indonesiens Künstler und Intellektuelle mittlerweile dem dunkelsten Kapitel in der noch jungen Geschichte des Nationalstaates: Im Oktober 1965, vor genau 50 Jahren, begann ein Massaker, bei dem in den folgenden Monaten Schätzungen zufolge zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen zu Tode kamen. Amnesty International spricht von mindestens einer Million Toten.
Imago / Westend 61
Der Auslöser war die Ermordung von sieben Militärs am 1. Oktober 1965. Als Täter gelten andere Militärs, die später aussagten, sie hätten einen Putsch rechter Generäle gegen Präsident Sukarno verhindern wollen. General Suharto zog die Macht an sich, beließ aber Sukarno anfangs formell und ohne Machtbefugnisse im Amt.
Ullstein Bild
Suharto bezichtigte die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) der Täterschaft und ließ Armee, Polizei, Geheimdienst und Milizen losschlagen – gegen die PKI und alle Organisationen (Bauernverbände, Gewerkschaften, Frauengruppen etc.), die in seinen Augen PKI-nah waren. Folter, systematische sexuelle Gewalt und Massenmorde folgten, hunderttausende Menschen wurden in Gefängnisse und Arbeitslager gesperrt.
Ullstein Bild
Erst Regierungschef, ab 1968 dann offiziell Präsident: 30 Jahre lang, also bis ins Jahr 1998, konnte sich Suharto im Amt halten. Massakern an der eigenen Bevölkerung, der militärischen Invasion in Osttimor und seinem diktatorischen Stil zum Trotz wurde er von vielen europäischen Staaten und den USA gestützt.
dpa
Gute Beziehungen unterhielt Suharto insbesondere zur Bundesrepublik Deutschland. Kanzler Helmut Kohl besuchte während seiner Amtszeit Indonesien gleich viermal und wurde von Suharto geehrt.
dpa
Nun also ist Indonesien Gastland auf der Frankfurter Buchmesse – unter dem Motto „Indonesia – 17.000 Islands of Imagination“. Eine Bambusskulptur des indonesischen Künstlers Joko Avianto ist bereits jetzt an der Fassade des Frankfurter Kunstvereins zu sehen. Die Skulptur ist Teil der Ausstellung „Roots. Indonesian Contemporary Art“, die anlässlich der Frankfurter Buchmesse stattfindet.
dpa
„Wir fordern die Behörden auf, diese sinnlosen Tötungen ein für alle mal zu stoppen und alle Todesurteile (in Haftstrafen) umzuwandeln“, sagte Amnestys Südostasiendirektor Josef Benedict.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei!
Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Verfassungsklage von ARD und ZDF
Karlsruhe muss die unbeliebte Entscheidung treffen
CDU-Politiker Marco Wanderwitz
Schmerzhafter Abgang eines Standhaften