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Amnesty-Bericht über FrankreichAusnahmezustand scharf kritisiert

Die Versammlungsfreiheit sei „völlig unverhältnismäßig eingeschränkt“, so Amnesty. Es dränge sich der Verdacht auf, das lästige Proteste unterdrückt werden sollten.

Der Staat verbarrikadiert sich hinter seinen Polizisten Foto: dpa

Berlin afp | Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Demonstrationsverbote auf Grundlage des Ausnahmezustands in Frankreich scharf kritisiert. Der nach der Anschlagsserie vom November 2015 verhängte Ausnahmezustand habe die Versammlungsfreiheit „völlig unverhältnismäßig eingeschränkt“, erklärt Amnesty in einem am Mittwoch vorgestellten Bericht. So hätten die Behörden zwischen November 2015 und Mai 2017 155 Erlasse gegen öffentliche Versammlungen verfügt.

Darüber hinaus sei 574 Menschen die Teilnahme an Demonstrationen gegen die Arbeitsmarktreform im vergangenen Jahr verboten worden, heißt es in dem Amnesty-Bericht weiter. „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Behörden die rechtlichen Möglichkeiten des Notstands ausnutzen, um lästige Proteste zurückzudrängen“, erklärte Amnesty-Völkerrechtsexpertin Maria Scharlau.

Die Sicherheitsbehörden hätten „das Recht auf Versammlungsfreiheit völlig unverhältnismäßig eingeschränkt und friedliches zivilgesellschaftliches Engagement unterdrückt“. Französische Sicherheitskräfte seien „teilweise mit unangemessener Härte gegen einzelne Demonstranten vorgegangen“.

Die französische Regierung hatte den Ausnahmezustand nach den islamistischen Anschlägen vom 13. November 2015 mit 130 Toten verhängt. Er wurde seitdem fünf Mal verlängert und ist nunmehr seit anderthalb Jahren in Kraft. Die Sonderbefugnisse ermöglichen den Sicherheitsbehörden unter anderem Ausgangssperren, Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss, Versammlungsverbote sowie Hausarrest für Menschen, die als Gefahr für die Sicherheit und die öffentliche Ordnung angesehen werden.

Der Notstand muss auf den Prüfstand – er darf nicht zum Dauerzustand werden

Maria Scharlau, Amnesty

Der neue Präsident Emmanuel Macron habe im Wahlkampf damit geworben, er wolle das Versammlungsrecht schützen, erklärte Amnesty-Expertin Scharlau. Nach seiner Wahl sei er nun „gefragt, dieses Versprechen auch einzulösen“. Der Staatschef müsse den „Missbrauch von Anti-Terror-Maßnahmen stoppen“: „Der Notstand muss auf den Prüfstand – er darf nicht zum Dauerzustand werden.“

Allerdings will Macron den Ausnahmezustand, der nach jetzigem Stand Mitte Juli auslaufen würde, erneut verlängern. Der Präsident will das Parlament um eine Verlängerung bis zum 1. November bitten.

In Frankreich gibt es schon seit längerer Zeit Kritik am anhaltenden Ausnahmezustand: Experten, aber auch viele Politiker, halten die Sonderbefugnisse im Anti-Terror-Kampf für weder zielführend noch notwendig und warnen vor einer Aushöhlung der Bürgerrechte.

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1 Kommentar

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  • 8G
    82236 (Profil gelöscht)

    Fakt ist, dass es unter dem Ausnahmezustand Terroranschläge gegeben hat. Die polizeiliche Ermittlungsarbeit hat sich auch nicht vebessert, wie in Deutschland hat es Pannen gegeben. Aber Umweltschützer, Airport Notre Dame de Landes, oder andere kritische Geister können als Extrimisten unter Hausarrest gestellt werden, Gewerkschafter werden kriminalisiert. So kann Macron die Arbeitsmarktreform per Verordnungen durchsetzen. Die These, dass Liberalismus mit Polizeigewalt und Einschränkung von Bürgerrechten einhergeht, bewahrheitet sich in Frankreich, siehe den vom französischen Staat verschuldeten Tod an Rémy Fraisse. Im Nachbarland Spanien wurde der Notstand in ein Gesetz gegossen, das sogenannte Maulkorbgesetz, Macron hat schon angekündigt, dass er den Notstand erst aufheben will, wenn ein ähnliches Gesetz in Frankreich verabschiedet wird. Der Witz ist, dass bei einem massiven Abbau von Bürgerrechten und einem verstärkten Abbau von Arbeitnehmerrechten, der Front National sich als Verteidiger von Freiheit und Demokratie profilieren kann. Unter diesen Bedingungen greift der offizielle Antifaschismus und Antirasissmus zu kurz und vekommt zur Worthülse wie in Weiland DDR.