piwik no script img

Amnestiegesetz in SpanienStraffreiheit für Separatisten

Die umstrittene Amnestie für Verfechter der katalanischen Unabhängigkeit ist beschlossene Sache. Die politische Opposition in Spanien ist empört.

Der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez und die stellvertretende Ministerpräsidentin Maria Jesus Montero im Parlament Foto: Susana Vera/reuters

Madrid taz | Genau 200 Tage nachdem die in Koalition mit dem Linksbündnis Sumar regierenden Sozialisten unter Pedro Sánchez das Gesetz für Straffreiheit vorgestellt hatte, wurde es am Donnerstag endgültig verabschiedet. Spanien hat damit seine Amnestie für die wegen des Unabhängigkeitsprozesses und des Katalanischen Unabhängigkeitsreferendums am 1. Oktober 2017 verurteilten und juristisch verfolgten Personen.

177 Abgeordnete der Sumar, sowie kleinerer linker Formationen und regionaler Parteien, darunter die Verfechter der Unabhängigkeit aus Katalonien, stimmten dafür. 172 Abgeordnete aus den Reihen der Partido Popular (PP), der rechtsextremen VOX und regionaler rechter Formationen votierten dagegen. Eine Abgeordnete von Podemos blieb der Abstimmung fern.

Jubel bei der Republikanischen Linken Kataloniens

Rund 400 Menschen werden davon profitieren, darunter mehrere Polizisten, die wegen eines Einsatzes gegen Wähler am Tag des Referendums angeklagt sind. Als „historischen Tag“ und „Sieg“ bewertete die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) die Abstimmung. Der wegen Aufstand verurteilte und anschließend begnadigte ERC-Chef und ehemalige Vizepräsident der katalanischen Regierung, Oriol Junqueras, beobachtete die Abstimmung von der Tribüne aus. Der Chef von Gemeinsam für Katalonien (JxCat), der ehemalige katalanische Präsident Carles Puigdemont, ist noch im Exil.

ERC und JxCat, die zusammen über 14 Abgeordnete im Parlament verfügen, hatten Sánchez die Amnestie abgerungen. Im Gegenzug unterstützten sie die Amtseinführung seiner Minderheitsregierung vergangenen Herbst. „Verräter!“-Rufe aus der rechten Opposition wurden laut, als sich Ministerpräsident Sánchez erhob und bei der namentlichen Abstimmung sein „Sí“ abgab. Zuvor hatten sowohl die PP als auch VOX die Sozialisten beschuldigt, Spanien zu verkaufen. Das Gesetz sei „politische Korruption“.

In den vergangenen Monaten hatte die PP immer wieder zu Protesten gegen das Gesetz aufgerufen. Die Partei, die in der zweiten Kammer, dem Senat, über die absolute Mehrheit verfügt, zögerte dort die Bearbeitung des Amnestiegesetzes hinaus, solange dies rechtlich ging. Jetzt, wo es verabschiedet wurde, wollen die Konservativen vor das Verfassungsgericht ziehen. Dies wird aber die Anwendung der Amnestie nicht aufschieben.

Alle schauen auf Puigdemont

Die richterlichen Maßnahmen gegen die Unabhängigkeitsbefürworter und gegen die am Tag des Referendums 2017 eingesetzten Polizisten müssen – sobald das Gesetz im Amtsblatt veröffentlicht wird – zurückgenommen werden. Anschließen haben die Richter zwei Monate Zeit, um die Verfahren völlig einzustellen. Allerdings bleibt ihnen der Weg zum Verfassungsgericht und zu europäischen Instanzen, um dort Rat einzuholen.

In Spanien schauen jetzt alle auf den im Exil lebenden Carles Puigdemont. Dieser kann, sobald der Haftbefehl gegen ihn zurückgenommen ist, wieder nach Spanien. Im Juni wird das im Mai gewählte katalanische Parlament über eine künftige Autonomieregierung abstimmen. Puigdemont, dessen JxCat zweitstärkste Kraft wurde, will erneut in den Regierungspalast in Barcelona einziehen. Dort saß er, bis die katalanische Regierung unter Anwendung eines Verfassungsartikels nach dem Referendum und einer Unabhängigkeitserklärung abgesetzt wurde.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Ich freue ich für Spanien. Versöhnen ist wichtig, nicht spalten. VIVA ESPANIA ! VIVA CATALONIA. Es ist einerseits auch schön zu sehen, dass die Katalonen so traditionsbewusst sind und ihre schöne Kultur erhalten werden. Für uns Deutsche ist der Streit u.U. aber nicht ganz nachvollziehbar.

  • Die Amnestie ist richtig. Denn denken wir an die Tschechoslowakei, an Jugoslawien, an Schottland, an Padanien und letztlich auch Ungarn. Interessant sind Gedanken von Michael Wolffsohn mit Föderalismus und überlappenden Zuständigkeiten. International wird es so hin-gebogen, wie es den Mächtigen gefällt. Tschechien und die Slowakei dürfen sich trennen, Jugoslawien wird mit Gewalt zerschlagen (Serbien muss sterbien), in Schottland sind Unabhängigkeitsbewegungen ebenso unkonstitutionell wie andernorts. In Spanien wollten wohl ehemalige Frankisten ein Exempel statuieren. In VOX finden sich dazu die aktuellen Protagonisten. Letztlich ist Nationalismus Gift für den Frieden. Es kommt nicht auf sinnvolle Verwaltungseinheiten an, sondern nur auf Größe, Macht und Selbstbestätigung. Nach welchen Gesetzen wurde Carles Puigdemont verurteilt? Waren das Gesetze der Republik, die dem Zusammenleben dienen oder waren es Gesetze, die geerbt wurden aus einer anderen Zeit? Die Empörtheit, mit der hier debattiert wird, ist eher rückwärts-gewand in eine als überwunden geglaubte Gesellschaft.