: Ammerländer Hühner-TV
Ostfriesische Goldmöwen, westfälische Totleger oder Deutsche Reichshühner: Von einer die auszog, ihrer Mutter ein besonderes Weihnachtsgeschenk zu machen und in Westerstede beim Hühnerzüchter fündig wurde
„Ist das der Weihnachtsbraten?“ Nein. „Kann man die streicheln?“ Neihein. „Ich hatte ja mal eine Taube im Badezimmer.“ Ach. „Also die hatte sich verletzt, und dann habe ich sie in meinem Bad aufgepäppelt.“ Hm. Vielleicht hätte ich der Dame doch nicht offenbaren sollen, was ich im Gepäck habe. Das hatte ich nur getan, damit sie ihren Köter an die Leine nimmt. Vielleicht hätte das Vieh sonst Witterung aufgenommen und mit hochfrequentem Gekläffe die Aufmerksamkeit der anderen Hunde im Wagen auf sich gezogen. Gemeinsam hätten die womöglich probiert nachzusehen, was ich Aufregendes in meinem Katzenkorb hatte. Erstaunlich, wieviele Tiere an Weihnachten verreisen. „Was machen Sie denn dann mit denen?“ versuchte es die Hundebesitzerin ein drittes Mal. Bevor sie mich weiter löchern und mir verraten würde, was sie noch alles in ihrem Badezimmer eingesperrt hatte, musste ich es ihr es sagen. Leise. „Die schenke ich meiner Mutter zu Weihnachten.“
Ein angstvoller Moment. Würde die Tierfreundin mir eine Standpauke zum Thema „Keine Tiere unterm Tannenbaum“ halten? Würde sie zetern und kreischen? Würden sich dann alle Mitreisenden im voll besetzten Regionalexpress von Bremen nach Hamburg zu mir umdrehen und mich strafend ansehen - weil sie endlich wussten, warum es im Wagen so penetrant nach Hühnerstall roch? Nein, sie fand das höchst originell. Ich auch.
Bei den beiden Federpuscheln handelte es sich ja auch nicht um irgendwelche Wald- und Wiesenhühner, sondern um echte Ostfriesische Goldmöwen vom Züchter. Dass es so etwas gibt, hatte ich zwei Wochen zuvor auch noch nicht geahnt. Wusste nichts von Gold- und Silbermöwen, von westfälischen Totlegern, Deutschen Reichshühnern oder Bergischen Krähern, die in der Farbe „gold schwarz gedobbelt“ geliefert werden konnten. Hatte noch nie Hühner begafft, die aussehen, als wären sie tiefergelegt oder als hätte ihnen jemand drei Stunden lang einen Föhn ins Gefieder gehalten. Auch von Hühnern mit Bärten, Afrokrause und nackten Hälsen hatte ich erst über das Internet erfahren. Mehrere Stunden verbrachte ich letztes Jahr kurz vor Weihnachten auf www.huehner-info.de und www.feathersite.com. Dort gibt es alles über Hühner: Bilder von Küken, Anleitungen zum Stallbau und Rezepte für Hühner und Menschen. Wirklich interessante Seiten für Hühnerfans, aber was hatte ich dort verloren?
Ganz einfach. Ich suchte mal wieder ein Weihnachtsgeschenk für meine Mutter. Im letzten Jahr lag die Lösung glücklicherweise auf der Hand. Meine Mutter hatte ein neues Hobby: ihre kleine Zwerghühnerbande, die im Wald und auf Nachbars Grundstück lebt und wirkt, englischen Rasen umgräbt, Krokuszwiebeln ausbuddelt und die beiden Hunde meiner Eltern verrückt macht. Die täten nämlich nichts lieber, als mal so ein Stückchen Huhn zu verkosten. Weil das aber streng verboten ist, liegen sie sabbernd auf dem Rasen und sehen fern: Hühner-TV.
Damit die beiden nicht immer dieselben Hühner anglotzen müssen und meine Mutter etwas zum Angeben hat, suchte ich nach neuen Stars für die Hühnersoap, Frischfleisch sozusagen. Ich widerstand der Versuchung, ein lavendelfarbenes „Mille Fleur d’Uccle“ aufzutreiben und entschied mich für die Ostfriesischen Goldmöwen. Das klang auch gut, und sie waren mit ihrem gold-schwarz gesprenkelten Gefieder und ihrem schlanken Wuchs sogar ganz hübsch anzusehen. Das Beste aber war, dass der Zwergmöwen-Oberzüchter in erreichbarer Entfernung residierte, in Westerstede, 20 Kilometer hinter Oldenburg.
Herr Watzke versicherte mir am Telefon, dass er einigermaßen jugendliche Möwen – so sagen wir Fachleute – vorrätig hatte. Außerdem erfuhr ich ungefragt, dass die Tierschützer, „Greenpeace und so“, immer maßlos übertreiben und Hühner längere Zugreisen ohne Futter und Wasser schadlos überstehen würden. Und eine Nacht im Katzenkorb? „Ach was“ schnaubte Herr Watzke, „Hühner sind so blöd, die merken das gar nicht“. Mir sollte es recht sein, dann würde er auch nichts gegen Tiere unterm Tannenbaum einwenden. Vorsichtshalber hatte ich mir nämlich eine kleine Rede über das Verantwortungsgefühl meiner Frau Mutter zurechtgelegt: „Sie macht auch jeden Tag den Stall sauber und zieht sie nicht am Schwanz.“ Aber das wollte Herr Watzke gar nicht wissen. „Wieviele wollen sie denn? So 15 Stück hätte ich noch da.“ – „Och, zwei würden mir reichen.“ – „Das macht dann 10 Mark pro Stück“, sagte er. „15 für beide“, sagte ich. Gebongt. Ein Schnäppchen von einem Weihnachtsgeschenk. Die Hängematte im Jahr davor hatte das Zehnfache gekostet. Für den Preis hätte er sie mir sogar noch an den Bahnhof in Ocholt gebracht, aber glücklicherweise kutschierte mich meine Freundin Wibke von Oldenburg nach Westerstede.
„Und die Straße, die war frei, ja?“, fragte Herr Watzke zur Begrüßung, als wäre im Ammerland sonst der Bär los. Vielleicht war er das auch und hatte Herrn Watzke das lilaschwarze Veilchen besorgt, das wunderbar mit seiner roten Gesichtsfarbe kontrastierte. Vielleicht war er auch in der Dunkelheit gegen das Kaminhaus gelaufen, eine kleine Blockhütte hinterm Wohnhaus und sein ganzer Stolz. „Da gehen wir nachher noch rein“, kündigte er schon einmal an, „zum Aufwärmen.“
Vorher griff er sich aus einem flatternden Hühnerhaufen zwei Möwen mit hellrotem Kamm. „Jetzt sind sie noch ein bischen blass, aber Hühner stehen erst im Sommer in voller Blüte“, sagte er. „Das ist wie mit den Blumen“, fügte er erklärend hinzu. Später in seinem Kaminhaus lehnten wir erst den Schnaps ab – „Nein, danke, nicht vorm Mittagessen“ – und erfuhren dann trotzdem alles über Hühnerzucht. Dass das mit den Hühnern wie mit den Menschen ist – „Manche probieren das ja auch ihr ganzes Leben und es klappt nicht und andere kriegen eins nach dem anderen“ – und wie Eier verpackt werden müssen, wenn sie lange Reisen zu Möwenfreunden im Ausland antreten. Bei der Beschreibung des komplizierten Verfahrens gluckste er vor sich hin, als würde er nach 30 Jahren Hühnerzucht sein Hobby immer noch ein bischen verschroben finden. „Einmal Viecher, immer Viecher“, sagte er seufzend und erzählte, wie er einmal alle Vögel weggegeben hatte. „Aber nach vier Wochen hatte ich wieder so einen Piepmatz.“
Nachdem wir noch den an eine hölzerne Mikrowelle erinnernden Brutapparat bestaunt hatten, fuhren wir mit unseren Piepmätzen nach Bremen. Anderthalb Tage später saß ich mit meinem Goldmöwen im Zug Richtung Bad Segeberg und fühlte mich wie ein russisches Muttchen auf dem Weg zum Markt. Die Hühner gickerten friedlich vor sich hin und machten keinen besonders verängstigten Eindruck. Wahrscheinlich hatten sie keine Ahnung, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben Zug fuhren. Mit der Angst bekamen sie es erst zu tun, als sie noch am Heiligen Abend die Zwerghühner meiner Mutter kennenlernten. Die etwas ruppige Begrüßung haben sie überlebt und sind inzwischen in der Hackordnung schon aufgestiegen.
Meine Mutter hat sich über die Hühner übrigens sehr gefreut. Und die Hunde erst.
Eiken Bruhn
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