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Alzheimer-ForschungDiagnose ohne Aussicht auf Heilung

Weltweit suchen Forschende nach Möglichkeiten, Alzheimer möglichst früh zu diagnostizieren. Aufhalten lässt sich die Krankheit damit aber nicht.

Das Ziel der Forschung für Patienten wie hier im Seniorenheim: selbstständig trotz Alzheimers Foto: Bernd Thissen/dpa/picture allaince

Alzheimer ist längst auf dem Weg zur Volkskrankheit. Allein in Deutschland leben 1,8 Millionen Menschen mit dieser mit Abstand häufigsten Form der Demenz. Angesichts des demografischen Wandels wird ihre Zahl in den nächsten Jahren weiter steigen. Das Problem: Auch nach Jahrzehnten intensiver Forschung ist die Entstehung der Krankheit noch nicht vollständig verstanden. Auch Medikamente, die sie aufhalten könnten, gibt es noch nicht. Trotz des großen Bedarfs gaben viele Forschungseinrichtungen und Pharmaunternehmen die Alzheimer-Forschung sogar wieder auf – zu komplex erschien die Krankheit, zu gering die Erfolgsaussichten.

Erst in den vergangenen vier bis fünf Jahren sei das Interesse wieder gestiegen, sagt Stefan Teipel, Leiter der Forschungsgruppe Klinische Demenzforschung am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Rostock. „Man kann den Stand der Alzheimer-Forschung vielleicht mit dem der Krebsforschung vor 20 Jahren vergleichen. Wir verstehen die Krankheit immer besser und können sie früher diagnostizieren. Daraus entwickeln sich perspektivisch auch Therapieansätze.“

Vor allem ein Umstand erschwert die Forschung: Die Schädigung des Gehirns beginnt bei Alzheimer lange vor den ersten Symptomen. Zehn bis 15 Jahre können vergehen, bis sich die ersten kognitiven Ausfälle zeigen – Gedächtnislücken, Stimmungsschwankungen, Reaktionsschwächen oder Sprachschwierigkeiten. Zu diesem Zeitpunkt ist die Alzheimer-Demenz bereits weit fortgeschritten. Die durchschnittliche Lebenserwartung liegt dann bei zehn Jahren, sicherlich mit schönen Momenten, aber auch mit der Aussicht auf eine zunehmende Pflegebedürftigkeit. Ein wichtiges Ziel der Forschung ist es deshalb nicht nur neue Wirkstoffe gegen Alzheimer zu finden, sondern auch die Krankheit möglichst früh zu erkennen.

Um eine Alzheimer-Erkrankung sicher diagnostizieren zu können, gibt es zwei Standard-Biomarker-Verfahren. Bei der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) suchen die Me­di­zi­ne­r:in­nen nach typischen Eiweißablagerungen – so genannten Beta-Amyloid-Ablagerungen – im Gehirn. Bei fortgeschrittener Erkrankung ist auch eine Abnahme der Hirnmasse sichtbar. Die zweite Möglichkeit ist die Untersuchung des Nervenwassers auf Änderungen der Konzentration der beiden Proteine Abeta und Tau. Dafür entnehmen die Me­di­zi­ne­r:in­nen das Nervenwasser mit einer Kanüle aus dem unteren Wirbelkanal. „Diese beiden Tests sind zwar in der Praxis sehr aufwendig und teilweise für die Patienten belastend, aber sehr zuverlässig in der Diagnose von Alzheimer und in der Abgrenzung zu anderen Demenzerkrankungen. Sie werden auch nicht anlasslos durchgeführt, sondern nur, wenn Symptome auftreten“, erklärt Teipel.

Medikamente vor der Zulassung

In der Entwicklung sind auch Bluttests, die die Abeta- und Tau-Proteine im Blut nachweisen sollen und mit einer geringeren Belastung für die Patienten verbunden wären. Auf einem Alzheimer-Kongress sei sogar ein Urintest angepriesen worden, berichtet der Psychiater. Doch weder Urin- noch Bluttests seien zuverlässig genug, um als alleinige Tests in der Praxis eingesetzt zu werden, auch wenn erste Bluttests in den USA bereits zugelassen sind. Über kurz oder lang werden Bluttests aber Eingang in die medizinische Praxis finden. Die Diagnose könnte dann schneller gestellt werden. Einziges Problem: Eine Behandlung, die den Verfall der Nervenzellen frühzeitig stoppen könnte, gibt es noch nicht. Eine schnellere, vielleicht noch symptomfreie Diagnose wäre vor allem eine Belastung für die Patient:innen.

„Eine Diagnose ohne Aussicht auf Heilung ist in der Medizin grundsätzlich nichts Unbekanntes“, sagt Michael Wagner, Neuropsychologe an der Universitätsklinik für Neurodegenerative Erkrankungen und Gerontopsychiatrie in Bonn. Auch nach den herkömmlichen Biomarker-Tests gibt es für die Pa­ti­en­t:in­nen keine Hoffnung auf Heilung, sondern lediglich eine gesicherte Diagnose zu ihren Symptomen. Damit verbunden sei eine Aufklärung über die Krankheit und die Perspektiven durch die Mediziner:innen, erklärt Wagner. Oft bekämen die Pa­ti­en­t:in­nen und ihre Angehörigen auch noch psychologische Begleitung und die Adressen von Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen.

Es gibt aber auch ein anderes Szenario: Bluttests könnten bald von kommerziellen Anbietern angeboten werden – zum Beispiel in den USA. Ein mögliches Angebot: Mit nur einem Tropfen Blut könnte man sein vermeintliches Alzheimer-Risiko testen lassen. Das Ergebnis käme per E-Mail, ohne ärztliche Beratung und psychologische Betreuung. Welche Folgen das für die Emp­fän­ge­r:in­nen hat, lässt sich nur schwer abschätzen – von einer großen psychischen Belastung durch eine unheilbare Diagnose bis hin zum Wunsch nach sofortiger Behandlung wäre vieles möglich.

„Es wäre durchaus denkbar, dass nun mehr Pa­ti­en­t:in­nen den Wunsch haben, eines der neuen Alzheimer-Medikamente einzunehmen. Aber die neuen Wirkstoffe sind bislang nur für Personen mit vorhandenen Gedächtnisbeschwerden getestet, nicht für Personen ohne Symptome“, sagt Teipel. Schließlich gibt es nicht nur bei den Biomarkern neue Entwicklungen.

Erstmals stehen Medikamente kurz vor der Zulassung in Europa, die den Krankheitsverlauf möglicherweise bremsen können und in den USA bereits zugelassen sind. Dies kann Alzheimer-Patienten zumindest etwas Hoffnung machen. Anfang 2023 wurde in den USA der Antikörper Lecanemab zugelassen. Die europäische Arzneimittelbehörde dürfte bald folgen. Ein zweiter Antikörper, Donanemab, befindet sich noch im Zulassungsverfahren. Beide Medikamente sollen die Ablagerungen des Eiweißes Abeta im Gehirn beseitigen. Die Ergebnisse der klinischen Studien sind positiv.

Alzheimer-Therapie: vergleichsweise hohe Kosten

Ein Wundermittel sei das aber nicht, sagt Wagner. „Die Medikamente können die Krankheit etwas bremsen, haben aber auch Nebenwirkungen und die Therapie ist aufwendig. Man muss also von Fall zu Fall entscheiden, ob der Einsatz therapeutisch sinnvoll ist.“ Die Patienten bekommen den Wirkstoff intravenös verabreicht, je nach Wirkstoff einmal bis zweimal im Monat, das Ganze dauert jeweils zwei Stunden. Außerdem ist eine engmaschige Überwachung erforderlich. Bei 24 Prozent der Studienteilnehmer traten Schwellungen und kleinere Blutungen im Gehirn auf.

Die Behandlung werde deshalb von Untersuchungen im Magnetresonanztomographen begleitet, berichtet er. Hinzu kommen die vergleichsweisen hohen Kosten von 20.000 bis 30.000 Euro pro Jahr und Patient. Trotzdem herrscht derzeit wieder Aufbruchstimmung in der Alzheimer-Forschung. Das liegt auch an einem weiteren vielversprechenden Ansatzpunkt der aktuellen Medikamentenforschung.

Viele Forschungsgruppen suchen außerdem nach einem wirksamen Wirkstoff gegen das Tau-Protein. Es gilt als eine wichtige Ursache für das Absterben von Nervenzellen. Möglicherweise wäre eine Kombination von Wirkstoffen gegen das Abeta-Protein und gegen das Tau-Protein ein vielversprechender Weg, um die Ablagerungen im Gehirn zu bekämpfen – vielleicht sogar in einem noch früheren Stadium der Krankheit.

So wird vermutet, dass sich zunächst Abeta-Ablagerungen im Gehirn bilden, denen dann vermehrt Tau-Ablagerungen folgen. Diese Kombination führt dann vermutlich zum endgültigen Absterben der Nervenzellen – wie und warum, haben die Forscherinnen und Forscher noch nicht vollständig verstanden. Allerdings lässt sich das tau-Protein deutlich schlechter mit Medikamenten bekämpfen als sein Partner Abeta.

Patienten könnten mit Alzheimer leben

Dennoch setzen die Forscherinnen und Forscher große Hoffnungen in ihn: Gelänge auch hier ein Durchbruch, könnte die Erkrankung im Gehirn gehemmt und vielleicht sogar gestoppt werden. Die Alzheimer-Demenz würde dann zu einer chronischen Krankheit, mit der die Patienten bis ins hohe Alter leben könnten, ohne ihre Selbstständigkeit völlig zu verlieren.

Doch genau hier kommen die neuen Biomarker wieder ins Spiel – mit ihrer Hilfe könnten Me­di­zi­ne­r:in­nen die Krankheit lange vor ihrem Ausbruch erkennen und eine entsprechende Therapie einleiten – vielleicht auch in Verbindung mit einem gesunden Lebensstil mit viel Bewegung und gesunder Ernährung. Bis es so weit ist, werden allerdings noch einige Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte vergehen.

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