Altbau vs. Neubau: Sehnsucht nach der Platte
Die temporäre Vertreibung aus dem Paradies des sozialen Wohnungsbaus hat schweißtreibende Folgen. Wer kam bloß auf diese dumme Idee?
I ch schwitze. Normalerweise schwitze ich nie. Auf eine etwas männermäßige Art war ich immer stolz darauf, nicht zu schwitzen. So im Sinne von: Die Hitze kann mir nichts anhaben. Aber jetzt schwitze ich. Und bin auch noch selbst schuld.
Den August würde ich üblicherweise zwischen Staatsbibliothek, Prinzenbad und Kreuzberger Hochhausbalkon verbringen, in dieser Reihenfolge. Stattdessen sitze ich in einer dunklen Homeoffice-Hitzehölle in der Kastanienallee, Hinterhaus, 5. Stock, einem Altbaudach mit winzigen Klappfenstern. Nur selten verirrt sich durch sie etwas Sauerstoff. Verdammt, allein meine Anwesenheit lässt die Temperaturen weitersteigen.
Dass Stabi und Prinzenbad ausfallen, ist okay. Ich bin nicht der Typ für Timeslots und Tickets und akzeptiere die Konsequenzen. Aber wie konnte ich nur so dumm sein, mitten in einer globalen Pandemie meine geliebte Wohnung aufzugeben?
Wobei, aufgeben ist natürlich nicht ganz richtig. Meine Vermieterin – eine große städtische Wohnungsbaugesellschaft – nennt es temporäre Umsetzung. Nur drei Monate, um endlich einige essenzielle (Asbest) und weniger essenzielle (Wasserschaden, neue Küche) Sanierungsarbeiten durchzuführen.
Den Termin durfte ich mir selbst aussuchen, und zwar ehrlich gesagt schon seit zwei Jahren. Die gebrochenen Bodenplatten, unter denen der asbesthaltige Kleber lauert? Waren doch mit Gaffer Tape gesichert, kein Problem. Bis mir im Juni der verhängnisvolle Gedanke kam, für die längst überfälligen Maßnahmen das Corona-Zwischentief zu nutzen. Wäre es nicht schön, den nächsten Lockdown in einer neu gemachten Wohnung zu verbringen? Nun sitze ich also schwitzend und etwas verloren in Prenzlauer Berg und habe Sehnsucht nach meiner komfortablen Platte.
Das schöne Leben der schönen anderen
Den Systemvergleich unter Coronabedingungen gewinnt der moderne Wohnungsbau spielend. Gut, im Aufzug mögen die Aerosole tanzen, aber ein enges Altbau-Treppenhaus ist auch kein Frischluftkanal. Und im Hochhaus hat nicht nur jede Wohnung einen Balkon, sondern auch vernünftige Fenster und einen weiten Blick.
Neben frischer Luft ist es vor allem diese Weite, die ich vermisse. Ein Nachteil meines Exils ist nämlich der Reichtum der Nachbarschaft. Rund um den Hof wurden die Vorderhäuser durchgehend mit doppelgeschossigen Penthouses aufgewertet. Und deren ausnahmslos schöne Bewohner*innen blicken nun trotz meiner eigenen Dachlage voller Mitleid auf mich herab – wenn sie nicht gerade glücklich glucksen, um mich von der Arbeit abzuhalten.
Inzwischen bin ich in die Küche umgezogen, wo ich auf dem Boden tippe. Dort ist es etwas kühler, zumindest bis kurz nach zwölf, wenn die Sonne um die Ecke wandert. Diskrete Wohlstandgeräusche, wie man sie sonst nur aus gediegenen Vororten kennt, erinnern allerdings auch hier an die eigene prekäre Existenz: Elektrische Rollos surren selbstständig auf und ab, hier und da brummt eine Klimaanlage, und automatische Sprinkler lassen an saftigen Rasen denken. Auch die Nanny von gegenüber ist weiterhin deutlich zu hören.
Natürlich könnte ich nun aus meinem Brutkasten in den nächsten Park flüchten, doch so einfach ist es nicht. Selbst wenn die Welt auseinanderfällt, brauche ich eine disziplinierende Arbeitsumgebung. Ich werde also mit heißem Kopf hier ausharren und voller Vorfreude daran denken, dass ich eines Tages zurückkehren darf in meinen geliebten sozialen Wohnungsbau.
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