Almodóvar-Film „Parallele Mütter“: Frauen mit schwerem Gepäck
In „Parallele Mütter“ erzählt Pedro Almodóvar von privaten Lügen und politischen Irrungen. Mit dabei: Penélope Cruz, die mit gehetzer Eleganz spielt.
Das mit dem Mutterglück hatte Janis (Penélope Cruz) sich jedenfalls anders vorgestellt. Noch im Krankenhaus, auf der Entbindungsstation, wo sie mit Ana (Milena Smit) die dicken Bäuche auf dem Gang spazieren trägt und beide abwechselnd die Wehen veratmen, bekundet sie ihre Freude auf den ungeborenen Menschen. Ana, mit siebzehn Jahren nur halb so alt wie Janis, ist dagegen schon mulmiger zumute. So richtig gewachsen fühle sie sich der ganzen Sache nicht.
Ungeplant schwanger geworden sind derweil beide Frauen: Janis durch den forensischen Anthropologen Arturo (Israel Elejalde), Ana während einer Gruppenvergewaltigung. Nicht nur diese Tatsache deutet darauf hin, dass Männer in Pedro Almodóvars nunmehr fünfundzwanzigsten Film eine eher schwache Figur abgeben. Arturo ist Janis zwar auf gewisse Weise verfallen, aber auch verheiratet, ein Schwangerschaftsabbruch und Fortführen der Affäre wäre ihm im Grunde lieber. Und über Anas männliches Umfeld muss oder will man eigentlich nicht viel mehr wissen.
Mit „Parallele Mütter“ ist der spanische Regisseur nach einem Abstecher in den Kosmos alternder, sich ihrer eigenen Genialität unsicher gewordener Künstler („Leid und Herrlichkeit“) wieder dort angelegt, wo für ihn schon immer die großen Dramen zu finden waren: „Mein Ideal einer Geschichte ist eine Frau, die sich in einer Krise befindet“, soll er einmal gesagt haben. Und wenn man sich Almodóvars Filmografie ansieht, kann man dem selbsterklärten Anspruch nur beipflichten.
Vielleicht gibt es keine Extremsituation, keine Verwicklung, kein schwierig behaftetes Verwandtschaftsgeflecht, durch die er seine Protagonistinnen noch nicht geschickt hat. Sadistisch ist sein Blick dabei nie, auch in größter Not steht er den Verlassenen, Verschmähten, Verunglückenden, Alternden und Sterbenden bei, stattet sie imposant oder zumindest exzentrisch aus.
Unvergessen etwa Candelas (María Barranco) Ohrringe in Form winziger Espressokannen in „Frauen am Rande des Nervenzusammenbruchs“ oder Magdalena „Lena“ Riveros (Penélope Cruz) dicke Goldketten in „Zerrissene Umarmungen“, die auch Symbol einer tragischen, oppressiven Realität waren.
Formvollendete Kulisse
Einige Zeit später, im Madrid des Jahres 2016, wo die neueste Ereigniskaskade angesiedelt ist, wirken zumindest die Outfits ein bisschen schlanker. Auch wenn man es sich nicht hat nehmen lassen, die mittellose Ana mit einer sportlichen Jacke von Miu Miu einzukleiden, die mit den paar Euro, die sie als Bedienung in einem Café erwirtschaftet, wahrscheinlich nur schwer zu haben sein dürfte. Und der knallrote Kinderwagen, in dem Janis ihre Tochter herumfährt, muss schon mindestens von Stokke sein.
„Parallele Mütter“. Regie: Pedro Almodóvar. Mit Penélope Cruz, Milena Smit u. a. Spanien 2021, 123 Min.
Ana und Janis durchwandeln jedenfalls eine ansehnliche Welt; Janis’ Wohnung mit Zitronenbäumchen auf dem Balkon, dem ein oder anderen Designerstück und geschmackvoll-interessantem Farbanstrich ist ein Traum, wie man ihn sonst nur in der Zeitschrift AD antrifft. Und selbst das Intermezzo im Krankenhaus ereignet sich vor cleaner, aber auch formvollendeter Kulisse mit markanten Details.
Der Effekt, niemals mit einer Almodóvar-Figur tauschen zu wollen, aber sich trotzdem ein bisschen zu wünschen, für nur eine kleine Weile auf ihren Sofas lümmeln zu dürfen, ihre Küchen und Bäder zu benutzen und ebenfalls gerade Serviertes stehen zu lassen, weil das Taxi schon auf einen wartet, stellt sich auch in „Parallele Mütter“ rasch ein. Es ist das typische bunte, dramatische und exquisite Fantasiereich, vor dem sich das Unvorstellbare ereignet.
Ein heimlicher DNA-Test
Denn die Begegnung zwischen Ana und Janis soll nicht im Krankenhaus enden, vielmehr ist das zeitgleiche Gebären nur der Anfang einer unwahrscheinlichen Verkettung, in der sich insbesondere Janis mit voller Wucht wiederfindet. Angefangen beim Alltag einer berufstätigen Mutter (Janis verdingt sich als Modefotografin) samt einer Armada menschlicher und technischer Babysitter (über weite Strecken betritt die kleine Tochter vor allem über ein mit Kamera ausgestattetes Babyfon die Bildfläche), bis hin zum plötzlichen Auftritt Arturos, der beim besten Willen keine Ähnlichkeit zwischen sich und dem Kind feststellen kann.
Schnell gewinnt das Geschehen an Dynamik: Ein heimlicher DNA-Test und Anas unverhoffte Rückkehr in Janis’ Leben als neue Kraft im hauseigenen Café, nun mit blondem Kurzhaarschnitt anstelle der vormals dunklen, langen Mähne.
Cruz verleiht ihrer Rolle dabei eine Art gehetzter Eleganz. Das Drehbuch schreibt ihr quasi alle Verantwortlichkeiten an den Hals, die man als moderne Frau so haben kann: Erwerbsarbeit, alleinige Elternschaft, ein feministischer Anspruch (einmal sieht man sie man sie in einem „We Should All Be Feminists“-Shirt von Dior die Türe öffnen) und ein offenes Ohr für die Sorgen der anderen – wie Anas Mutter Teresa (Aitana Sánchez-Gijón), ebenfalls eine Geplagte, die unter dem Zitronenbäumchen Platz nimmt und über ihren komplizierten Lebenswandel sinniert.
Zusammengeschnürt mit den Fäden einer Lüge
Und als wäre das nicht genug, übernimmt Janis mit ihrem Anliegen, ihren Urgroßvater, ein Opfer des Franco-Regimes, exhumieren zu lassen, auch noch eine gesellschaftspolitische Aufgabe, vor der man sich von staatlicher Seite drückt.
Es ist eine völlige Überfrachtung, ein schweres Gepäck, das obendrein mit den Fäden einer Lüge zusammengeschnürt ist. Und tatsächlich scheint es, als möchte Almodóvar jene Janis, benannt nach Janis Joplin, bersten lassen. Er missgönnt ihr die Ausflüchte, wie sie noch die eigenen Mütter für sich wählen konnten: Drogen auf Ibiza, das radikale Verfolgen einer Vision. Janis ist eine Aufaddierung aller ihr vorangegangenen Frauen. Sie ist komplett fähig, komplett fertig und komplett verlogen. Nicht bösartig verlogen, sondern zum Selbst- und Fremdbetrug gezwungen, soll das Exoskelett ihres Daseins bestehen bleiben.
Umso bestechender der Kontrast zu den beinahe vergessenen Skeletten der Ermordeten, die im Twist-reichen Fortlauf letztlich zutage treten dürfen. Dann liegen sie nämlich da, wie eine unumstößliche Wahrheit, und es war ein steiniger Weg bis hierhin.
„Geschichte ist niemals stumm“
Pedro Almodóvar schickt passenderweise ein langes Zitat des uruguayischen Linksintellektuellen Eduardo Galeano („Die offenen Adern Lateinamerikas“) in den Nachhall: „Geschichte ist niemals stumm. Egal, wie sehr sie in Brand gesetzt oder kaputt gemacht wird, egal, wie viele Lügen erzählt werden, die menschliche Geschichte weigert sich, den Mund zu halten.“
Dass die Verquickungen vermeintlich kleiner privater Lügen und großer politischer Irrungen in Janis sowohl kulminieren als auch eine gewisse Lösung erfahren, macht „Parallele Mütter“ zu einer verkopften wie anregenden Erfahrung. Und sie markiert ebenfalls ein Jubiläum: Vor 25 Jahren trat Penélope Cruz zum ersten Mal in einem Almodóvar-Film in Erscheinung, als Prostituierte Isabel in „Live Flesh – Mit Haut und Haar“. Gleich in den ersten Filmminuten gebar sie ins Madrid der Franco-Diktatur einen Sohn, im Bus, eine ältere Kollegin biss die Nabelschnur durch. Die chaotische Geburt setzte die Handlung in Gang. Fünfzig Jahre später wiederum vermögen es zwei Geburten, über zahlreiche Umwege, ein Kapitel zu schließen.
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