Alltag mit Neonazis in Bad Segeberg: Vergiftete Stimmung
In Bad Segeberg bedrohen Neonazis Bewohner*innen und versuchen, Schüler*innen anzuwerben. Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ wehrt sich dagegen.
Der Pfad durch den Südstadtpark gilt als Abkürzung auf dem Weg zur Schule. Viele Jugendliche und Kinder laufen dort täglich entlang. Seit einigen Monaten beobachten Anwohner, dass sich in dem Park öfter Neonazis aufhalten.
Die Situation in Bad Segeberg hat sich verschlimmert, seit der bekannte Neonazi Bernd Tödter im Sommer aus der Haft entlassen wurde. Er ist in die Segeberger Südstadt zurückgekehrt – dem Ort, an dem er aufgewachsen ist. Nun versuchen Tödter und seine Freund*innen, gezielt Schüler*innen anzusprechen, berichten Menschen aus Bad Segeberg.
Viele Segeberger*innen haben Angst vor dem Erstarken der Neonazis. Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ stellt sich dagegen und will mit verschiedenen Aktionen aufklären, Mut machen und öffentliche Räume besetzen. Am Samstag, den 18. Januar veranstaltet sie ein Lichterfest im Südstadtpark. Das Motto: „Wir sind mehr – Segeberg bleibt bunt“.
„Uns geht es nicht nur um die Neonazi-Gruppe hier, sondern auch um die rechte Ideologie in der Gesellschaft“, sagt S. von der Initiative. Auch sie möchte lieber anonym bleiben. „Man merkt, der Rechtsruck wird stärker, und wir müssen dem was entgegensetzen.“ Zum Fest am Samstag sollen Feuerkünstler und drei Bands kommen. Es gibt Kinderspiele und der Park soll bunt leuchten. „Es ist viel Arbeit, aber es macht Spaß“, sagt S.
D. ist ebenfalls Teil der Initiative und engagiert sich gegen die Neonazis. Zum ersten Mal begegnete sie Bernd Tödter auf einer Klimamahnwache, an der ihre Kinder beteiligt waren. Damals wusste sie nicht, mit wem sie es zu tun hatte. Sie erinnert sich daran so: „Ich habe zwei Neonazis gesehen, die Fotos gemacht haben. Das wollte ich natürlich verhindern. Darum bin ich zu ihnen gegangen und habe gefragt: Was macht ihr hier?
Sie: „Wir fotografieren.“
Ich darauf: „Na, was denn?“
Sie: „Euer Banner.“
Dann dachte ich, ich muss patzig werden, damit sie weggehen. Also habe ich gesagt: „Das ist doch Englisch, das könnt ihr sowieso nicht.“ Danach sind sie weggegangen.“
Einer der beiden war Bernd Tödter. Doch das erfährt D. erst nach dem Gespräch von jemandem, auf der Mahnwache. „Dann habe ich gegooglet und mir wurde etwas mulmig“, sagt D. Tödter gilt als besonders gewaltbereiter Rechtsextremist. Er saß mehrfach in Haft, unter anderem wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Anstiftung zur Körperverletzung. Noch am gleichen Tag klingelt Tödter mit seinem Kumpanen an der Tür von D. und sagt: „Jetzt wissen wir, wo ihr wohnt!“
Laut der Rechercheplattform Exif rekrutiert Tödter in Bad Segeberg Mitglieder für seine gewaltbereite Kameradschaft namens „Aryan Circle“, was so viel wie „Kreis der Arier“ bedeutet. Seit er im Sommer wieder in Bad Segeberg ist, kleben in Bad Segeberg viele Sticker mit rechtsextremen Botschaften – vor allem in der Südstadt und in der Innenstadt. Auf einem blauen Sticker steht „Aryan Circle“. Ein anderer Aufkleber ist schwarz-weiß-rot mit der Abkürzung „NSBS“ für „Nationalsozialisten Bad Segeberg“.
Die Initiative „Segeberg bleibt bunt“ geht alle zwei, drei Wochen durch die Stadt und kratzt die Sticker ab. Die meisten sind auf Laternenpfählen. Einige kleben an Häusern von Migrant*innen. „Wenn wir die Aufkleber abgekratzt haben, binden wir manchmal eine Schleife um die Laternen. Dann sieht man: Hier war mal was“, sagt S. von der Initiative.
Auch das Haus von D. wird mit Aufklebern übersät – und nicht nur das. „Sie sind dann in voller Nazi-Montur vor unserem Haus aufgelaufen“, erinnert sich D. „Wir hatten wirklich Angst und haben uns nicht mal zum Einkaufen vor die Tür getraut.“ Schließlich kam die Polizei von beiden Seiten angefahren und hat sie vertrieben. Mehrere Wochen lang belagern die Neonazis das Haus von D. Noch heute fährt die Polizei öfter dort vorbei. Generell sei die Polizei sehr kooperativ und hilfsbereit, erzählen Mitglieder aus der „Segeberg bleibt bunt“-Initiative.
Diffuse Angst
Auch Migrant*innen in Bad Segeberg haben Angst. Frauen befürchten, vor allem wegen ihrer Kopftücher angegriffen zu werden. Jaheda K. ist vor einigen Jahren aus Afghanistan nach Deutschland gekommen. Sie sagt: „Ich trage mein Kopftuch schon seit ich ein Kind bin und möchte es nicht abnehmen.“ Sie und ihre Bekannten sind nun vorsichtig: Ihre Kinder dürfen nicht mehr durch den Südstadtpark laufen. Sie lassen die Kinder nur in Gruppen zur Schule gehen oder holen sie ab.
Die Präsenz der Neonazis hat die Atmosphäre in der Stadt verändert. Die Klimaproteste in Bad Segeberg finden nicht mehr statt, seit die Neonazis dort Menschen bedrohen. „Vorher gab es junge Aktivisten, die sich jeden Freitag für das Klima eingesetzt haben. Jetzt geht das nicht mehr. Da ist immer eine diffuse Angst. Das finde ich bitter“, sagt D. „Dass Kinder ihre Meinung kund tun, ist Demokratie. Das ist so wichtig – und nun ist das gefährdet.“
Inzwischen lassen die Neonazis D. und ihre Familie in Ruhe. Doch D. traut der vermeintlichen Stille nicht. „Es ist zwar ruhiger geworden, aber der Spuk ist noch nicht vorbei“, sagt sie.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste