piwik no script img

Allergiker sollen Hoechst retten

Die Pharmasparte des Konzerns, Hoechst Marion Roussel, stellt magere Bilanz für 1997 vor. Nach Aufstand der Manager gibt der Vorstand „Fehler“ zu. Bayer hingegen mit sattem Gewinn  ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt

Richard J. Markham, Vorstandsboss von Hoechst Marion Roussel (HMR), geriet gestern auf der Bilanzpressekonferenz im Haus Poseidon in Frankfurt in schwere See. Beharrlich weigerte sich der US-Amerikaner aus Kansas City offenzulegen, wie viele Arbeitsplätze bei HMR im Rahmen des Konsolidierungsprogramms „Drug Innovation and Approval“ weltweit bis Ende 1999 abgebaut werden sollen. Es sei ein „Gebot der Fairneß“, während der laufenden Verhandlungen mit den Betriebsräten an den Standorten Kansas City, Paris und Frankfurt keine konkreten Zahlen zu nennen, wich Markham aus.

„Fairneß“ auch für die inzwischen revoltierende mittlere Führungsebene bei HMR und der Holding Hoechst AG, der Muttergesellschaft von HMR? Knapp 100 Manager lasten dem Vorsitzenden der Holding, Jürgen Dormann, in einem Brief „bedrohliche Fehlentscheidungen“ an und werfen ihm „rufschädigendes und sprunghaftes Agieren“ vor. Ein Aufstand der oft gescholtenen Nieten in Nadelstreifen? Immerhin hatte der Vorstand von HMR auf Druck von Dormann vor Monatsfrist signalisiert, bei HMR ausgerechnet in den Bereichen Forschung und Entwicklung bis 1999 rund 650 Stellen abbauen zu wollen.

Nach dem Willen von Dormann wird Hoechst zum sogenannten Life-Sience-Unternehmen umgebaut – nur die Sparten Pharma und Biochemie sollen bleiben. Die Proteste dagegen, daß Dormann die dafür wichtige Entwicklungsabteilung eindampfen und damit weltweit 460 Millionen Mark einsparen möchte, um die Rendite zu verbessern, zeigen allerdings schon Wirkung. Bei HMR sollen zwar immer noch Stellen abgebaut und „Einsparpotentiale“ mobilisiert werden, jetzt aber bei der Verwaltung und in den Marketingabteilungen.

Am großen Ziel, der Verbesserung der Umsatzrendite, dem Verhältnis von Gewinn zu Umsatz, wolle man nämlich unbedingt festhalten. Von schlappen 12,5 Prozent heute soll die Umsatzrendite im Interesse der Aktionäre bis zum Jahr 2000 auf 20 Prozent steigen; ein Ankündigung, die von vielen Analysten auf der Bilanzpressekonferenz mit Kopfschütteln kommentiert wurde. Schließlich konnte HMR den Umsatz 1997 im Vergleich zum Vorjahr zwar um sieben Prozent auf 14 Milliarden Mark steigern, doch das Betriebsergebnis liegt mit 1,652 Milliarden Mark um 19 Prozent unter dem von 1996. Verantwortlich dafür seien Währungsschwankungen und außerordentliche Investitionen, sagte Markham. Das waren „Schnäppchen“ auf dem Markt für kleine Pharmaunternehmen, die das Angebot von HMR an pharmazeutischen Produkten ergänzen sollten – teilweise Fehlinvestitionen in Milliardenhöhe, wie etwa der Ankauf des US-amerikanischen Billigarzneiherstellers Copley.

Wies Dormann bislang die Kritik an seiner Konzernpolitik schroff zurück, entschuldigte sich Markham gestern für seine „Fehleinschätzungen“ und für die „Irritationen“, die vor allem bei den Beschäftigten entstanden seien. Im Vergleich mit den Wettbewerbern sei das Sortiment von HMR überaltert, Patente seien ausgelaufen. Markham räumte ein, daß man bei Hoechst die Entwicklung auf dem Weltmarkt verschlafen habe: „Anfang der 80er Jahre war Hoechst das größte pharmazeutische Unternehmen der Welt. Heute – nach dem Erwerb von Roussel Uclaf und Marion Merell Dow – stehen wir an achter Stelle.“ Ohne diese Akquisitionen würde Hoechst noch nicht einmal mehr zu den 20 größten Pharmaunternehmen der Welt gehören.

Und wie weiter? Markham setzt auf neue Produkte. Ein neues Produkt hat HMR schon 1996 in den Staaten in den Markt eingeführt: „Allegra“ für Allergiker. In nur einem Jahr stieg der Umsatz von 31 Millionen auf 385 Millionen Mark. Die Allergiker sollen also HMR retten – und die Köpfe von Markham und Dormann. Der Boss von Hoechst muß sich übrigens heute auf der Bilanzpressekonferenz des Konzerns der Kritik stellen.

Wie es besser geht, hat ihm vorgestern die Konkurrenz von Bayer gezeigt: Die Leverkusener steigerten ihr Betriebsergebnis 1997 um 20,4 Prozent auf 5,4 Milliarden Mark. Der Umsatz stieg auf 55 Milliarden Mark – trotz eines hohen Anteils jener traditionellen Chemie, die Dormann loswerden will.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen