piwik no script img

Alleinstehende an WeihnachtenWarum Ältere an Weihnachten klar im Vorteil sind

Die Festtage eher traditionell oder ironisch feiern? Unsere Autorin kann sich im Gegensatz zu anderen selbst aussuchen, wie sie die Tage verbringt.

Viel erlebt zu haben Weihnachten, muss nicht von Nachteil sein Foto: serienlicht/imago

N ur noch zwei Wochen sind es bis Weihnachten – wir sind in der Voll-Vorweihnachtszeit! Wer jetzt noch nicht weiß, wie er Weihnachten feiern soll, für den wird es höchste Zeit.

Hier sind wir Älteren im Vorteil, haben wir doch im Lauf der Jahrzehnte schon verschiedene Weihnachts­moden erlebt. Wir können aus diesem Repertoire das Passende zum Fest wählen.

Die Boomerin hat in der Kindheit natürlich traditionell Weihnachten gefeiert, mit vorweihnachtlicher Backverzweiflung, weihnachtlichem Kirchgang, gestressten Müttern und alten Vätern, die das ganze Jahr lang nichts redeten, aber an Heiligabend sentimental wurden und vom Krieg erzählen. Nach dem Singen dann Bescherung, das Geschenkpapier wird geglättet und aufbewahrt. So weit, so gut.

In den späten Siebzigern verlangte der Zeitgeist, „kritisch“ Weihnachten zu feiern. Die Lehrer zwangen uns jedes Jahr aufs Neue, die Böll’sche Lesebuchgeschichte „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ bis zum bitteren Ende – dem pausenlos „Frieden“ flüsternden Engel – zu interpretieren.

Die Referendare schnitten konsumkritische Feuilleton-Artikel mit tollen Wortspiel-Überschriften wie „Süßer die Kassen nie klingeln“ oder „Oje du Fröhliche“ aus und „kurbelten sie auf Matrize“. Das ist ein altertümliches Kopierverfahren. Es hier genauer zu erklären, würde das taz-Format sprengen. Es ist, kurz gesagt, wie eine Kopie, aber ohne Kopierer und in Lila.

Kritisch feiern hieß zuerst einmal kritisch schenken. Also bloß nichts Luxuriöses, Glitzerndes, Überflüssiges, sondern lieber jutesackfarbene Produkte vom Dritte-Welt-Weihnachtsbasar oder Selbstgebasteltes. Je grobgeschnitzter, löchriggestrickter oder plumpgetöpferter, desto ­besser.

Verwandte von AfD- oder Lindner-Fans nicht zu beneiden

In der Schule flöteten die üblichen Streber den fortschrittlichen Religionslehrern Stichworte wie „Einkaufsstress statt Besinnung“ oder „Familienkrach zum Fest der Liebe“ zu. All das ist lange her. Wer heute noch Eltern hat, macht an Weihnachten eine Reise und unterwirft sich am Heiligen Abend ebendem elterlichen Weihnachtsreglement.

Da bei den heutigen Vierzigjährigen eine Traditionalisierung zu beobachten ist, dürfte es hier außer dem üblichen Stadt-, Land-, Vegetarier-, Carnivoren- Gegensatz wenig Konflikte geben.

Weil im Westen Deutschlands viele auf ein hübsches Erbe der alten Eltern hoffen, ist deren Bereitschaft zur Konfliktvermeidung groß. Wer AfD-, BSW- oder Lindner-Fans in der Verwandtschaft hat, ist am heiligen Weihnachtsabend natürlich doppelt gefordert und damit nicht zu beneiden.

Sind gar keine Eltern mehr da, aber Kinder im Haus, heißt es dann, eigene Traditionen schaffen. Da lässt sich zum Beispiel die alte christliche Eltern-­Weihnacht heidnisch updaten mit Völlerei, Lichterzauber und ironischem Singen von traditio­nellen Weihnachtsliedern.

Sind die ­eigenen Kinder bereits groß, müssen die sich wiederum der elterlich-ironischen Weihnachtstradition anschließen. Haben die Kinder wiederum Kinder, sorgen die Generation Z und die jüngere Generation Alpha während des ironisch-heidnisch-katholischen Weihnachtsspektakels für wichtige anarchistische Impulse. Bei diesem Modell ist vielleicht also für jeden etwas dabei.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Bei uns im Irish Pub gibt es für alle Weihnachtsmuffels die "Kein-Bock-Auf-Oma-Party" und nicht zu vergessen die "Ugly-Weihnachtspullover-Party" , da ist für jeden was dabei :D

  • Frau Rösinger kann einem nur Leid tun.

  • Weihnachten gar nix machen (gut, Kekse wären schon gut). Spätschicht im Krankenhaus (hoffentlich kommen nicht wieder die beiden jungen Frauen mit den Querflöten, die stehen immer in Weg). Danach durch die Stille Nacht radeln und zu Hause ein Bier mit der Gattin trinken und ein Spiegelei mit Lachs verzehren. Die Katzen freuen sich schon sehr darauf.



    Lesen, quatschen, fertig.

  • Schubladendenken? Nö, wo denn?



    Also mal ehrlich, Leute - ich bin doch froh, dass ich religiös bin. Sonst fehlte mir was und der moralische Kompass auf jeden Fall. Weihnachten ohne christliche Inhalte verkommt nämlich etwas zur Farce.

    • @cosmo:

      Weihnachten VERKOMMT zur Farce???



      Ich glaube eher, es ist schon lange dazu verkommen.

  • Wunderbare Schauspieler*innen. Böll, der Film:



    www.youtube.com/watch?v=l-ZxtVtHrIA



    Ergänzend was zu Witzen - von Matrizen:



    de.wikipedia.org/wiki/Hektografie