Alkoholkonsum von Fußball-Fans: Keiner soll mehr rein
Fußball und Saufen gehören zusammen – muss glauben, wer der bierseligen EM-Berichterstattung folgt. Ein Podcaster und ein Fanclub sehen das anders.
Fußball ohne Alkohol. Bitte, was? So dürften viele Fußballfans auf einen Satz reagieren, der für sie so widersprüchlich klingt, weil sie an Wochenenden gerne in Fußballstadien oder Kneipen ein, zwei, drei oder mehr Bier trinken.
Der Podcaster Hagen Decker findet, dass jener Eindruck, es gäbe Fußball nur mit Alkohol, auch in der aktuellen Berichterstattung zur Fußballeuropameisterschaft der Männer in den öffentlich-rechtlichen Sendern ARD und ZDF vermittelt werde. Er hostet das ARD-Format „Sucht & Süchtig“, das laut Selbstbeschreibung ein „Podcast für Süchtige, die Abstinenz leben, Abhängige, die clean werden wollen, und natürlich auch für alle anderen“ ist.
„Läuft das gerade richtig?“, fragt Decker in einem Instagram-Post Ende Juni. Es sei „extrem auffällig“, dass bei Schalten ins Stadion oder zu Fans immer wieder gefragt werde: „Was ist mit dem Bier? Wie viel Bier wurde noch getrunken?“ Alkohol sei immer wieder „ein Riesenthema, und zwar nicht irgendwie kritisch in Kontext gesetzt, sondern als wäre das eine lustige Brause wie Apfelsaft, die einfach zum Fußball dazugehört“.
Dabei würden weltweit jährlich 2,6 Millionen Menschen an den Folgen des Alkoholmissbrauchs sterben. In Deutschland hätten 9 Millionen Menschen ein problematisches Verhältnis zu Alkohol. „Die unfassbare Verharmlosung im Moment in der Berichterstattung macht mich sehr wütend“, so Decker. Sein Statement beendet er mit einem Appell an Journalist:innen, das zu ändern.
Bier als ZDF-Hauptthema
Seinem Post hat er eine Stadionschalte des ZDF vorangestellt. „Haben denn die Schotten den Engländern ein paar Kölsch übriggelassen?“, fragt die Moderatorin Katrin-Müller Hohenstein die Reporterin Lena Kesting. „Zu der Bierfrage: Ich habe so langsam das Gefühl, das ist das Hauptthema, wenn ich bei euch da auf der Wand liege, dass ich über Bier rede“, sagt Kesting.
Tatsächlich geht es bei EM-Sendungen im ZDF oder in der ARD immer wieder um Alkohol. In der ZDF-Doku „EM Partyzone Deutschland. So feiern Fußball-Fans!“ sagt der Sprecher: „Zum Fußball gehört für viele ja auch mal ein Bierchen. Wobei es auch bei dieser EM nicht immer und bei jedem nur bei einem Bierchen bleibt, wie unter anderem in Düsseldorf zu beobachten ist.“
Ein albanischer Fan bestätigt: „Zum Fußball gehört immer Bier dazu.“ Und ein spanischer Fan ergänzt: „The best combination always: beer and football.“ Die Aussagen werden so stehen gelassen, die Gefahren von Alkoholkonsum wie Missbrauch oder Sucht kommen nicht zur Sprache. Über ein Düsseldorfer Wirtshaus heißt es am Ende des Film-Abschnitts: „Die gute Nachricht für alle Durstigen: Das Bierdepot wird jetzt ordentlich aufgestockt.“
Auch in der ARD-Dokuserie „Völlig losgelöst – der EM-Roadtrip“ geht es ähnlich zu: Eine Reporterin begleitet zwei dänische Frauen, die viel feiern und trinken, sie trinkt sogar mit ihnen. „Und seid ihr immer noch betrunken?“, fragt sie die beiden dann am nächsten Morgen amüsiert auf dem Zeltplatz. Beim „EM-Kneipenquiz“ der ARD-„Sportschau“ sitzen die Gäste am Tresen vor ihrem Bier, das sie beim Beantworten der Fragen vor den Kameras trinken.
Nur eine „launige Frage“
Auf Nachfrage der taz, inwiefern das ZDF die Kritik des Podcasters Hagen Decker teile, antwortete ein Sprecher, dass es sich bei der Stadionschalte um eine „launige Frage“ der Moderatorin gehandelt habe. Sie habe sich dabei auf die „Partystimmung unter den englischen Fußballfans in Köln“ bezogen, „wo sechs Tage zuvor die schottischen Fans zur Freude der dortigen Gastronomie schon Party gefeiert hatten“. Weiter wollte sich das ZDF trotz Nachfragen nicht zum Thema äußern.
„Grundidee des EM-Kneipenquiz ist es, den Abend nach dem Spiel unterhaltsam ausklingen zu lassen – in einer echten Kneipe im Ruhrgebiet mit echten Fans“, antwortete wiederum ein Sprecher des WDR, der bei der ARD Federführer für die EM-Berichterstattung ist, auf Anfrage der taz. „Die Gäste haben freie Getränkewahl. Einige wählen ein Bier, einige auch ein alkoholfreies und wieder andere eben Wasser, Cola oder anderes.“ In der Berichterstattung zur EM wolle der Sender die Stimmung transportieren.
„Es ist unstrittig, dass der Alkoholkonsum dabei für viele Fans eine Rolle spielt.“ Die Redaktionen seien aber für mögliche Probleme von Alkoholkonsum „sensibilisiert“, weshalb das Thema in der Berichterstattung vorkomme, so der WDR-Sprecher. Dazu verlinkte er auf zwei Beiträge der ARD, eine trägt den Titel „Alkoholfrei durch die EM: Geht das?“.
Michael Krause ist Fan des FC St. Pauli und Sprecher der „Weiß-braunen Kaffeetrinker*innen“ – einem alkohol- und drogenfreien Fußball-Fanclub. Mitglied sind hier aber nicht nur Fans mit Suchterfahrung. Der Fanclub hat ein Suchtpräventionskonzept mit dem Verein erarbeitet, erzählt Krause im Gespräch mit der taz. Bekanntheit hat der Fanclub dadurch erlangt, weil er sich dafür engagiert hat, dass 2022 ein alkoholfreier Getränkestand im Stadion am Millerntor eröffnet wurde. Das „Trockendock“ ist bisher einzigartig in Deutschland. In der kommenden Saison soll der zweite Stand öffnen, so Krause.
Der Stadionbesuch nach dem Entzug
Er selbst ist seit 17 Jahren trocken. Nach der Entgiftung und Langzeittherapie habe er es geschafft, wieder alleine ins Stadion zu gehen. „Aber viele andere schaffen das nicht.“ Deshalb begleitet sein Fanclub Menschen nach Entzugstherapien bei Stadionbesuchen. Falls jemand dem Suchtdruck nicht standhalten kann, gehen alle gemeinsam wieder raus.
Wenn Krause über den Zusammenhang von Fußball und Alkohol spricht, benutzt er das Wort „Symbiose“. Die werde allein durch die Werbung deutlich, das Thema Suchtgefahr spiele keine Rolle. „Das war für mich schon immer so, so erlebe ich Fußball seit Jahr und Tag“, sagt Krause. Und: Man dürfe nicht vergessen, dass Vereine und Verbände mit der Werbung für Alkohol Geld verdienten.
„Menschen sollen verstehen, dass Emotionen wie Freude, aber auch Trauer und Frustration nicht zwangsläufig mit Alkohol verbunden sein müssen. Dass man im Stadion auch ein tolles Lebensgefühl haben kann, wenn man nicht konsumiert“, erklärt Krause ein Ziel des Engagements seines Fanclubs. Fußballfans, die selbst eine Suchtbiografie haben oder einfach keinen Alkohol trinken wollen, rät er, nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten: „Das Gefühl, zusammen nüchtern Fußball zu schauen, stärkt unheimlich.“
Und die „Symbiose“ zwischen Fußball und Alkohol, lässt die sich nicht auch grundsätzlich aufkündigen? Veränderung gehe nicht von heute auf morgen. Und Alkoholkonsum sei gesellschaftlicher Konsens, sagt Krause. „Aber in den letzten fünf Jahren hat sich auch viel verändert.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis