Alke Wierth wird von der Polizei um den Schlaf gebracht: Bürgerinnen in Uniform
Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich diese Woche mal von der Polizei geweckt worden. Kurz vor sieben hatte es am Mittwoch an unserer Tür geklingelt: „Hier ist die Berliner Polizei!“, schallte es durch die Gegensprechanlage, und der Grund des Weckklingels folgte direkt: „Ihr Auto steht im Halteverbot.“
In der Seitenstraße, in der unser Auto geparkt war, stellte sich dann heraus, dass „über Nacht!“, wie meine Tochter, die das Auto am Vorabend dort geparkt hatte, Stein und Bein schwor, Halteverbotsschilder aufgestellt worden waren: „Die waren gestern Abend noch nicht da!“ (O-Ton Kind).
Wie auch immer: Die beiden freundlich-gelassenen Beamtinnen hatten sich die Mühe gemacht, die HalterInnen der zwischen den Verbotsschildern („Umzug“) geparkten Wagen über die Nummernschilder ausfindig zu machen und aus den Betten zu klingeln. Damit ersparten sie uns und anderen die Abschleppgebühren, die hätten anfallen können – eine echte Nettigkeit also. Und die beiden Damen in Uniform bewahrten ihre freundliche Gelassenheit auch noch, als sich trotzdem der Zorn mancher quasi im Schlafanzug vor Ort erscheinender AnwohnerInnen entlud: Ob sie überhaupt wüssten, wie schwer es sei, in der Gegend abends noch Parkplätze zu finden? Und das würde immer schlimmer – eine Zumutung! Tatsächlich nimmt die Parkplatznot mit der Gentrifizierung unserer Gegend zu: Die Autos werden nicht nur mehr, sondern auch größer, die Anzahl der Pkw-Parkplätze dagegen wird durch Maßnahmen der Bezirksverwaltung ständig reduziert.
Eine klassische Strategie autoritärer Systeme: Statt Anreize zu schaffen, das (Fahr-)Verhalten zu ändern – etwa durch Verbesserung des ÖPNV und des Radverkehrs –, wird der Druck auf die erhöht, deren Verhalten missbilligt wird. Ähnlich geht der Bezirk in der Bildungspolitik vor: Angesichts wachsender Zahlen schulschwänzender und -versagender Jugendlicher werden nicht etwa die Schulen verbessert. Stattdessen werden die SchulschwänzerInnen zwangsweise zur Schule gebracht – von der Polizei.
Doch den beiden freundlichen Polizistinnen liegt solches Verhalten offenbar fern, stattdessen reagieren sie mit Empathie: Sie müsse dort, wo sie wohne, auch jeden Tag nach Feierabend lange nach einem Parkplatz suchen, sagte die eine. Bürgerinnen in Uniform.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen