AlinA Schwermer verabschiedet sich von der Fußball-EM: Öffentliches Gähnen
Am Donnerstagabend saß ich in der völlig überfüllten U8, um mich herum ins Leere guckende Deutschlandfans mit Musik auf den Ohren und eine höflich stille Französin, die monoton aufs Handy guckte. So endete ein merkwürdiges Turnier. Das Fußballereignis des Jahres entpuppte sich letztlich als Wasserhahn, der so vor sich hin tropfte, den ganzen Juni über, und man schaute ab und an zu – aber eher, weil der Wasserhahn so penetrant Geräusche machte, und nicht, weil so besonders viel passierte. Irgendwann läuft’s schon los, dachte man sich.
Ja, nee. Stattdessen aus und vorbei für Deutschland. Und ein Abschied in Stille. Niemand heulte, niemand gröhlte trotzig, kein Gegner, der feierte. Auch die Französin sah nicht so aus, als würde sie in dieser Nacht noch den Ku’damm stürmen. Hallo Schland, noch wach?
Beim Rudelgucken zuvor hatten wir noch Witze gemacht: Drei Leute aus unserer Gruppe hatten bis dato kein einziges Deutschlandspiel gesehen. Haha, wenn das nicht mal Unglück bringt. Dabei sind die meisten meiner Freunde Fußballfans; Leute also, die mit diesem ironischen Lächeln über Schlandfans reden und nur granatenvoll zur Fanmeile gehen würden. Aber das Turnier war irgendwie an ihnen vorbeigezogen. Und an Schlandberlin auch.
Unterirdische Besucherzahlen am Brandenburger Tor, Verluste für die Fress- und Saufbuden, wenige Fahnen, kaum Feierei. „Dit is’ ’ne komische EM“, sagten viele. Der neue Turniermodus mit 24 statt bisher 16 Teilnehmern ist grandios gescheitert. Viel zu viele Spiele, eine sportlich überflüssige Vorrunde, zu große Leistungsunterschiede zwischen den Teams, ergo bis zum Viertelfinale häufig ein gähnend gleicher Spielverlauf: Der Underdog mauert, 90 Minuten wird Rasenschach gespielt, am Ende kommt ein mageres 1:0 heraus. Tröpfel, tröpfel.
Und der Eventfan, der rauschende 4:0-Siege für Deutschland sehen will, ging nach Hause. Die Nummer mit der Fanmeile ist mit diesem Turnier endgültig durch, es war ein Trend aus dem Jahre 2006, der nicht mehr zieht. Fraglich, ob es zum nächsten Turnier überhaupt eine Meile geben wird.
Profitiert haben die kleinen Bars, die Biergärten und Cafés. Ja, die Leute wollten die EM genießen. Aber es war schwer, sich in diesen tröpfelnden Wasserhahn zu verlieben. Richtig aufgedreht war er nur für einen Abend, beim Italienspiel. Jetzt tropft gar nichts mehr. Ist auch okay.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen