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Aladin El-Mafaalani zur Militär-Debatte Eine andere Deutung der linken Identitätskrise

Der Wechsel von einer ziemlich verträumten „Die Bundeswehr ist scheiße“-Kultur zu einer irrationalen Befürwortung von Rüstung ist eine Überreaktion. Woher kommt sie?

Bilder vom Ende der Friedensdividende: Soldatenstiefel und Uniformen Foto: picture alliance/dpa | Hauke-Christian Dittrich

taz FUTURZWEI | Die „Zeitenwende“ und der Rechtspopulismus scheinen besonders für (ehemals) Linke eine persönliche politische Herausforderung zu sein.

Sind die politischen Fundamente derart in Schieflage geraten, dass alle nach rechts rutschen? So sieht es aus, auf den ersten Blick. Ich schlage eine andere Deutung vor.

Eine Blattkritik ist ein feststehender Ausdruck im Journalismus für die kritische redaktionelle Diskussion einer Ausgabe. Bei taz FUTURZWEI laden wir regelmäßig Autorinnen und Autoren ein, um eine kritische Auseinandersetzung des Titelthemas und der Titelthesen der aktuellen Ausgabe zu erhalten.

Ist die Bevölkerung wirklich weiter nach rechts gerückt? Die Studien, die eine Langzeitbetrachtung der Einstellungen in Deutschland ermöglichen, deuten eher auf das Gegenteil hin: In den vergangenen Jahrzehnten lässt sich im Hinblick auf menschenfeindliche und autoritäre Tendenzen ein leichter Rückgang feststellen.

Rechtsruck und Identitätsdiffusion?

Selbst wenn man sich das Umwelt- und Klimabewusstsein in der Bevölkerung anschaut, stellt man fest: Es geht über die Jahrzehnte in die richtige Richtung. Und jetzt kommt das Witzigste: Die Einstellungen gegenüber der Bundeswehr sind überwältigend positiv – und waren es auch schon vor der Annexion der Krim 2014 (!) durch Russland.

Bild: Louisa Stickelbruck
Aladin El-Mafaalani

Aladin El-Mafaalani ist Professor für Soziologie an der TU Dortmund. Er war bei der Bundeswehr in Sachsen-Anhalt und wurde dort als Drecks-Wessi beschimpft. Pazifist war er nie, links wahrscheinlich auch nicht.

Bücher: „Das Integrationsparadox“ (2018), „Mythos Bildung“ (2020) und „Wozu Rassismus“ (2021). Sein neuestes Buch „Kinder - Minderheit ohne Schutz“, das er gemeinsam mit Sebastian Kurtenbach und Klaus Peter Strohmeier verfasst hat, ist im Januar bei Kiepenheuer & Witsch erschienen.

Diese drei Befunde geben doch eigentlich allen Grund zur Gelassenheit. Aber: Warum sehen die Wahlergebnisse so komplett anders aus? Und: Warum kommt es zu linken Identitätsdiffusionen?

Ich möchte die These vertreten, dass es auf einer abstrakten Ebene einen einfachen Hauptgrund gibt: Die Dinge funktionieren nicht! Wohnungsbau, Deutsche Bahn, Kitas und Schulen, Wirtschaft – es fällt einem kaum ein Bereich der Infrastruktur ein, der in einem akzeptablen Zustand ist. Das Notwendige kommt zu langsam oder gar nicht voran.

Der Staat wird als überlastet, zum Teil als handlungsunfähig wahrgenommen. Und, ja, das gilt auch für die Bundeswehr.

Die Enden der Dividenden

Zwei historisch günstige Phasen sind jetzt vorbei: Die demografische Dividende ist aufgebraucht, die durch die Situation begründet ist, dass relativ viele Personen im erwerbsfähigen Alter (also potenzielle Leistungsträger) relativ wenige Rentner und Kinder finanzieren müssen.

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Gleiches gilt für die Friedensdividende, dass also aufgrund einer langen Phase des Friedens weniger für Rüstung ausgeben werden musste. Dass nach einigen historisch günstigen Jahrzehnten mit doppelten Dividenden die Infrastruktur brach liegt, ist eine Katastrophe. Rechtfertigt diese Katastrophe eine politische Identitätsdiffusion? Nein.

Zumindest dann nicht, wenn das bedeutet, dass man von der ziemlich verträumten Vorstellung, „die Bundeswehr ist scheiße, die kann weg“, hin zu einer irrationalen Befürwortung von Rüstung wechselt. Das Ergebnis dieser Überreaktion führt dazu, dass die Bundeswehr von nun an unbegrenzt über Schulden finanziert werden kann. Nach oben gibt es auf unbestimmte Zeit keinerlei Begrenzung.

Mal abgesehen davon, dass man so was nur dann machen sollte, wenn man sich sicher ist, dass alle zukünftigen Bundesregierungen in dieser Hinsicht vertrauenswürdig sein werden, fehlt auch hier jeder Realismus.

„Wir brauchen eine funktionierende Bundeswehr, können sie uns aber nicht leisten. Es ist ein Dilemma, das man auch so behandeln muss.“

Denn wir steuern in absehbarer Zeit auf eine Situation zu, in der deutlich über die Hälfte der Bundesausgaben allein durch Bundeswehr, Rentenzuschuss und Zinslast gebunden ist (es könnten vielleicht sogar zwei Drittel werden).

Wie soll das eigentlich finanziert werden? Und welche politischen Zielkonflikte warten in den 2030ern auf uns? Da ist wirklich etwas in Schieflage.

Finanzierungsdilemman und „whatever it takes“

Unsere Demografie und die weltpolitische Lage stellen uns vor größere Herausforderungen, als viele dachten. Aber wir müssen es als Spannungsfeld begreifen: Wir brauchen eine funktionierende Bundeswehr, können sie uns aber nicht leisten. Es ist ein Dilemma, das man auch so behandeln muss.

Aber der Sprung von „Bundeswehr ist scheiße“ zu „aufrüsten, unbegrenzt“ ist ein zielsicherer Hinweis darauf, dass genau das nicht gelungen ist. Die Dinge müssen funktionieren, alle, nicht nur die Bundeswehr. Und all das sollte auch dauerhaft finanzierbar sein in einer alternden Gesellschaft, in der nun die Baby-Boomer in Rente gehen.

Wenn Linke in die Mitte (also nach rechts) rücken, dann droht die Gefahr, dass alles nach rechts rutscht. Eine noch größere Gefahr kann übrigens sein, dass Konvertierte bekannt dafür sind, besonders orthodox und missionarisch unterwegs zu sein. Die politische Überreaktion des „Whatever it takes“ wäre anders gar nicht möglich gewesen.

Gerade jetzt ist kritisches Hinterfragen geboten, damit mit den zur Verfügung gestellten Mitteln nicht alles gemacht wird, was möglich ist. Damit im besten Falle alle Dinge wieder dauerhaft funktionieren. Ansonsten kommt die nächste Identitätskrise womöglich schon bald.

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