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Aktuelle Lage in der UkraineRaketen auf Kiew

In der Hauptstadt werden wieder Wohnviertel stark beschossen. Beobachter sehen das als bewusste Eskalation während des G7-Gipfels.

Am frühen Sonntagmorgen in Kiew: Feuerwehrleute arbeiten an einem schwer beschädigten Wohnhaus

Kiew taz | Am frühen Sonntagmorgen sind in der ukrainischen Hauptstadt vier Raketen eingeschlagen, die Explosionen waren in der ganzen Stadt zu hören. Ziel waren Objekte der zivilen Infrastruktur in einem Innenstadtbezirk. Dabei wurde auch ein neunstöckiges Wohnhaus getroffen, die oberen drei Etagen wurden vollständig zerstört, im Gebäude brach ein Feuer aus. Einige Bewohner wurden unter Trümmern begraben. Eine Rakete schlug in der Nähe eines Kindergartens ein. Das Gebäude und die umliegende Infrastruktur wurden beschädigt, im Innenhof wurde ein Krater von sieben Metern Durchmesser aufgerissen.

Bei dem Beschuss des Wohnhauses wurde ein Mann getötet, weitere Personen wurden verletzt. Eine Mutter und ihre siebenjährige Tochter, die verschüttet wurden, konnten von Bergungskräften gerettet werden. Ersten Informationen zufolge handelt es sich bei dem Toten um den Vater der Familie. Die Frau ist russische Staatsbürgerin, die mit dem Ukrainer verheiratet war und schon lange in der Ukraine lebt.

„Ich wachte auf, als die erste Rakete über unser Haus flog. Ein kurzes Summen, dann eine Explosion. Und dann noch eine, immer wieder. Die Sirenen heulten, Krankenwagen, Polizei, Retter – der Lärm wollte gar nicht mehr aufhören. Einige Nachbarn sind in Panik geraten, andere gingen weiter ihren Beschäftigungen nach. Zwei Stunden später heulten wieder Sirenen und Explosionen erschütterten die Stadt. Es ist wie ein schrecklicher Traum, aus dem man so schnell wie möglich aufwachen möchte“, beschreibt die 34-jährige Valeria die Atmosphäre in Kiew.

Seit April waren Wohnviertel in Kiew nicht mehr solchen schweren Angriffen ausgesetzt. Damals schlugen Raketen in derselben Region ein, obwohl es in der Nähe keine militärischen Objekte gibt. Solche Angriffe können eine große Zahl von Opfern zur Folge haben. Viele Menschen, die evakuiert wurden, sind in die Hauptstadt zurückgekehrt. Zudem haben viele aus den umkämpften Gebieten im Süden und Osten des Landes in Kiew Zuflucht gesucht.

Raketenangriffe auf Kiew seien als bewusste Eskalation zu werten. Das sagte der ehemalige schwedische Ministerpräsident und Co-Vorsitzende des European Council on Foreign Relations Carl Bildt am Sonntag.

Kooperation mit Belarus

Der Beschuss von Wohnvierteln sei ein Signal an den G7-Gipfel, der derzeit in Elmau tagt. Gleichzeitig wurden nach Angaben des belarussischen Projekts Gajun, das militärische Aktivitäten in Belarus überwacht, russische Bomber im Luftraum von Belarus gesichtet, die eine Reihe von Raketen auf die Ukraine abgefeuert haben. Bereits seit 25. Juni wird beobachtet, wie belarussisches Territorium vermehrt für russische Militäroperationen gegen die Ukraine genutzt wird. An diesem Tag wurde der belarussische Luftraum in Richtung Ukraine freigegeben, was zu Explosionen in den nördlichen und zentralen Regionen der Ukraine führte – in Schytomyr, Kiew, Tschernihiw und Riwne.

Auch hat der Geheimdienst der Ukraine in den vergangenen Wochen mehrfach über die Aktivierung von Militäreinheiten von Belarus entlang der Nordgrenze der Ukraine berichtet. Beobachter schließen nicht aus, dass Russland unter dem Deckmantel gemeinsamer belarussisch-russischer Militärübungen Belarus aktiv dazu drängt, eine zweite Front im Krieg gegen die Ukraine zu eröffnen.

Vermehrte, massive Raketenangriffe sowie die jüngsten Treffen zwischen Russlands Präsidenten Wladimir Putin und dem belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko könnten auf solche Vorbereitungen hindeuten. Bei ihrer letzten Zusammenkunft am vergangenen Samstag in Sankt Petersburg sagte Putin Belarus die Lieferung des Raketensystems Iskander-M zu. Dieses kann auch mit nuklearen Sprengköpfen bestückt werden.

Aus dem Russischen Barbara Oertel

Die Autorin war Teilnehmerin eines Osteuropaworkshops der taz Panter Stiftung

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