piwik no script img

Aktivistin über Tscherkessen und Olympia„Russland soll sich entschuldigen“

Die Menschenrechtlerin Sarah Reinke über Olympia 2014, die vertriebenen Tscherkessen und die Verantwortung Russlands.

Olympia-Baustelle in Sotschi, der letzten Hauptstadt der Tscherkessen Bild: dpa
Interview von Marco Fieber

taz: Welche Aktionen haben Sie für die Olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi geplant?

Sarah Reinke: Wir werden Sotschi als Großereignis nutzen, um auf das Schicksal der Tscherkessen aufmerksam zu machen. Diese sind empört, dass das russische Olympia ausgerechnet dort stattfinden soll – denn Sotschi war ihre letzte Hauptstadt.

Was genau haben Sie vor?

Wir werden das Ereignis dazu nutzen, um die Menschenrechts-verletzungen im Nordkaukasus in den Fokus zu setzen. Deshalb haben wir im Moment ein Memorandum verfasst, in dem das Schicksal der Tscherkessen beschrieben wird und die Hintergründe dargelegt werden: Also warum diese gegen Sotschi sind, welche Organisationen dahinter stecken und welche Forderungen sie haben.

Mit welchen Organisationen arbeiten Sie in Sotschi selbst zusammen?

Mit Menschenrechtsorganisation und einzelnen Menschenrechtsaktivisten etwa. Bei den Tscherkessen sind es vor allem deren Verbände, die mittlerweile über die ganze Welt verstreut sind. Speziell in den letzten Monaten gab es dort über die sozialen Netzwerke eine erstaunliche Dynamik.

Marco Fieber
Im Interview: SARAH REINKE

ist seit zwölf Jahren Referentin bei der Menschenrechtsorganisation „Gesellschaft für bedrohte Völker“ (GfbV) für die osteuropäische und postsowjetischen Staaten. Die nahen Olympischen Winterspiele im russischen Sotschi im Februar 2014 will die GfbV zusammen mit Partnerorganisationen nutzen, um die Situation und das Schicksal der Tscherkessen bekannter zu machen.

Historischer Hintergrund: Ab 1862 wurden zehntausende Tscherkessen von der Armee des russischen Zaren getötet, nach dem der sogenannten Kaukasischen Krieg verloren ging. Anschließend wurde die Volksgruppe in die heutige Türkei deportiert, andere flohen bereits zuvor in das osmanische Reich. Geschätzt 180.000 Tscherkessen starben an Krankheiten oder Unterernährung. Bis dahin siedelten die sie an der nord-östlichen Küste des Schwarzen Meeres. Die Region um Sotschi verkörpert dabei die historische Heimat für sie.

Inzwischen leben noch gut 700.000 Tscherkessen in einigen der nordkaukasischen Republiken. Die größte Diasporagemeinschaft existiert in der Türkei mit drei Millionen Menschen, in Syrien leben rund 100.000 Tscherkessen.

Warum?

Der Anlass war der Krieg in Syrien, wo es eine große Diaspora gibt. Über ihre internationalen Netzwerke versuchen die Tscherkessen ihre Angehörigen aus dem Land zu holen. Wenn also Flüchtlinge aus Syrien in der Türkei ankommen, werden diese oftmals sofort von „türkischen“ Tscherkessen aufgenommen.

Was sind die Forderungen der Tscherkessen?

Die Tscherkessen sind für den Boykott (der olympischen Winterspiele 2014 in Sotschi, Anmerkung der Redaktion). Allerdings sehen wir, dass dieser nicht mehr möglich ist. Deshalb wollen wir nun mit Hilfe von Ausstellungen oder Präsentationen auf das Schicksal der Tscherkessen aufmerksam machen.

Welche Rolle spielt Russland dabei?

Russland soll nun endlich Verantwortung übernehmen für das Verbrechen, das nun bereits 150 Jahre her ist. Die Tscherkessen fordern also schlicht eine Entschuldigung. Und viele wollen in ihre Heimat zurückkehren. Dies wird ihnen aber unglaublich schwer gemacht, viele werden abgewiesen. Die Tscherkessen verstehen das nicht – würde Russland ihnen in dieser Hinsicht die Hand reichen, dann wäre das Problem mit Sotschi gar nicht so groß.

Ist dieses Thema in den russischen Medien überhaupt präsent?

Nicht sehr, es besteht schlicht kein Interesse daran. Es gibt in der russischen Politik viel Angst und viele Fragen: Sind das Islamisten? Sind das Leute, die hier territoriale Ansprüche stellen werden? Das wird dann von den Medien aufgegriffen und das schadet wiederum den Tscherkessen.

Wird sich durch die Spiele in Sotschi etwas in dieser Thematik ändern?

Leider hat die Erfahrung gezeigt, dass diese Großereignisse nur Momentaufnahmen sind. Danach wird die Problematik wieder aus der größeren Öffentlichkeit verschwinden. Die Zeit ist einfach zu kurzlebig. Die Tscherkessen hoffen natürlich, dass es nachhaltig ist. Aber ich schätze das sehr pessimistisch ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

10 Kommentare

 / 
  • B
    BrIg

    Entschuldigen Sie mein schlechtes Deutsch

     

    Tscherkessen ist die allgemeine Bezeichnung für viele verwandte Stämme.

    Die Tscherkessen waren Christen und lebten in Frieden mit Russland an der südlichen Grenze bis ins 17. Jahrhundert (in der Ukraine ist die Stadt Tscherkassy).

    Unter dem Druck der Krimtataren, migriert Tscherkessen aus dem Kaukasus und wurde Muslime und Verbündete der Türken und Briten.

    Es war ein Krieg. Der Krieg wurde von allen Gesetzen der Zeit gekämpft - mit einem Waffenstillstand, mit der Beseitigung von Leichen auf dem Schlachtfeld. Der Krieg hat die Besonderheiten des Kaukasus nicht über die Regeln des Krieges gehen.

    Die Tscherkessen wurden besiegt. Russland hat Neuansiedlung in der Kuban Tscherkessen angeboten. Tscherkessen lebten vor der Kuban-Region (siehe oben).

    Ein Teil der Tscherkessen (vierte) beschlossen, dem Kuban bewegen.

    Ein Teil der Tscherkessen (3/4) hat beschlossen, dem Osmanischen Reich verlagern (mit Genehmigung von Russland). Die Entscheidung wurde Tscherkessen Aristokratie, wie sie Angst die Kontrolle zu verlieren über einfache Tscherkessen im Zusammenhang mit der Abschaffung der Leibeigenschaft in Russland im Jahre 1861 (einfache Tscherkessen in der Türkei wäre vorbehaltlich seines Adels) waren.

    Dies nennt man muhadzhirstvo. Türkei war nicht bereit für Massenauswanderung. So viele Tscherkessen in der Türkei starb.

  • 1
    1Stejn

    @Maxy

    Das von den Tscherkessen besiedelte Gebiet im Nordkaukasus, war zu keinem Zeitpunkt der Geschichte Teil der georgischen Hegemonie.

    Das Osmanische Reich hat den Kaukasus ebenfalls nicht erobert. Es handelte sich lediglich um ein Bündnis der Kaukasus-Völker mit den Osmanen. Die Osmanen können den Russen also nicht etwas vertraglich übergeben, was ihnen nie gehörte.

     

     

    @Gülay

    Ich habe explizit darauf hingewiesen, dass nicht der Komplette Holocaust als Vergleich herangezogen wurde, sondern ausschliesslich Auschwitz und Sotschi miteinander verglichen wurden.

    Aber selbst wenn der Holocaust in seiner Gänze als Vergleich mit dem Völkermord an den Tscherkessen in seiner Gänze herangezogen würde, würde der Holocaust dem Völkermord an den Tscherkessen in seinen prozentualen Ausmaßen nachstehen.

    Während der gesamten Russisch-Tscherkessischen Konfrontation (also nicht nur Sotschi) wurde die tscherkessische Bevölkerung durch direkte russische Verantwortung um mehr als die Hälfte dezimiert. Ein Bruchteil der Überlebenden ist im Kaukasus verblieben, wo sie weitere Schandtaten der Russen zu ertragen hatten. Der Rest wurde vertrieben oder ist freiwillig geflohen.

    Aber zur Güte: Der komplette Holocaust mit seinen sechs Millionen Opfern ist in seinem Gesamtausmaß natürlich größer.

  • M
    Maxy

    Vom 6. bis 15. Jahrhundert gehörte das Gebiet den Königen von Georgien (Christliche Orthodoxie), die dort ein Dutzend Kirchen erbauten. Ab dem 15. Jahrhundert wurde die Küste vom Osmanischen Reich kontrolliert (sprich erobert). Nach dem Russisch-Türkischen Krieg 1828–1829 wurde es 1829 mit dem Frieden von Adrianopel vertraglich an Russland abgetreten.

    Dann soll sich vielleicht auch Türkei bei Georgien entschuldigen?

  • G
    Gülay

    Wir haben es hier mit einem Ereignis aus dem 19. Jahrhundert zu tun, dass essentiell immer noch die Nachkommen der Vertriebenen aus dem Kaukasus beeinflusst. Es geht um Anerkennung, darum, dass gesprochen wird, um Opfer, um Täter_innen, um Verbrechen, um eine Kolonisierungspolitik, die Menschenleben gekostet hat. Es geht um ein belastetes Erbe und ein Gedächtnis, das nicht verarbeitet wurde. Das bedeutet Trauer und Schmerz für viele Angehörige dieser Minderheit. Anerkennung ist da nur angebracht.

     

    Bei Vergleichen mit anderen Völkermorden wäre ich vorsichtig. Eine Gleichsetzung mit dem Holocaust oder dessen Relativierung ist nicht angebracht.

  • 1
    1Stejn

    Die Deutschen (ich bin übrigens kein Deutscher) haben sich entschuldigt und Reparationen gezahlt (und zahlen immer noch). Und viel wichtiger ist, dass Deutschland sich einer geschichtlich ehrlichen Aufarbeitung gewidmet hat.

    Die Russen wiederum, nach all den Eroberungszügen und schlimmster Barbarei gegenüber fremden Völkern und der eigenen Bevölkerung gegenüber, weigert sich nach wie vor jegliche Reue zu zeigen.

     

    Der Vergleich mit Auschwitz (und nicht mit dem kompletten Holocaust) ist berechtigt.

    In Auschwitz wurden etwas über eine Millionen Menschen ermordet (auch Nicht-Juden). Unter der Annahme, dass eine Million Juden dort (also NUR in Auschwitz) ermordet wurden und es zu dem Zeitpunkt Weltweit zehn Millionen Juden (es waren übrigens sehr viel mehr) gab, entspricht das einem prozentualem Anteil von 10%.

    Zur Zeit der Russich-Tscherkessischen Auseinandersetzung hat es insgesamt weniger als zwei Millionen Tscherkessen gegeben, so dass bei der Annahme dass "nur" 500.000 Tscherkessen in Sotschi getötet wurden (es waren sehr viel mehr), ein prozentualer Anteil von mindestens 25% erreicht wird und dies meine Aussage durchaus verifiziert.

    Was die russische Kultur und ihr Gebaren, besonders im Hinblick auf Vernunft, Einsicht und generell zivilisiertem Verhalten betrifft, scheinen Ihre Kommentare eine eindeutige Sprache zu sprechen.

  • K
    Kartoffelvernichter

    @1Stejn:

    Blanker Hohn!

    Euch steht es überhaupt nicht zu irgendwelche Kritik an Russland zu üben.

    Entschuldigt euch erstmal für all die Verbrechen euren geliebten dritten reiches und zahlt Entschädigungen für 30 Millionen tote sowjetische Bürger.

    Dann schauen wir vielleicht weiter.

    Die aufgeführten Vergleiche mit Auschwitz zeugen eindeutig von Dummheit.

     

    Außerdem entspricht der Artikel in keinster Weise der Wahrheit.

  • 1
    1Stejn

    @super

    Die heutigen Römer sind nicht die Rechtsnachfolger der Römer von 200 v.Chr.

    Ihr Beispiel ist sehr unsäglich und zeugt nicht nur von unmenschlicher Ignoranz gegenüber einem Volk das viel Leid ertragen musste, sondern auch von Dummheit.

    Die Geschichte hat gezeigt, dass Nationen erst dann einen nachhaltigen gesellschaftlich-kulturellen aufstieg erleben, wenn sie sich ihrer Fehler bewusst werden, diese Eingestehen und sich der Wiedergutmachung und Annäherung widmen.

    Deutschland ist in dieser Hinsicht das beste Beispiel an dem sich die Russen orientieren sollten.

    Russlands Problem ist das Problem vieler Nationen und Menschen. Russland ist genauso stolz wie es dumm ist.

    Dies hat zur Folge, dass Russland Fehler macht, und dann zu stolz ist, den Fehler einzugestehen und geradezubiegen.

  • 1
    1Stejn

    Sotschi hat in Verbindung mit den Tscherkessen eine weitaus größere Bedeutung, und geht über den Faktor als letzte Hauptstadt weit hinaus.

    Sotschi war Ausgangspunkt und Hauptschauplatz des Genozids an den Tscherkessen, dem über eine Million Tscherkessen als Tote oder Vertriebene zum Opfer fielen.

    In Sotschi Olympische Spiele zu zelebrieren, wäre gleichzusetzen mit Olympischen Spielen in Auschwitz.

    Dies ist hinsichtlich der Opferzahlen im direkten Vergleich Auschwitz/Sotschi und der prozentualen Dezimierung von der Gesamtzahl der Volksgruppe bei weitem nicht übertrieben.

    Die russische Militärgeschichte hat einen eindeutigen Ruf, so dass hinsichtlich der Glaubwürdigkeit die Wahl nicht schwer fallen dürfte.

  • IK
    Irma Kreiten

    @ super: was soll denn diese Bemerkung? Wollen Sie damit wieder evolutionistische Ideen aus dem 19. Jahrhundert in Umlauf bringen, denen zu Folge Voelker wie die Tscherkessen sowieso zwangslaeufig aussterben, oder geht es Ihnen ganz einfach um das Recht des Staerkeren? Es ist wirklich sehr charakteristisch: nun erscheint endlich einmal ein Artikel ueber den Westkaukasus in einem Mainstream-Medium, und schon ist die Haeme da.

  • S
    super

    Die Römer sollten sich jetzt bitte auch endlich mal bei den Karthagern entschuldigen!