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„Ich wollte nicht in meiner Berlin-Bubble bleiben“

Clara Mühlheim ist für die Falken im ländlichen Raum Brandenburgs aktiv. Beim taz Panter Forum in Cottbus spricht sie über Angriffe von rechts und demokratische Gegenwehr – wir haben vorab mit ihr gesprochen

Foto: Piotr Pietrus

Interview Katrin Gottschalk

taz: Derzeit liegt die AfD in Brandenburg in Umfragen bei 24 Prozent. Vor fünf Jahren hatte die Partei schon 23,5 Prozent der Stimmen. Was hat sich seitdem verändert, Frau Mühlheim?

Clara Mühlheim: Das Klima in Brandenburg hat sich verändert. Ich arbeite in einem Jugendclub und die Kinder berichten immer häufiger von Rassismuserfahrungen, die sie machen. Sie erleben Beleidigungen, tätliche Angriffe.

taz: Die Falken betreiben in Brandenburg zwei Jugendclubs, in Rheinsberg und Luckenwalde. Welche Erfahrungen machen Sie dort aktuell?

Clara Mühlheim: Wir als Jugendclubs sind noch nicht Ziel der AfD, die Falken Brandenburg aber schon. Die AfD hat 2019 im Brandenburger Landtag einen Antrag gestellt, uns alle Gelder zu streichen. Damals stand die Brandmauer noch. Alle demokratischen Parteien stimmten dagegen. Wir hoffen, dass das so bleibt. Ohne diese Unterstützung hätten wir es natürlich viel schwerer.

taz: Es gab aber auch sieben Angriffe auf den Jugendclub in Luckenwalde …

Clara Mühlheim: Bei einem Angriff im letzten Jahr wurde unsere Fensterscheibe mit einem Pflasterstein eingeworfen. Die Vermutung liegt nahe, dass es Nazis waren, da zu der Zeit ein Aktionswochenende der Rechten war. Es gab auch andere Angriffe mit Graffiti.

taz: Hat die Polizei sofort geholfen?

Clara Mühlheim: Die Polizei ist, wie es ihre Aufgabe ist, direkt zu uns gekommen und hat unsere Beschwerden aufgenommen. Leider hat das nie etwas gebracht. Früher wurden wir auch öfter gefragt, ob wir eine Ahnung hätten, wer das sein könnte. Das ist im letzten Jahr leider nicht mehr passiert. Trotzdem wird uns immer wieder versprochen, dass öfter jemand vorbeikommt.

taz: Wie lange sind Sie schon bei den Falken aktiv?

Clara Mühlheim: Ich engagiere mich seit vier Jahren ehrenamtlich, vor allem in Frankfurt (Oder). Und seit etwa einem halben Jahr bin ich in einem Jugendclub tätig. Dort arbeite ich mit Kindern und Jugendlichen, die aus eher prekären Elternhäusern kommen. Wir fahren mit ihnen ins Zeltlager, machen Kinderwochen und versuchen, ihnen etwas Erholung von ihrem Alltag anzubieten. Die meisten Kids, die zu uns kommen, haben eine Migrationsgeschichte oder Fluchterfahrung, die wollen wir empowern.

taz: Gab es einen bestimmten Auslöser für Ihr Engagement?

Clara Mühlheim: Ich habe im Studium eine Person von den Falken Brandenburg kennengelernt und ich wollte mal Antifa-Arbeit dort machen, wo sie wirklich gebraucht wird. Ich wollte nicht in meiner Berlin Bubble bleiben.

taz: Auf unserem letzten taz Panter Forum forderten viele Engagierte aus kleinen Orten, dass die Ak­ti­vis­t*in­nen aus den Großstädten mehr ins Hinterland gehen, mehr zu Demos auf dem Land mobilisieren sollten. Bekommen Sie genügend Unterstützung aus den Großstädten?

Clara Mühlheim: Es könnte schon mehr sein, aber grundsätzlich gibt es im Raum Berlin viele Aktivist*innen, die durch die Wahlen auf dem Schirm haben, dass sie das Hinterland unterstützen müssen. Die fragen auch, was dort gebraucht wird! Aber diese Unterstützung hat uns hier die letzten drei, vier Jahre sehr gefehlt. Da war viel Frust.

taz: Haben Sie Sorge, dass sich die Ber­li­ne­r*in­nen sich wieder zurückziehen, wenn die Wahlen vorbei sind?

Clara Mühlheim: Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Die Leute, die das hier gerade so strukturiert auf dem Schirm haben, wollen das auch weiterhin machen. Es wäre auch fatal, sich zurückzuziehen, wenn es noch mehr brennt.

taz: Die AfD in Brandenburg hat gerade gefordert, Asylbewerber von öffentlichen Veranstaltungen auszuschließen. Beschäftigen solche Aussagen die Jugendlichen, mit denen Sie arbeiten?

Clara Mühlheim: Natürlich ist es ein Thema unter den Jugendlichen, dass es wieder mehr Nazis gibt und dass die AfD gewählt wird. Aber mehr als solche einzelnen Aussagen beschäftigen sie ihre eigenen Rassismuserfahrungen, wenn sie auf der Straße angepöbelt werden. Dann probieren sie aus, ob die Warngeräte der Opferhilfe Brandenburg etwas bringen. Wenn man bedroht wird, zieht man einen Stock raus und der macht laute Geräusche.

taz: Gerade hat eine Studie gezeigt, dass erstmals seit 2017 wieder mehr Menschen den Osten verlassen – vor allem junge und solche mit Migra­tions­geschichte. Wie stark ist bei den Jugendlichen in Ihrem Jugendclub die Frage, ob sie gehen können oder bleiben wollen?

Clara Mühlheim, 27, ist Antifaschistin in Brandenburg auf dem Land, Sozialpädagogin und Mitglied bei der „Sozialistische Jugend Deutschland - Die Falken“.

Clara Mühlheim: Die meisten wollen bleiben. Aber sie merken natürlich, dass sich immer mehr Parteien wie die AfD äußern und fordern, dass alle abgeschoben werden sollen. Dann sagen sie öfter: Dann gehe ich eben zurück! Wenn der Rassismus immer stärker wird, fühlt man sich hier immer unwohler, ist doch klar.

taz: Was steht bei der Wahl am 22. September auf dem Spiel?

Clara Mühlheim: Alles, wofür Ak­ti­vis­t*in­nen und offene Menschen in Brandenburg in den letzten Jahrzehnten gekämpft haben. Und alles, was staatlich gefördert wird, steht auf dem Spiel: Opferberatungsstellen, Jugendclubs – alles, was Brandenburg seit den 1990er Jahren zum Positiven verändert hat.

taz: Was gibt Ihnen Hoffnung?

Clara Mühlheim: Hoffnung ist im Moment schwierig. Das Gefühl, in der Jugendarbeit wirksam zu sein, gibt mir Kraft. Und die vielen kleinen Momente, in denen ich merke, dass ich nicht allein bin. Anfang des Jahres haben wir eine Gegendemonstration zum AfD-Parteitag in Jüterbog organisiert und waren dann durch die Unterstützung aus den Großstädten 300 statt nur 30 Leute.

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