Aktivist über Sklaverei in Mauretanien: „Gegensatz zum Wesen des Islam“
In Mauretanien gibt es bis heute Sklaverei. Der Politiker Biram Dah Abeid spricht über seinen Kampf dagegen und die Instrumentalisierung der Religion.
taz: Herr Biram, Sie kämpfen seit Langem gegen die Fortdauer von Sklaverei in Mauretanien. Was hat man sich darunter vorzustellen und wie viele Menschen sind davon betroffen?
Biram Dah Abeid: Es geht um Sklaverei per Abstammung, also darum, dass Menschen bei der Geburt von anderen Menschen als ihr Eigentum betrachtet werden, weil ihre Eltern es bereits waren. Die „Eigentümer“ können sie vergewaltigen, verkaufen, verpfänden, verschenken. Es sind immer Menschen schwarzer Hautfarbe im Besitz von Menschen weißer Hautfarbe, die sich selbst Weiße nennen und tatsächlich Araber und Berber sind. Die Opfer machen 20 Prozent der mauretanischen Bevölkerung aus – 500.000 bis 600.000 Menschen. Sie arbeiten zumeist als Haussklaven oder auf den Reisplantagen des Senegal-Flusstals.
Wenn Mauretaniens Staatschef darauf angesprochen wird, sagt er: Wir haben die Sklaverei doch verboten.
Er versteckt sich dahinter, dass er selbst zur Gemeinschaft der Sklavenhalter gehört. Es sind Leute, deren Lebenswandel und Ehrenkodex auf der Sklaverei beruhen und die sie im Alltag weiter betreiben. Die Existenz von Sklaverei zu verneinen, bloß weil es Gesetze dagegen gibt, ist eine Art Verleugnung. Die Gesetze und Konventionen gegen Sklaverei sind nicht zur Anwendung gedacht. Sie sollen die internationalen Partner beruhigen. In der Realität herrschen Willkürgesetze, die Anti-Sklaverei-Aktivisten in Mauretanien hinter Gitter bringen.
Sie waren schon im Gefängnis. Wer noch?
Manche unserer Aktivisten sind zu hohen Haftstrafen verurteilt worden und wurden in entfernte Straflager in der Wüste gebracht, nach Bir Oumougreine, das mauretanische Guantánamo. Ich spreche von Moussa Bilal Biram und Abdoulaye Matana Seck, die mit elf Kameraden verurteilt wurden. Manche wurden gefoltert und freigelassen. Diese beiden sind noch in Haft.
Biram Dah Abeid, 53, ist Mauretaniens führender Anti-Sklaverei-Aktivist. Er ging als Erster in seiner Familie zur Schule – der Besitzer seiner versklavten Großmutter hatte diese geschwängert und verstieß dann das ungeborene Baby, Birams Vater, in die Freiheit. Nach seiner Präsidentschaftskandidatur 2014 saß er bis 2016 in Haft.
Im Jahr 2014 traten Sie zu Mauretaniens Präsidentschaftswahlen an und holten 8,5 Prozent. Treten Sie 2019 wieder an?
Ja, als Unabhängiger. Es geht darum, die Herrschaft der Versklaver zu brechen.
Harte Strafen: Am 28. März verurteilte ein Gericht der mauretanischen Stadt Nouadhibou eine 60-jährige Frau, die drei junge Frauen seit der Geburt als Sklaven gehalten hatte, zu zehn Jahren Haft und 5.600 Euro Geldstrafe. In einem zweiten Prozess erhielt ein Mann 20 Jahre Haft, weil er und sein mittlerweile verstorbener Vater eine ganze Familie als Sklaven hielten.
Harte Gesetze: In Mauretanien ist Sklaverei auf dem Papier längst verboten und wird seit 2015 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Aber bislang hatten Gerichte das ignoriert.
Wieso gibt es in Europa und Afrika Empörung über sklavereiähnliche Zustände in Flüchtlingslagern in Libyen, aber weniger über die Lage in Mauretanien?
Da hat jeder seinen eigenen Grund. Für die USA und die EU ist Mauretaniens Regierung ein wichtiger Partner gegen Terrorismus und Migration. Es gibt auch ökonomische Interessen in der Fischerei, im Gold- und Eisenbergbau, in Öl und Gas. Hinter all dem treten die Menschenrechte zurück. Im Falle der afrikanischen Staaten hat die Solidarität zwischen den Staatschefs Vorrang vor dem Eintreten für Demokratie und Menschenrechte. Es ist schade, dass arabisch-muslimische Sklaverei erst dann zum Thema wird, wenn CNN Filme in Libyen dreht, und das Problem dann nicht in seiner ganzen Dimension erkannt wird.
Sie leben ja selbst in der arabisch-muslimischen Welt, und Sie und einige Mitstreiter sind zu „Ungläubigen“ gestempelt worden. Macht das nicht das Leben schwer? Fürchten Sie Gewalt von Radikalen?
Ja, wir leiden unter der Instrumentalisierung des Islam durch sektiererische Gruppen, die Klasseninteressen verteidigen. Die Rechtfertigung der Sklaverei im Namen des Islam ist dieselbe wie die des Terrors gegen Nichtmuslime. In Mauretanien wird zur Rechtfertigung der Sklaverei eine Version der harten malekitischen Lehre von Khalil Ibn Ishaq herangezogen, die autoritärste Doktrin, die der Islam kennt. Das traditionelle Sklavenrecht, der sogenannte „code noir“, hat in Mauretanien den Status der einzig wahren Interpretation der heiligen Bücher, des Koran und der Aussprüche des Propheten Mohammed, Friede sei mit ihm. Indem ich die Bücher des Sklavereirechts zerstöre, nehme ich ihnen ihren heiligen Charakter. Für mich stehen sie im völligen Gegensatz zum ursprünglichen Wesen des Islam, zu Gleichheit, Barmherzigkeit, Mitleid, Brüderlichkeit und Menschlichkeit. Es ist klar, dass man uns in unserem Kampf gegen die Instrumentalisierung der Religion zu „Ungläubigen“ erklärt, um alles Übel zu rechtfertigen, das man uns antut.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise der Linkspartei
Ein Tropfen reicht, um das Fass zum Überlaufen zu bringen
Ende des Brics-Gipfels
Guterres diskreditiert die Vereinten Nationen
Getötete Journalisten im Libanon
Israels Militär griff Unterkunft von TV-Team an
Wissings Verkehrsprognose 2040
Auto bleibt wichtigstes Verkehrsmittel
Freihandel mit Indien
Indien kann China als Handelspartner nicht ersetzen
+++ Nachrichten im Nahost-Konflikt +++
Libanon-Konferenz sagt eine Milliarde Dollar zu