Aktivist über Degrowth-Konferenz: „Der Planet hat Grenzen“
In Budapest geht die Degrowth-Konferenz zu Ende. Veranstalter Vincent Liegey über die Neuigkeiten seit der vergangenen Konferenz in Leipzig.
taz: Herr Liegey, Sie koordinieren die 5. internationale Degrowth-Konferenz in Budapest. Was ist „Degrowth“?
Vincent Liegey: Degrowth hinterfragt das Dogma des ewigen Wirtschaftswachstums. Der Planet, auf dem wir leben, hat Grenzen, die wir nicht einfach überschreiten können. Die Schnecke, unser Logo, symbolisiert Nachhaltigkeit und Balance. Das Schneckenhaus passt genau auf die Schnecke. Statt weitere Umdrehungen hinzuzufügen, verbessert die Schnecke die Qualität des Gehäuses. Sie weiß, dass es für ihr Wohlergehen wichtig ist, ihre Grenzen zu kennen.
Auf die Konferenz kommen 400 Forscher*innen. Die reisen bestimmt nicht alle per Fahrrad an?
Es ist in der Tat widersprüchlich, als Degrowth-Bewegung so große Treffen zu veranstalten. Die Konferenz ist aber aus zwei Gründen wichtig: Erstens schafft sie Aufmerksamkeit. Und zweitens verbindet sie Menschen und Theorien aus aller Welt. Die Kommunikation zwischen Norden und Süden ist schwierig. Dabei stehen wir alle gemeinsam vor den gleichen Fragen. Der internationale Dialog hilft, vielfältige Lösungen zu finden.
Was hat sich seit der 4. Konferenz in Leipzig 2014 verändert?
Leipzig war wichtig, weil es uns in der akademischen Szene Glaubwürdigkeit verliehen hat. Wir konnten zeigen, dass wir es ernst meinen. Die Konferenz in Budapest wird kleiner und schafft wieder mehr kreative und künstlerische Zugänge. In Budapest brummt die alternative Szene. Es gibt keinen Ort, der sich besser für die Konferenz eignet.
Sie sind eigentlich als Wortführer der französischen Degrowth-Bewegung bekannt. Haben Sie Degrowth nach Budapest gebracht?
Irgendwie wohl schon. Ich lebe seit fast 15 Jahren zwischen Paris und Budapest. Degrowth wurde in Frankreich geboren, aber in Ungarn gibt es jetzt auch eine starke Bewegung. In Frankreich ist Degrowth sehr rational, hier versuchen die Aktivist*innen vor allem, etwas Sinnvolles für sich selbst und die Gemeinschaft zu schaffen. Dabei würden sie sich selbst vielleicht gar nicht „degrowth“ nennen, aber sie sind es irgendwie. Zuletzt wurden auch in Ungarn viele Kollektive gegründet und Dinge praktisch ausprobiert, aber hier ist alles viel spielerischer.
Der Aktivist und Schriftsteller, 37, gilt als Wortführer der französischen Degrowth-Bewegung und koordiniert die 5. internationale Konferenz, die seit Dienstag und noch bis Samstag in der Budapester Universität stattfindet.
Zum Beispiel?
Die soziale Kooperative Cargonomia, die ich mit drei Freunden gegründet habe. Wir verteilen Gemüse von einem nahe gelegenen Hof mit Lastenrädern, die man auch leihen kann. Außerdem ist Cargonomia ein Veranstaltungsort und hat als Hauptquartier für die Organisation der Konferenz gedient.
Leser*innenkommentare
Dideldidum
"mehr kreative und künstlerische Zugänge" und so verspielt man die gewonnene akademische Glaubwürdigkeit wieder. Kein Wunder das keiner diese Bewegung ernst nimmt. Statt harten wissenschaftliche Fakten kommt lieber wieder die Seelenpflege der Alternativen und die Bestätigung ihrer Lebensentwürfe dran. So macht man ne vielleicht gute Idee wieder kaputt.
Peter Meisel
Mit dieser Überzeugung bin ich dabei. Der eine Ansatz nennt sich Cradle to Cradle (von der Wiege zur Wiege) d.h. totales Recycling. Das Produkt muss aus Teilen bestehen, die voll wiederverwendbar sind (re cycle) oder voll natürlich verrotten, wieder zu Humus werden.
Den anderen Ansatz bis dahin, nenne ich intelligente Askese, "Bedingungen schaffen, unter denen man auf Dinge verzichten kann". Frei nach Constantin Brancusi. Die Tee Kampagne in Berlin arbeitet mit solchen Kooperativen zusammen.
Und der kreative Ansatz erst an sich denken, was brauche ich wirklich und was nicht, entspricht der menschlichen Selbstbestimmung. Das macht glücklich!
Der Gegensatz dazu wird von Frau Merkel als Marktkonforme Demokratie gefordert, die wir als Lobby-Kratie im Deutschen Bundestag wiederfinden. Sie wird auch die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) genannt.
Zitat: "Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) ist eine im Jahr 2000 vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall gegründete und von Arbeitgeberverbänden getragene advokatorische Denkfabrik und Lobbyorganisation. Sie verfolgt das Ziel, durch Öffentlichkeitsarbeit ihre ordnungspolitischen Botschaften bei Entscheidern und in der Bevölkerung zu verankern. In der Bevölkerung soll die Bereitschaft für wirtschaftsliberale Reformen erhöht werden, ein unternehmensfreundliches Klima erzeugt werden und Eigenverantwortung, Wettbewerb und unternehmerische Freiheit als positive Werte betont werden."
Das beschreibt die Ursache der schrumpfenden Wahlbeteiligung, die Unzufriedenheit, den Frust der Menschen, etc. mit dem kommenden Wahlergebnis in Meck-Pomm.
Maike123
Ich dachte erst, es ginge hier um das Bevölkerungswachstum. Wirtschaftswachstum mit all seinen negativen Folgen für die Umwelt wird es leider weiter geben müssen, wenn die Weltbevölkerung weiter wächst. Damit die Menschen in Afrika mittelfristig einen auch nur annähernd so hohen Lebensstandard erreichen können wie wir, müssen noch viele Wälder gerodet und viele Atomkraftwerke gebaut werden - es sei denn, die Bevölkerung schrumpfte plötzlich, statt immer weiter zu explodieren.