Aktivist über Anti-Einheitsfeier: „Das Zwergenhafte schützt uns“
Ein linksradikales Bündnis mobilisiert gegen die Einheitsfeier in Hannover. Statt kapitalistisches Staatswohl will man solidarischen Egoismus feiern.
taz: Herr Helfst, im Demo-Aufruf Ihres Bündnisses ist von Armut und Leistungszwang die Rede. Was hat das mit der deutschen Einheit zu tun?
Tobias Helfst: Der Feiertag ist ein Symbol für den deutschen Nationalismus. Und der ist ein Programm, sich dem Wohl des kapitalistischen Staates zu unterwerfen. Wir setzen einen solidarischen Egoismus dagegen: Wenn die Menschen sich erst mal um ihre eigenen Bedürfnisse kümmern, statt zu fragen, was sie für den Staat tun können, wäre schon viel gewonnen. Darum wird jedes Jahr gegen den Einheitsfeiertag demonstriert.
Anfangs ging es um die Sorge, das wiedervereinigte Deutschland werde zum „Vierten Reich“. Geht es immer noch gegen die Einheit?
Nein, das wäre völlig anachronistisch. Wir haben schon reflektiert, dass ein Wandel stattgefunden hat. Das hängt auch an dem Datum. Bis 1990 wurde am 17. Juni kollektiv unter der Teilung Deutschlands gelitten: „Wir armes deutsches Opfer-Volk“. Am 3. Oktober wird inzwischen aber ein Sieg gefeiert. Das hat auch eine psychologische Dimension für die NationalistInnen.
Sind das heute nicht auch andere Menschen? Deutsche WM-Siege wurden auch von MigrantInnen gefeiert.
Es gibt ein Sammelsurium verschiedenster Nationalismen – von rechten Kulturrassisten bis zu Verfassungspatrioten, die sich für das Wohl der Nation einsetzen. Aber ob es jetzt um naive WM-Feiern mit schwarz-rot-gelber Schminke im Gesicht oder um Nazis geht – für unseren Protest ist ihr Gemeinsames entscheidend.
36, ist von Beruf Sozialberater und ein Sprecher des Bündnisses „Gegen die Einheitsfeier 2014 in Hannover“.
Nämlich?
Ein Bündnis aus linksradikalen Gruppen mobilisiert gegen den Tag der Deutschen Einheit in Hannover.
Der Aufruf von insgesamt 50 Gruppen erklärt, mit der Einheit würden „Armut, Ausgrenzung und Leistungszwang“ gefeiert. Dazu wurden spezifische Aufrufe formuliert – etwa aus dem Hochschulbereich.
Aus mindestens zwölf Städten bringen Reisebusse DemonstrantInnen nach Hannover.
Am 2. Oktober findet eine Kundgebung mit Konzerten statt.
Am 3. Oktober führt die mit 1.000 Personen angemeldete Demonstration vorbei am Jobcenter, der Ausländerbehörde und dem Landtag zu den Einheitsfeierlichkeiten.
Die Setzung einer willkürlichen Einheit, die andere Menschen ausschließt. Das ist die Grundlage dessen, was da gefeiert wird. Sie wird nicht offen ausgesprochen, ergibt sich aber aus der gesellschaftskritischen Analyse.
Ging es auf den Mobilisierungsveranstaltungen auch um solche theoretischen Fragen?
Der Theorieanteil war fast schon zu hoch, erfreulicherweise aber nicht akademisch abgehoben. Es gab Veranstaltungen zum Nationalismus im Rap, Genderfragen oder auch zur Psychoanalyse. Das Leben unter dem Kapitalverhältnis ist kein Schicksal – man kann es ändern! Und das muss man den Leuten erklären. Die können mit ihren Chefs ja nicht mal über Geld reden, wenn die einzige Frage immer lautet, was die Arbeit Deutschland nützt. Hartz IV ist das treffendste Beispiel dafür, wie Menschen unter den Staat subsumiert werden.
Mit weniger Fremdwörtern wird das auch auf rechten Montagsdemos gesagt.
Das sind ideologische Angebote an eine unterstellte Volksgemeinschaft, denen wir kritische Inhalte entgegensetzen. Wir müssen schließlich an die Leute ran – dass es sich im Kapitalismus beschissen lebt, wird mittlerweile ja auch jenseits der linksradikalen Szene bemerkt.
Wo zum Beispiel?
Es gibt viele Haarrisse im hegemonialen Block, zu dem auch Gewerkschaftsverbände zählen, die widerspruchslos im System aufgehen. Jetzt entstehen zum Beispiel kleine, kämpferische Taxifahrergewerkschaften. Oder Contterm: Die unabhängige Gewerkschaft der HafenarbeiterInnen hat Ver.di im Hafen um Längen geschlagen. Es ist überall Bewegung drin und daran müssen wir ansetzen. Die radikale Linke hat sich immer zu sehr auf die Ebenen beschränkt, auf denen sie Erfolge erzielen konnte: Antifaschismus zum Beispiel. Wir müssen uns weniger als soziale Bewegung begreifen, sondern als politischen Akteur.
Aber gerade dann: Warum jedes Jahr mit der gleichen Demo gegen ein Volksfest anrennen?
Es geht uns darum, Kontinuität zu beweisen: Solange das Ausbeutungsverhältnis besteht, sind auch wir da. Die Protestformen entwickeln sich allerdings schon weiter. In Bremen gab es 2010 einen großen Demozug, der sich martialisch gegeben hat und durchaus beeindruckend war – böse und unversöhnlich. Damit erschöpfte sich das dann aber auch. In Hannover ist der Protest breiter angelegt: mit einem Kongress und einer Kundgebung am 2. Oktober, auf der Konzerte populärer linker Bands wie Egotronic oder Frittenbude stattfinden.
Macht dieses Gegenprogramm das Event damit nicht erst interessant für Jugendliche, die sich dem Familienausflug nach Hannover sonst gelangweilt verweigert hätten?
Wenn jemand von der Staatsfeierei zu uns rüber kommt, ist das doch gut! Wir haben nichts gegen die Menschen, sondern nur gegen ihre Positionen. Und darüber wollen wir ja gerade mit ihnen sprechen. Im Wort „Gegenprogramm“ liegt allerdings auch ein Anspruch, dem wir gar nicht gerecht werden können. So stark ist die radikale Linke nicht. Wir schaffen einen Raum für kritische Auseinandersetzungen – darum geht’s.
Stehen die Prostestler am Ende nicht sowieso entweder als Gewalttäter oder aber als Zwergenaufstand da?
Wir wollen keine Illusionen über die Stärke der radikalen Linken erzeugen. Während wir mit 1.000 Demo-TeilnehmerInnen rechnen, soll eine halbe Millionen BesucherInnen zum Staatsakt kommen. Wenn wir da zwergenhaft aussehen, schützt das auch uns selbst vor dem Eindruck, man könne den Kapitalismus einfach mal eben umwerfen. Die Kampagnen wirken dann langfristig aber auch wieder zurück in die Szene: Nach den Protesten von 2010 haben wir alle gesehen, dass die Inhalte in unserer Tagespolitik weiterwirken.
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