piwik no script img

Aktionstag gegen MieterhöhungenMit Superhelden durch den Kiez

Tausende haben am Samstag in deutschen Städten gegen Mietsteigerungen protestiert. In Hamburg wurde kurz ein leer stehendes Geschäftshaus besetzt.

Was man nicht hören kann: Aus den Lautsprechern des Demowagens ertönt gerade der Rauchhaus-Song von den Scherben. Bild: dpa

BERLIN/HAMBURG taz | Ein Superheld huscht durch die Menge. Ihm dicht auf den Fersen ein Zweiter. Ihre Botschaft ziehen sie auf wehenden Fahnen hinter sich her: die Revolution. Von unten. Sie begleiten das Berliner Aktionsbündnis „Wir bleiben alle“, das an diesem Samstag in Berlin zum Protest geladen hat.

Mehrere tausend Menschen haben sich am Samstag in verschiedenen deutschen Städten am bundesweiten Aktionstag „Keine Profite mit der Miete“ beteiligt. In Hamburg seien mehr als 5.000, in Berlin mehr als 3.000 Menschen gegen steigende Mieten und die Verdrängung aus ihren Vierteln auf die Straße gegangen, teilten die Veranstalter am Sonntag in Berlin mit. Auch in Frankfurt am Main, Düsseldorf, Freiburg, Bremen, Leipzig und weiteren Orten gab es kleinere Demonstrationen.

In Berlin sind Wutbürger, Gewerkschafter, Anwohner, verkleidete Hausbesetzer und Studenten gekommen. Vollbärte, Leopardenleggings und wetterfeste Windjacken bestimmen das Bild. Geraucht wird Selbstgedrehtes. Auf den Schildern und Transparenten stehen Forderungen wie: „Unser Haus, Investoren raus“. Über den Köpfen weht, wie ein großes Fragezeichen, ein Banner: „Wem gehört Berlin?

„Berlin gehört momentan den falschen Leuten“, erklärt Lea Voigt, Pressesprecherin von „Wir bleiben alle“, während ihr Kollege noch am Lautsprecherwagen herummacht. Dass jetzt erstmals bundesweit für die gleiche Sache demonstriert werde, sei ein großer Erfolg. „Menschen, die normalerweise nichts mit Politik am Hut haben, gehen jetzt auf die Straße“, sagt Voigt. „Ich glaube, da kommt ein neuer sozialer Konflikt auf, den bisher noch niemand auf dem Schirm hat.“

„Miete macht uns sauer, Superheldenpower!“

Von den Stufen der Emmaus-Kirche ertönt plötzlich Beethovens neunte Symphonie. Aus brummigen Männerkehlen. Die Gegner des geplanten Ausbaus der Autobahn A100 singen ihren Protest laut hinaus. Unter lauten Trommelschlägen und wildem Pfeifen setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung.

Vor einem unscheinbaren Haus, aus dem Anfang des Jahres eine Familie unter großem Protest zwangsgeräumt wurde, entrollen Nachbarn ein Plakat mit der Aufschrift: „Stadt für alle“. Weiter geht es aus Kreuzberg über die Oberbaumbrücke und die Spree in den Nachbarbezirk Friedrichshain. Ein paar Superhelden skandieren lautstark: „Miete macht uns sauer, Superheldenpower!“

In Hamburg schlängelte sich die Demonstration derweil vom Kiez in St. Pauli, wo gerade die sogenannten Esso Häuser vom Abriss bedroht sind, an weiteren Objekten vorbei, die aufgrund von Immobilienspekulation derzeit leer stehen. Gerufen hatte das Anti-Gentrifizierungs-Netzwerk „Recht auf Stadt“. Anders als früher kam in den Reden diesmal auch die Situation von Obdachlosen und Flüchtlingen kurz vor dem Winter zur Sprache.

Hausbezetzung in Hamburg

„Wir meinen: Wohnraum ist keine Ware, sondern muss allen Menschen zur Verfügung gestellt werden“, sagt Maarten Thiele vom Bündnis „Mietenwahnsinn stoppen“. In einigen Bezirksverwaltungen Hamburgs gäbe es bereits Überlegungen, ob bei einem Büro-Leerstand von 1,6 Millionen Quadratmetern in der Hansestadt ungenutzte Objekte nicht beschlagnahmt und gegen eine staatliche festgesetzte Miete genutzt werden könnten.

Die Hamburger Polizei hatte sich auf eine Hausbesetzung im Hamburger Karolinenviertel vorbereitet. Dort hatte die städtische Wohnungsgesellschaft eine intakte und denkmalgeschützte Häuserzeile verrotten lassen, sie soll nun abgerissen werden. Doch die Hausbesetzer schlugen woanders zu und besetzten ein leer stehendes Geschäftshaus am Hauptbahnhof, das Luxus-Neubauten weichen soll. Fünf Besetzer wurden von der Polizei festgenommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

5 Kommentare

 / 
  • T
    Tantris

    Da stellt sich die Frage,ob die Hausbestzer ein Geschäft eröffnen wollen,denn ein Geschäftshaus ist für Wohnzwecke wenig geignet,vopr Allem,wenn kein Strom vorhanden ist.

    Wollen Hausbesetzer plötzlich ein Geschäft gründen u.plötzlich arbeiten?

  • WG
    wem gehört das land?

    Ich wäre gerne in Berlin mitgelaufen. Aber der Treffpunkt roch mir zu sehr nach Autonomenszene und Krawall. Schade, denn das Thema ist wichtig.

  • Dass eine bestimmte Klientel zu Hausbesetzungen neigt, wundert nicht. Wo doch die Geschichte zeigt, dass man mit Hausbesetzung durchaus in einer eigenen Villa im Grunewald landen kann...

  • J
    John

    Guter Artikel, aber könnt ihr BITTE damit aufhören den Begriff "Wutbürger" zu benutzten? Sind wir hier bei der "Welt" oder was?

  • E
    Entschleunigter

    Empfehlung an die Protestler: Greifen Sie die Tradition der regelmäßigen Montagsdemos auf! Von einem Aktionstag läßt sich niemand mehr beeindrucken, zumal offensichtlich keine medienwirksamen und ansteckenden Hunderttausendschaften auf die Straßen gehen. Da fehlt der Druck und wo der Druck fehlt, braucht man Ausdauer. Die Stuttgarter Protestbewegung könnte eine Inspiration sein: Die wöchentlichen Montagsdemos mit etwa 2000 Leuten sind die Basis, aus der heraus zu jedem politischen Anlaß kleinere Gruppen selbständig aktiv werden. Stuttgart ist dadurch mittlerweile ein relativ schwieriges Pflaster für Politik und Profitwirtschaft geworden. Merkel traut sich nicht mal mehr, in Stuttgart öffentlich aufzutreten. Wenn wir solche dauerhaften und lebendigen Bewegungen in allen größeren Städten etablieren können, die sich dann noch gegenseitig unterstützen, werden wir erstaunliche Kräfte entwickeln und Effekte erzielen.