Aktion am Welthungertag: Tafel im Regen
Mit einem Bankett geretteten Essens machen Aktivisten auf die Lebensmittelverschwendung in Deutschland aufmerksam.
Vor dem Bundestag haben sich deshalb am Freitag Organisationen zusammengetan, um ein Bankett gegen die Verschwendung zu veranstalten. Das Wetter spielt nicht wirklich mit: es regnet in Strömen – aber die riesige Tafel wird allem Regen zum Trotz mit Kerzen und Silberplateaus bedeckt. Und vor allem mit bunten Backwaren, Früchten und Gemüsesorten. Beim Anblick der Tafel stutzen die Passanten: Diese Lebensmittel sind eigentlich für die Mülltonne bestimmt. Einige Früchte sind etwas angeschlagen, mancher Brotlaib schon ein bisschen trocken, die meisten von ihnen jedoch in einwandfrei frischem Zustand. Die sogenannten Essenretter der Organisation Foodsharing haben sie bei Supermärkten abgeholt, die diese Lebensmittel nicht mehr verkaufen und sie sonst wegwerfen würden.
Unter einem Regenschirm kommt Maria Flachsbarth, CDU-Abgeordnete und Staatssekretärin für Ernährung und Landwirtschaft, zu dem Bankett. Sie wirbt für das Regierungsprogramm „Zu gut für die Tonne“, in dem Verbraucher animiert werden sollen, bewusster einzukaufen und weniger Lebensmittel wegzuwerfen. Doch dem Bündnis „Leere Tonne“, das aus Organisationen wie Foodsharing, Misereor, Aktion Agrar und BundJugend besteht, geht das nicht weit genug. Für die Aktivisten fängt das Problem der Verschwendung nicht nur bei den Verbrauchern, sondern vor allem bei den Supermärkten an.
„Frau Flachsbarth setzt auf die Freiwilligkeitsstrategie“, bemängelt Jutta Sundermann von der Aktion Agrar. Die Supermärkte stünden aber in Konkurrenz zueinander. Keiner würde freiwillig die Verschwendung einschränken - aus Angst, hinter den Konkurrenten zurückzubleiben oder Verluste zu machen, erklärt Sundermann. „Wir brauchen daher eine gesetzliche Regelung“, schließt sie.
Die Lebensmittelverschwendung hat globale Auswirkungen
Für diese Forderung sammelt das Bündnis derzeit Unterschriften - 30.000 sind bereits zusammengekommen; die Petition läuft noch. Vorbild für eine gesetzliche Regelung der Nahrungsmittelentsorgung soll der gesetzliche Wegwerfstopp in Frankreich sein, der bisher aus formalen Gründen noch nicht rechtskräftig werden konnte. Supermärkte dürfen demnach keine Lebensmittel mehr wegwerfen, sondern müssen mit gemeinnützigen Organisationen kooperieren.
Flachsbarth nimmt außerdem Unterschriften von einer Petition zum Wegwerfstopp entgegen, die von der Organisation Misereor gesammelt wurden. Die Essenstüte mit den geretteten Lebensmitteln möchte sie allerdings lieber nicht haben – sie müsse noch zu so vielen Terminen, erklärt sie ausweichend.
Was von den Aktivisten ungern erwähnt wird: Bei einem weniger verschwenderischen Einkaufsverhalten seitens der Supermärkte würden vermutlich die Lebensmittelpreise ansteigen. Die Forderungen nach gesetzlichen Wegwerfstopps wären dann nur etwas für die Mittelklasse, die sich das überhaupt leisten kann. Sarah Schneider von Misereor sieht das nicht so: „In Deutschland geben die Verbraucher im Vergleich zu anderen europäischen Ländern viel weniger Geld für Lebensmittel aus“, weiß sie. Eine Preiserhöhung könne letztlich zu bewussterem Verbrauch führen, ohne dass der Einzelne mehr ausgibt: „Wenn Lebensmittel teurer sind, werden sie auch nicht mehr so einfach weggeschmissen.“
Schneider hebt auch die globalen Auswirkungen der deutschen Lebensmittelverschwendung hervor. Ein Drittel der Nahrungsmittel und Ressourcen aus Drittweltländern landet im Müll – während die Herstellung dieser Produkte den betroffenen Ländern die Ressourcen entziehe und riesige Grundstücke einnehme, die von den dortigen Bevölkerungen nicht mehr benutzt werden könnten.Globale Konsequenzen der Lebensmittelverschwendung befürchtet auch die Umweltorganisation Bundjugend. „Das ist nicht nur ein Skandal aufgrund von 800 Millionen Menschen, die hungern, sondern auch für das Klima: Ein Drittel der Treibhausemissionen werden in der Landwirtschaft produziert“, gibt Sprecherin Katharina Schluchte zu bedenken.
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