Aktion #allesdichtmachen: Unklares Motiv
Was bringt die Aktion außer Spaltung? Das scheinen die Beteiligten bei teilweise berechtigter Kritik an der Coronapolitik selbst nicht zu wissen.
Ob es ein bisschen um Zerstörung geht? Um „I bring you fire / I’ll take you to burn“, um Zündeln, um „Hurra Hurra, die Schule brennt“ – und damit um die Idee, aus Chaos könne etwas Besseres erwachsen?
Vielleicht verspüren einige, vielleicht sogar die etwaigen Initiatoren des #allesdichtmachen, zu denen sich bislang offiziell niemand erklärte (man sei einfach eine Gruppe, heißt es aus den Reihen derer, die zu ihren Videos stehen) tatsächlich Lust am Spalten der Gesellschaft. Denn das tut die Aktion: Durch die Aufmerksamkeit, die sie qua Bekanntheit ihrer Mitglieder und deren professionelle Performancekraft erreicht, zwingt sie die Öffentlichkeit dazu, sich zu stellen. Sogar das Kollegium, jene Tausende, die nicht mitgemacht haben – weil sie entweder nicht gefragt wurden oder ablehnten – sind mitgemeint. Schließlich begrüßt sich die Branche überall gerade mit: „Und wie findest du das?“
Nun ist „Haltung“ wichtig und richtig. Doch wozu stellt man sich: Kritisiert man, wie wahrscheinlich viele der 53 annahmen, tatsächlich „nur“ die Regierung und deren als unangemessenen empfundenen Maßnahmen? Gibt man tatsächlich denen (Künstler:innen, Kritiker:innen) eine Stimme, die zu wenig zu hören sind? Oder klagt man, wenn man – entgegen der Erfahrung mit deutlicher Kritik in sämtlichen Medien – die Unabhängigkeit der Presse anzweifelt, und wenn man sich über Sicherheitsverhalten lustig macht, indem man es satirisch überhöht, auch die Gesellschaft an? Eine Gesellschaft, die anscheinend nicht mal merkt, dass und wie sie von „denen da oben“ verarscht wird?
Über die Gründe, mit #allesdichtmachen die momentane Situation in einer durch Ironie derartig verschleierten Art zu kritisieren, kann man nur spekulieren – bestimmt sind es neben dem überall gleich empfundenen Unmut über verwirrende Regelungen auch kollektiv nachvollziehbare Ängste: Was ist mit meinem Job? Wird mein Kind irre? Werden wir uns nach der Krise noch in die Augen schauen?
Kein reinigendes Feuer
Woher allerdings die Überzeugung auch anderer Empörer:innen stammt, genau zu wissen, welche Ansprüche man in dieser weltweit einmaligen Situation zu stellen hat, ist und bleibt rätselhaft: Hat da jemand Pandemie-, Impfungs- und Verhaltenserfahrungen, die wir anderen nicht haben? In einigen Fällen haben die Beteiligten also bestimmt nicht genug nachgedacht, haben sich eventuell ohne Konsultation (eine Schauspielagentur scheint sich distanziert zu haben) in etwas „hineinreden“ lassen – so klingen zumindest ihre nun nachdenklicheren Statements.
Viele der Social-Media-Reaktionen zur „Coronaleugnung“ (davon ist in keinem der Beiträge die Rede), die Verortung in einem rechten Umfeld und auch eine verantwortungslose und katastrophale Aufforderung eines WDR-Rundfunkrats zu einem Berufsverbot für Jan-Josef Liefers bestätigen zudem in der Aktion inkriminierte Vermutungen über den nicht ausreichenden Diskussionsraum. Denn Diskurse müssen leidenschaftlich und sachlich geführt werden, und bei einem komplexen Thema wie Coronapolitik gilt nicht mehr das Tocotronic-Statement. Hier muss leider pure Vernunft siegen.
Das reinigende Feuer ist also Quatsch: Nein, ein Shitstorm bedeutet nicht, dass man etwas richtig gemacht, oder „den Finger auf die Wunde“ gelegt hat. Er bedeutet auch nicht, dass man notwendigerweise etwas falsch gemacht hat. Er ist schlichtweg ein Zeichen dafür, dass eine Diskussion sich vom Faktengrund weg in Richtung Verletzung, persönliche Angriffe bewegt. Dass sie ungerecht wird – für sämtliche Beteiligten. Schade, dass die Energie nicht in etwas weniger Destruktives geflossen ist. Zum Beispiel in die gute alte konstruktive Kritik.
Man sollte dennoch die Signale lesen, wenn sie auch (noch) subtil sind: Meret Becker, die sich als eine der ersten kritisch mit ihrer Teilnahme auseinandergesetzt hat, ist am Sonntag als Schauspiel-Vorstand der Deutschen Filmakademie bestätigt worden – ein Anhaltspunkt, dass die Kolleg:innen den „change of heart“ annehmen, ihre Gründe für beides – Teilnahme und Rückzug – akzeptieren können. Liefers wird seinen Job beim Tatort nicht verlieren. Und weiterhin werden hoffentlich gemeinsam Filme produziert werden. Übrigens mit umfassenden Hygienemaßnahmen, die der Grund dafür sind, dass alle noch leben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch