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Aktenfunde bei Ex-Nazijurist„Es gab Netzwerke der NS-Täter“

Im Justizministerium hat ein Ex-Nazijurist Vorwürfe gegen einen anderen Ex-Nazijuristen überprüft, sagt der Strafrechtler Christoph Safferling.

Justizia leider mit NS-Wurzeln. Bild: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Safferling, warum diese Forschung über das Justizministerium und die NS-Zeit. Weiß man nicht längst alles?

Christoph Safferling: Nein, tut man nicht. So waren die Personalakten, eine wichtige Quelle, bislang nicht zugänglich. Die werden wir sichten, analysieren, danach werden sie im Bundesarchiv allen zur Verfügung stehen.

Gibt es also offene Fragen?

In dem Buch „Vergangenheitspolitik“ von Norbert Frei gibt es viele Schilderungen und Vermutungen über das Justizministerium. Es fehlt aber der letzte Beweis. Das Justizministerium ist in seiner Kontinuität zur NS-Zeit, personell und sachlich, noch nicht wirklich durchleuchtet.

Was fehlt konkret?

Es ist zum Beispiel unbekannt, wie das Ministerium mit den NS-Belasteten umgegangen ist.

Bild: screenshot Uni Marburg
Im Interview: Christoph Safferling

Der 42-Jährige ist Professor für Strafrecht an der Universität Marburg. Er ist Mitherausgeber des Buchs „Die Rosenburg. Das Bundministerium der Justiz und die NS-Vergangenheit - eine Bestandsaufnahme“ das dieser Tage erscheint.

Nehmen wir den Fall Eduard Dreher. Der war in der Nachkriegszeit Spitzenjurist im Justizministerium und dort für Amnestiegesetze für NS-Täter zuständig. Was wissen Sie über ihn in der NS-Zeit?

Dreher hat als Staatsanwalt in Innsbruck in Bagatellfällen die Todesstrafe beantragt – und nicht nur wie bisher angenommen in 3, sondern mindestens in 12 Verfahren. Er argumentierte unter anderem mit der Volksschädlingsverordnung. Es ging dabei um Taten wie Plünderungen. In Verfahren wegen Hören von Feindsendern hat er hohe Zuchthausstrafen beantragt.

Ist das neu?

Diese Akten in Innsbruck hat zuvor noch niemand angeschaut.

War Dreher Nationalsozialist?

Seine Verteidigungslinie im Justizministerium lautete: Ich war Jurist und stand dem NS-System innerlich distanziert gegenüber. Aber er hat in Innsbruck bei Bagatelldiebstählen, in denen geringere Strafe verhängt wurden, als er gefordert hatte, alles versucht, um noch höhere Strafen durchzusetzen. Das zeigt: Er ist der NS-Ideologie gefolgt.

Der Rechtswissenschaftler Joachim Rückert bezeichnet in dem von Ihnen herausgegebenen Band Drehers Taten nicht als spezifisches NS-Unrecht, sondern als Kriegsjustiz.

Ich sehe das anders.

Die DDR hat in Kampagnen Dreher als Nazijuristen beschuldigt. Wie ist das Bonner Justizministerium mit der NS-Belastung ihres Spitzenbeamten umgegangen?

Das Ministerium wollte sich selbst ein Bild machen. Ministerialdirektor Josef Schafheutle ließ Akten aus Innsbruck kommen und schrieb eine rechtliche Bewertung. Schafheutle, der Drehers NS-Vergangenheit prüfte, war im Reichsjustizministerium Referatsleiter für politisches Strafrecht gewesen.

Ein Ex-Nazijurist prüfte die Vorwürfe gegen einen Ex-Nazijuristen – war das ein Zufall, eine Ausnahme? Oder gab es Seilschaften von Ex-Nazis, die ihre hohen Ämter nutzten, um NS-Täter zu schützen?

Es gab eher Netzwerke, man kannte sich. Man muss es aber differenziert sehen: Es sind auch Juristen wegen zu hoher NS-Belastung vom Justizministerium abgelehnt worden. Andere wie Dreher und Schafheutle wurden eingestellt. Es scheint, dass Staatssekretär Walter Strauss, der als Jude die NS-Zeit überlebt hatte, nach sehr persönlichen Kriterien entschied. Und nach Empfehlungen. Dreher war von dem NS-Verfolgten Adolf Arndt empfohlen worden.

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2 Kommentare

 / 
  • IJ
    Ihr Jü

    Endlich mal Butter bei die Fische !

    Weiter so !

    Was ist mit der

    Baden-Würtembergischen CDU-Vergangneheit und der

    Lafontaineischen Müller-Gräser Geschichte.

  • L
    lowandorder

    Adolf Arndt - war der Kronjurist der SPD-Fraktion nach dem Krieg.

     

    Seine Empfehlung für Eduard Dreher war gelinde gesagt - ein fataler Mißgriff.

    Dieser war nicht nur, wie hier über das Braunbuch der DDR hinaus belegt,

    in der Nazi-Zeit ein Anhänger der NS-Ideologie, sondern strickte als Ministerialer

    kaltblütig an deren finalen Verharmlosung weiter.

     

    "Fatal war seine Rolle in der Frage in der Verjährung der Beihilfe zum Mord. Das betraf vor allem die Angeklagten in den NS-Prozessen. Die waren nach ständiger Rechtsprechung wenn dann nur Gehilfen der Täter Hitler, Himmler und Heydrich. Dreher zeigte sich auch hier als qualifizierter Jurist. Im Oktober 1968 ist das sogenannte Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz (EGOWiG) in Kraft getreten. Artikel 1 Ziffer 6 (§ 50 Abs. 2 StGB a.F:) „Fehlen besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale), welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer [an der Mordtat], so ist dessen Strafe nach den Vorschriften über die Bestrafung des Versuchs zu mildern." Dementsprechend reduzierte sich auch das für dieses Delikt vorgesehene Strafmaß und - anders als heute § 78 - die damit verknüpfte Verjährungsfrist von 20 Jahre auf 15 Jahre. Da man aber Taten mit einer Höchststrafe von 15 Jahren am 8. Mai 1960 hatte verjähren lassen, waren die Verbrechen sämtlicher Nazi-Mordgehilfen auf einen Schlag rückwirkend seit 1960 verjährt[6] (Der Beginn der Verjährung eines Mords wurde in der Verjährungsdebatte 1965 auf das Jahr 1949 verlegt). Beim Gesetzesentwurf war Dreher die Schlüsselfigur.[7] Ähnlich ging man allerdings auch beim Alternativentwurf 1966 vor.[8]

     

    Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes beschloss am 20. Mai 1969 (BGH NJW 1969, 1181 ff.) in einem Grundsatzurteil im ersten Verfahren einer großangelegten Prozessserie um das Reichssicherheitshauptamt (RSHA), dass „solche Beihilfe zum Mord nach der neuen Fassung des § 50 Abs. 2 StGB [...] verjährt“. Dies hatte zur Konsequenz, dass Art. 1 Ziff. 6 EGOWiG zu einer „verschleierten Amnestie für den größten Teil der Gehilfen bei nationalsozialistischen Gewaltverbrechen“ führte.[9] Kein „anderes Gesetz oder Amnestiegebot in der Nachkriegszeit“, so der Historiker Ulrich Herbert, hat „so weitreichende Folgen für die Straffreiheit von hochrangigen NS-Tätern gehabt wie dieses“.[10]"

     

    Jahrzehntelang war der von ihm fortgeführte StGB-Kommentar, Schwarz-Dreher,

    der - Handkommentar, der auf jedem Strafrichterschreibtisch stand.