Aids-Forschung in Deutschland: Aus Dresden was Gutes
Der Molekularbiologe Frank Buchholz bekämpft eines der gefährlichsten Viren. Gelingt es ihm, wäre HIV endlich Geschichte. Ein Portrait.
Frank Buchholz hält nicht viel von Hierarchien. „Bei uns sind überall die Türen offen, wir nennen uns beim Vornamen. Vielleicht ist das bei den Medizinern anders.“ Buchholz ist Biologe. Molekularbiologe und Professor für Medizinische Systembiologie am Universitätsklinikum Dresden. Und hier, in dieser eher unspektakulären Wissensfabrik auf dem Tatzberg, arbeitet er an der Heilung von Aids.
Superlative, die Frank Buchholz nicht mag. Ob er etwa ein Held sei? „Also, nee!“, sagt der groß gewachsene, schlanke Mann, seine Aura ist eher hemdsärmelig als professoral, „ich bin da realistisch. Wir haben einen wissenschaftlichen Durchbruch erzielt, aber von Heilung kann noch keine Rede sein“.
Ein kleiner medialer Hype war es schon Anfang des Jahres, als endlich mal wieder eine gute Nachricht aus Dresden kam: „Forscher schneiden erstmals Aids-Virus aus Zellen heraus“. Zumindest bei Mäusen und bei Zellhaufen hat das bislang funktioniert – und es war nicht nur Frank Buchholz aus Dresden, sondern auch Joachim Hauber vom Heinrich-Pette-Institut in Hamburg, dem dieser Erfolg zu verdanken ist; ihren Teams selbstverständlich auch. Und den Mäusen, denen mit HIV-kontaminierte menschliche Blutzellen gespritzt wurden.
Die Schere angesetzt
Mithilfe einer sogenannten molekularen Schere ist es den ForscherInnen gelungen, das HI-Virus aus dem Erbgut zu entfernen. Eine Sensation, denn ist das HI-Virus erst einmal in den Körper eingedrungen, setzt es sich in Zellen des Immunsystems fest und baut dort sein Erbgut ein. Bislang ein irreversibler Vorgang; die Infektion kann nicht rückgängig gemacht werden, lediglich mit regelmäßiger Einnahme von Medikamenten (HAART) lässt sich verhindern, dass sich das Virus weitervermehrt.
Gentherapien werden bereits erfolgreich in der Medizin eingesetzt, etwa im Kampf gegen Leukämie. Und zuletzt sorgte die Cripsr/Cas9-Methode für Aufsehen, eine biochemische Methode, um DNA gezielt zu schneiden und zu verändern. Doch das Forscherteam um Buchholz/Hauber geht schon länger einen anderen Weg und fand so eine Methode, mit der DNA nicht nur geschnitten, sondern auch wieder geklebt werden kann.
Das gelang ihnen mit einer evolutionären und daher zeitaufwändigen Methode: Das Enzym Rekombinase wurde von ihnen regelrecht auf das HI-Virus abgerichtet, mithilfe von Tests an Mäusen. Einen ersten Erfolg hatte das Team bereits 2007 erzielt, doch seinerzeit war die Rekombinase nur gegen ein Prozent aller HI-Subtypen wirksam. Im Jahr 2016 ist nun eine zweite, komplett neu entwickelte Schere, die gegen 90 Prozent aller Subtypen wirksam ist, einsatzbereit.
Creative Design
Bis zu diesem Durchbruch war es ein langer Weg für Frank Buchholz. Schon während des Studiums in Göttingen hatte er sich mit dem Klonen von Rattengenen beschäftigt, ungefähr zu der Zeit seiner Promotion über Rekombinasen in Heidelberg erblickte das Klonschaf Dolly das Licht der angeblich göttlichen Weltordnung. Seine erste Publikation zu der Thematik der „gerichteten Evolution“ stammt aus dem Jahr 2001. „Ja, man braucht einen langen Atem“ sagt Frank Buchholz lachend.
Er sieht auch so aus, als könnte er jederzeit bei einem Marathon mitlaufen. Im Laufe seiner Karriere hat es den gebürtigen Bremer immer wieder zu Forschungszwecken in die USA gezogen, nach San Diego und San Francisco, „eine der schönsten Städte“, sagt Buchholz. Und eine HI-Hochburg, doch Buchholz hat sich dort mehr mit Leukämie beschäftigt. Als Biologe hatte er mit Aids-Patienten oder HIV-Positiven bislang so gut wie nichts zu tun – doch die nach wie vor schwierige Lebenssituation vieler Betroffener ist ihm auch nicht unbekannt.
Wenn Buchholz längerfristig Erfolg hat, stehen die Chancen gut, dass der Krankheit irgendwann der Garaus gemacht werden kann – zumindest in den westlichen Industrieländern, wo eine entsprechende medizinische Versorgung gewährleistet wird. Doch bis es so weit ist, muss Buchholz erst einmal genug Geld auftreiben, um überhaupt weiterforschen zu können. Nachdem nun die zweite Schere funktioniert, muss sie am Menschen ausprobiert werden. „Wir machen hier ja Creative Design“, sagt Buchholz – und impliziert damit bereits die meist religiös motivierte Kritik an der Gentechnik.
Mit der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Paul-Ehrlich-Institut, steht man schon in gutem Kontakt, eine Zulassung der Versuche an Menschen ist aussichtsreich. Konkret kämen solche Probanden infrage, die einerseits das HI-Virus in sich tragen und andererseits an einem Lymphom erkrankt sind – und daher ohnehin behandelt werden müssten, die Behandlungsmethode ist gleich. „Eine solche Studie kann man regulären HIV-Positiven nicht zumuten – es gibt ja gute Medikamente, ein normales Leben ist möglich. Und eine solche Behandlung ist eben mit Risiken verbunden: Was, wenn die Schere doch woanders schneidet?“
Gates ist gescheitert
Etwa einhundert HIV-Positive erkranken im Jahr an einem Lymphom – wie viele werden bereit sein, bei einer solchen Studie mitzumachen? Und dann das Geld. Müssten die Pharmakonzerne nicht Schlange stehen? Gilead? Glaxo-Smith-Kline, wie sie alle heißen? „Nein“, sagt Buchholz, „die großen Konzerne sind da eher zurückhaltend, wenn es um Grundlagenforschung geht. Die kaufen eher, wenn es dann fertig ist.“ Trotzdem ist er optimistisch, das Geld zusammenzu bekommen, „wir haben private Investoren, die interessiert sind.“ Staatliche Gelder zu bekommen sei im Vergleich eher schwierig.
Zuletzt hatte Bill Gates Aufsehen erregt mit dem Versuch, Aids aus der Welt zu schaffen. Mit immensen Geldern brachte er eine Impfstudie auf den Weg – bislang ohne Erfolg. Frank Buchholz weiß auch, dass man vorsichtig sein muss, um nicht zu viele Hoffnungen zu schüren. „Es geht auch darum, die Prävention aufrechtzuerhalten.“ Er selbst, Jahrgang 1968, gehört der Generation Aids an, also jener Alterskohorte, für die der Gebrauch von Kondomen aufgrund von HIV zur sexuellen Biografie selbstverständlich dazugehörte.
Auf den Gängen des Instituts sieht man viele junge Mitarbeiter. „Fünfzig Prozent von ihnen stammen nicht aus Deutschland“, erklärt Frank Buchholz auf Nachfrage. Für ihn als Wissenschaftler eine Selbstverständlichkeit, nichts also, worüber man reden müsste. Wenn sich das Institut nicht in Dresden befände: „Ja, für die Außendarstellung des Wissenschaftsstandortes ist das nicht gut.“ Er meint Pegida, und so ist es ihm auch nicht mehr egal, dass seine MitarbeiterInnen aus aller Welt kommen, sondern er ist „stolz darauf, dass wir hier ein anderes Gesicht zeigen können“.
Ignorieren kann man die Zustände nicht, denn „manche Eltern sind besorgt, ob ihre Kinder denn hier auch sicher seien“. Buchholz selbst hat bislang nur gute Erfahrungen mit Dresden gemacht: „Als wir aus den USA hierherkamen, waren die Leute sehr freundlich und offen.“ Ihm ist Dresden lieber als etwa Hamburg. Die Kinderbetreuung ist besser, der Wohnraum billiger, „und das Umland ist auch sehr schön“. Er und seine Frau hätten sich auch dazu entschließen können, die Kinder in den USA aufzuziehen. Doch sie entschieden sich für Deutschland.
Lebenswertes Dresden
Ob eine Karriere in den USA nicht vielleicht vielversprechender gewesen wäre? „Nein“, sagt Buchholz ziemlich bestimmt. Braun gebrannt und locker, California Surfing oder Rudern auf der Elbe, er ist ein Typ, der überall leben und arbeiten könnte; ein moderner Mensch, der eben keine Angst vor dem Fremden hat, sondern es entdecken möchte, der nicht zurück in die Fünfziger will, sondern weiter voran, in die Zukunft. Jemand, der weniger gut aufgestellt ist, um in der Welt zu bestehen, könnte Angst vor diesem freundlichen, offenen Menschen haben.
„Das Max Planck Institut muss sich nicht verstecken. Vielleicht ist die Ausstattung hier und da mal besser in den USA. Aber insgesamt ist meine Erfahrung, dass es drüben eben auch mehr Konkurrenz gibt in der Forschung – während man sich hier eher auf die Teamarbeit einlässt“, sagt er.
Just im letzten Monat haben nun auch Forscher der Lewis Katz School of Medicine, die zur Temple University in Philadelphia gehört, eine Genschere vorgestellt, die ebenfalls geeignet ist, HIV aus menschlichen Immunzellen herauszuschneiden – mit dem Vorteil, das diese nach dem Prozess immun sind gegen Neuinfektionen mit HIV. Die Amerikaner nutzten dazu die besagte CRISPR/Cas9-Methode und sind optimistisch, nun die Nase vorn zu haben. Für Frank Buchholz ist dieser Wettbewerb jedoch keineswegs entschieden: „Die CRISPR/Cas9 Technologie ja erst seit 2012 bekannt, währenddessen Rekombinasen schon seit den 1990er Jahren in Modelorganismen sicher und effizient zum Einsatz kommen. Unsere Arbeiten sind weiterhin viel tief reichender als die Experimente, die bis jetzt mit CRISPR/Cas9 durchgeführt worden sind. So haben wir z.B. HIV-Patientenzellen in einem Mausmodel heilen können und haben eine Maus generiert, die bei ständiger Produktion der Rekombinase über die gesamte Lebenszeit hin keine Nebenwirkungen zeigte. Solche Daten liegen für das CRISPR/Cas9 System bislang nicht vor.“ Buchholz weist auch darauf hin, dass das diese Methode Doppelstrangbrüche in der DNA der Zelle aulöst, die dann von Zell-eigenen Reparaturmechanismen repariert werden müssen – ein Prozess, der nicht steuerbar sei und daher unvorhersehbare genetische Verändrungen nach sich ziehe. In der Zeitschrift “Nature“ wurde jüngst auch davor gewarnt, dass CRISRPR / Cas9 rasch zur Bildung von resistenten HI-Viren führen kann.
Wenn es nicht gerade Montagabend ist in Dresden und besorgte Bürger spazieren gehen, dann ist es im Elbflorenz eher beschaulich. Doch oben auf dem Tatzberg wird an ziemlich großen Rädern gedreht. HIV, eine der größten Geißeln der Menschheit, ist hier nur eines von mehreren Themen. „Die Bluterkrankheit ist ein weiteres Projekt. Bei Blutern sind Stücke der DNA gedreht – und wir versuchen, das wieder rückgängig zu machen.“ Alles gute Nachrichten. Und das aus Dresden.
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