Ahmad Karimi über Koran-Übersetzungen: „Ein sehr ästhetisches Buch“
Islamwissenschaftler Karimi hat eine poetische Koran-Übersetzung gefertigt. Er findet, dass man den Aussagen so weit näher kommt, als wenn man „auf Inhalt“ liest.
taz: Herr Karimi, warum brauchte die Welt eine weitere Koranübersetzung – ihre?
Ahmad Milad Karimi: Weil keine der bisherigen Übersetzungen das trifft, was ich im Koran sehe. Dieses Buch ist nicht einfach ein Informationstext, und es geht nicht um die Frage „Was steht im Koran?“ Die Frage muss vielmehr lauten: Was steht wie im Koran? Dieses „wie“ ist nie wirklich beachtet worden; die gängigen Übersetzungen, die in einer Art „Finanzamt-Deutsch“ den Inhalt wiedergeben, sind zum Gähnen. Außerdem erfassen sie nicht die grundlegende Musikalität dieses Buches, das für mich ein echtes sprachliches Ereignis ist.
Inwiefern?
Der Koran hat Klang, Rhythmus, Bewegung, Atempausen, Spannung. Auch seine Struktur ist schillernd: Er ist brüchig, arbeitet mit Wiederholungen, beleuchtet das Leben etwa von Mose oder Adam mal aus dieser, mal aus jener Perspektive. Oft wird ein Gedanke nicht zu Ende geführt. Einmal wird der Protagonist nicht erwähnt, ein anderes Mal ist das Subjekt nicht klar. Damit haben Sie einen wirklich reizvollen Text vor sich, für dessen Verständnis viel tiefgründiges Wissen – etwa über den historischen Kontext – nötig ist. Insofern ist der Koran eigentlich nicht für Laien gedacht, sondern, wie er selbst mehrfach erwähnt, für diejenigen, die ihn intellektuell verstehen.
Liefert Ihre Übersetzung entsprechende Erklärungen?
Das hätte ich tun können, aber ich habe es unterlassen, um es den Lesern nicht zu leicht zu machen. Ich will den ursprünglichen Charakter des Koran so vermitteln, dass Sie das Buch kaufen mit dem Gedanken: Jetzt lese ich den Koran in einer schönen Übersetzung und schaue mal, was drinsteht. Bei der Lektüre merken Sie, dass sie nichts verstehen und ärgern sich. Und genau das wollte ich: dass Sie sich ärgern, weil Ihre Erwartungen nicht bedient werden. Denn nur so erkennen Sie: Den Koran kann ich nicht einfach so verstehen. Genau diese unmittelbare Begegnung haben übrigens die meisten Muslime mit dem Koran. Sie rezitieren ihn, sind bewegt – aber das ist kein wissenschaftlicher Zugang, sondern ein ästhetischer.
Wie Ihre Übersetzung.
Ja. Es geht mir um Schönheit. Um die Stimmung darin. Betonung, Klangfarbe, Wortfolge – das sind wichtige Komponenten. Wenn zum Beispiel ein Mann zu einer Frau sagt: „Ich liebe dich“ ist das unglaublich langweilig, das hat man tausendmal gehört. Wenn er aber sagt: „Dich liebe ich“, wirkt es viel stärker, obwohl beide Sätze inhaltlich dasselbe bedeuten. Mit diesem Effekt spielt auch der Koran. Es macht einen Unterschied, ob da steht: „Wir haben herabgesandt vom Himmel“ – Atempause – „das Wasser“. Oder ob es bloß heißt: „Wir haben das Wasser vom Himmel herabgesandt“.
36, Philosoph, Islamwissenschaftler, Übersetzer und Autor, floh mit 13 Jahren aus Afghanistan. Zurzeit ist er Professor für islamische Philosophie und Mystik an der Uni Münster
Ist Ihre Koran-Übersetzung besonders textgetreu?
Ja. Ich habe mir sogar erlaubt, den arabischen Duktus im Deutschen nachzuahmen, soweit es grammatikalisch möglich war. Im Arabischen werden zum Beispiel die Adjektive oft nachgestellt. In gängigen Koran-Übersetzungen steht oft: „Leite uns auf dem geraden Weg“. Auf Arabisch heißt es aber: „Leite uns auf dem Weg – dem geraden.“ Sie merken: die Pause und die Wortfolge machen den Unterschied. Man weiß nicht, was für ein Weg das ist, und nach der Atempause kommt die Erlösung.
Ist Ihre Übersetzung konservativ oder liberal?
Ich würde sagen, konservativ-modern.
Jetzt sind Sie ausgewichen.
Ich bin kein liberaler Muslim, und konservativ bin ich auch nicht. Es gibt einen Weg dazwischen, das wird oft übersehen. Man kann heute postmoderne Philosophie betreiben, aber dennoch ein gläubiger Mensch sein. Ich halte Vorlesungen über deutsche Aufklärung, aber ich bete auch fünfmal am Tag. Meine Freunde fragen, wie bringst du das zusammen? Aber ich glaube, gerade dieser Widerspruch macht religiöses Leben aus.
Und wie haben Sie den Satz „Tötet die Ungläubigen“ übersetzt?
Wortgetreu. Im Koran steht nämlich: „Töte die diejenigen, die neben Gott ein Anderes stellen“. Viele Übersetzer schreiben so etwas wie „töte die Ungläubigen“. Aber der Koran verwendet das Wort „ungläubig“ nicht.
Wie ist der Satz im Original gemeint?
Das Tötungsgebot steht drin, das kann ich nicht ignorieren. Aber es ist in einem bestimmten historischen Kontext formuliert worden und nicht verallgemeinerbar. Konkret bezieht sich der Vers auf die Mekkaner, Gegner Mohammeds im Jahr 624, die die junge islamische Gemeinde in Mekka bedrohten. Der Satz ist also ein sehr situationsgebundenes Verteidigungsgebot. Die Mekkaner gibt es nicht mehr. Daher ist dieser Satz für mich nicht auf heute übertragbar.
Könnte Ihre Koran-Übersetzung islamistische Fundamentalisten friedfertiger machen?
Die Hoffnung hege ich nicht, denn diese Menschen sind ja nicht deshalb Fundamentalisten, weil sie Muslime sind. Sondern sie sind Fundamentalisten und außerdem Muslime. Und wenn sie sich ändern sollen, müssen sie Vorlesungen über Logik hören, müssen Ethik lernen. Sie wären von meiner Koran-Übersetzung sicher gelangweilt, weil sie klare Antworten suchen. Und die können sie nicht rausholen aus dem Koran, dafür ist er zu offen und verspielt. Eigentlich ist der Koran kein gutes Buch für Fundamentalisten. Die sollen was anderes lesen.
Und was bedeutet Ihnen der Koran persönlich?
Wenn ich als religiöser Mensch sprechen darf: Der Koran will von mir Demut. Liebe. Es ist kein Buch, in dem Tote und Tötung gepriesen werden, sondern ein Buch für das Leben. Er scheint eine Antwort auf Verletzlichkeit, auf Endlichkeit zu sein. Überhaupt ist der Islam eine Religion für die Verwundeten, Gescheiterten, Verletzten. Für all die, die in der Leistungsgesellschaft nicht mithalten können. Der Koran gibt ihnen ihre Menschenwürde zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!