Agrarpolitik bei der EU-Wahl: Im Land der Subventionsvampire
In Rumänien wird das Problem der EU-Agrarpolitik besonders deutlich: Subventionen fließen vor allem an große Betriebe und Multimillionäre.
Einer dieser Subventionsdraculas ist Claudiu Necşulescu. Ihm gehört Jidvei, der größte Weinerzeuger Rumäniens. Auf ungefähr 6.000 Hektar baut er nach Firmenangaben neben Wein auch zum Beispiel Weizen an. Eine riesige Fläche im Vergleich zu den nur knapp 4 Hektar, die der durchschnittliche Bauernhof in Rumänien hat. Allein seine größte Firma hat laut Handelsregister 2017 rund 3,7 Millionen Euro Gewinn gemacht. Necşulescu ist für das Wirtschaftsmagazin Forbes einer der reichsten Rumänen. Es schätzte 2010 sein Vermögen auf 68 Millionen Euro.
Im Dorf Seiden (Rumänisch: Jidvei) hat der Millionär eine luxuriös restaurierte Burg aus dem Jahr 1560. Ihre Verwalterin zeigte sie vergangene Woche stolz dem Autoren dieses Artikels und anderen Journalisten, die während einer von der EU-Kommission finanzierten Reise Agrarbetriebe in der Region besuchten.
In der Eingangshalle stehen Ritterrüstungen, in der ersten Etage liegt ein Bärenfell samt Kopf und langen Eckzähnen auf dem Boden, an der Wand hängt ein prächtiges Hirschgeweih. Es gibt riesige Gästezimmer und ein Kellergewölbe mit modernster Musikanlage. Was für ein Kontrast zu den ärmlichen, unverputzten Häusern in weiten Teilen Transsilvaniens, wo die Menschen nicht einmal fließendes Wasser haben.
Trotzdem haben 4 von Necşulescus Firmen allein 2017 insgesamt etwa 4 Millionen Euro aus den vor allem von der EU gespeisten Agrarfonds erhalten. Diese Zahlen finden sich in einer Datenbank der Regierung in Bukarest. Jidvei selbst beantwortete Anfragen der taz zum Thema nur ausweichend.
Warum päppelt die EU einen Multimillionär, der eigentlich keine Subventionen braucht? Weil sie nicht berücksichtigt, ob die Antragsteller das Geld überhaupt benötigen. Die Regeln sorgen dafür, dass die größten Betriebe das meiste Geld bekommen. Denn die wichtigsten Subventionen, die Direktzahlungen, werden pro Hektar Land vergeben. Wer viel Äcker und Wiesen hat, erhält auch mehr Hilfe vom Staat. Deshalb kassieren die 20 Prozent größten Empfänger laut EU-Kommission rund 80 Prozent der Direktzahlungen in Rumänien.
Höfesterben gefährde bäuerliche Traditionen
Dieses System bevorteilt Großgrundbesitzer und benachteiligt Kleinbauern. Das ist einer der Gründe, weshalb in Rumänien laut EU-Statistikbehörde von 2007 bis 2016 etwa 509.000 Höfe aufgegeben haben. In Rumänien wird dieses Problem der EU-Agrarpolitik besonders deutlich.
Aber es existiert auch in Deutschland: Hier bekommen 20 Prozent der Betriebe 69 Prozent der Direktzahlungen. Hier schlossen im gleichen Zeitraum rund 94.000 Höfe.
Das Höfesterben gefährde die „Identität der ländlichen Regionen“, der bäuerlichen Traditionen, sagt Mugurel Jitea, Professor an der Universität für Agrarwissenschaft und Veterinärmedizin in Cluj-Napoca (Klausenburg). Die Bauernkultur habe den Kommunismus in Rumänien trotz Kollektivierung der Landwirtschaft überlebt, unter anderem, weil sie die Bergregionen verschonte. Was der Kommunismus nicht schaffte, könnte nun der Kapitalismus erledigen.
Dass die kleinen Höfe aufgeben müssen, schadet auch der Umwelt. Studien der Universität Göttingen haben gezeigt, dass in Agrarlandschaften mit kleinen Feldern mehr Insekten- und Pflanzenarten vorkommen als in Regionen mit weitläufigen Äckern. Große Betriebe tendieren eher dazu, die für die Natur wichtigen Bäume und Hecken an den Feldrändern zu roden, um kleine Flächen zusammenzulegen. Denn größere Äcker lassen sich effizienter mit dem Traktor bearbeiten.
Die ungleiche Subventionsverteilung vergrößert auch die soziale Schieflage der Gesellschaft: Reiche werden noch reicher, Arme ärmer.
Die Wahl zum Europäischen Parlament entscheidet maßgeblich über das Thema, bei dem die EU am meisten zu sagen hat: die Agrarpolitik. Deren jährlich rund 58 Milliarden Euro Subventionen sind der größte Haushaltsposten.
CDU/CSU setzen sich vor allem dafür ein, die Direktzahlungen beizubehalten, die Landwirten pro Hektar Land und nur für das gesetzlich vorgeschriebene Minimum an Leistungen für den Umweltschutz bekommen.
fordern das Ende der pauschalen Flächenprämien. Stattdessen sollen die Bauern Geld bekommen, die mehr für die Natur tun, als gesetzlich vorgeschrieben ist.Die Linke will, dass es Fördermittel nur noch gibt, wenn die Bauern anspruchsvolle soziale, ökologische und Tierschutz-Kriterien einhalten. (
Die werden dann auch noch von ihrem Land verdrängt von Großbauern, die hohe Subventionen bekommen. Das zeigt das Beispiel des Agrarunternehmers Valentin Marginean im Ort Dâmbău (Hügeldorf), 100 Kilometer südöstlich von Klausenburg.
Er baue auf 1.400 Hektar Mais, Weizen, Raps, Sonnenblumen und Soja an, erzählt er den Journalisten in einem großen Konferenzraum seines Betriebs. Dafür bekomme er jedes Jahr von der EU 166 Euro Direktzahlungen pro Hektar, also insgesamt ungefähr 230.000 Euro.
Das meiste Land hat Marginean nach eigenen Angaben von etwa 1.000 Eigentümern aus dem umliegenden Dörfern gepachtet – überwiegend von Kleinbauern, denen jeweils 1 bis 3 Hektar gehören. Auf diesem Land haben also früher um die 1.000 Menschen gearbeitet. Heute sind es noch etwa 10 – so viele oder besser: so wenige Mitarbeiter hat Marginean.
Was mit den ehemaligen Kleinbauern passiert ist? „Sie haben aufgegeben. Nur deshalb konnten wir wachsen“, sagt Marginean. Manche hätten sich zur Ruhe gesetzt, die Jungen würden jetzt „vielleicht“ in der Industrie arbeiten – oder im Ausland. Diese Leute seien für das Dorf verloren, räumt der Agraringenieur ein: „Die Auswanderer kommen nie wieder.“
Landflucht und Migration
Der Mechanismus funktioniert also so: Großgrundbesitzer bekommen mehr Geld von der EU, mit dem sie ihre Kosten senken. Dabei produzieren sie beispielsweise die Tonne Getreide eh schon billiger als kleine Betriebe, weil sie ihre Maschinen besser ausnutzen. Am Ende können kleine Bauern nicht mehr von ihrem Land leben, überlassen es den Großen und wandern aus, zum Beispiel nach Deutschland. Die EU-Agrarpolitik produziert also auch Landflucht und Migration.
Vor seinem Bürogebäude steht der beeindruckende Maschinenpark Margineans. Acht nagelneu wirkende Traktoren hat er, ihre Reifen sind größer als die mitreisende niederländische Journalistin, also sehr groß. Auch zwei Mähdrescher warten auf dem Hof. Für solche Geräte zahlt die EU ebenfalls kräftig mit – wenn der Landwirt Tausende Euro selbst beisteuert, was kaum ein Kleinbauer kann.
Auch Marginean braucht die Subventionen nicht wirklich. „Es wäre sehr schwierig, aber wir würden es machen“, antwortet er auf die Frage, ob er auch ohne das Geld aus Brüssel arbeiten könnte. Vor dem EU-Beitritt Rumäniens im Jahr 2007 habe er das ja schon geschafft.
Dennoch findet er es fair, dass er so viel und ein Kleinbauer so wenig Geld bekommt. „Wir zahlen Steuern“, sagt Marginean. Viele kleine dagegen würden fast nur für sich selbst produzieren und deshalb kaum Abgaben zahlen. Zudem bekämen kleine Betriebe schon jetzt mehr Subventionen.
Tatsächlich nutzt Rumänien die Möglichkeit des EU-Rechts, die ersten Hektar höher zu subventionieren als den Rest. Aber das sind Peanuts: Für die ersten 5 Hektar gibt es laut EU-Kommission jeweils nur 5 Euro Zuschlag – pro Jahr. Von den 3,6 Millionen Bauern bekommen sowieso nur rund 840.000 Geld. Denn wer weniger als ein Hektar hat, darf noch nicht einmal einen Antrag stellen. Diese Grenzen kann jeder EU-Staat selber festlegen. Die Regierung in Bukarest hat sie so gezogen, dass die meisten Landwirte kein Geld erhalten, weil ihre Höfe zu klein sind.
Aber nicht alle EU-Subventionen werden sinnlos ausgegeben. Der 36 Jahre alte Agraringenieur Dan Mitre stellt gerade eine rund 100 Hektar große Obstplantage an einem Hang in Klausenburg auf Biolandwirtschaft um. Zurzeit verkauft er seine Ware komplett im Inland.
Aus dem von der EU und Rumänien finanzierten Fonds für ländliche Entwicklung hat er bereits 1,2 Millionen Euro bekommen. Damit hat er einen erheblichen Teil seiner neuen Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäume, der Plastikabdeckungen zum Schutz vor Hagel, der Bewässerungsanlage sowie einer Lagerhalle finanziert. „Ohne die EU-Fonds hätten wir diese Investitionen nicht getätigt“, sagt Mitre.
Er kennt die – wie er sagt – „populistischen“ Behauptungen, Westeuropa überweise jede Menge an Länder wie Rumänien und habe nichts davon. „Dieses Geld, das zu uns kommt, fließt zurück zu euch“, sagt Mitre der taz. „Die Bäume haben wir in den Niederlanden gekauft, die Abdeckung in Österreich, das Bewässerungssystem in Belgien.“
Auch die Traktoren und die Banken, denen er Kreditzinsen zahlt, kämen aus dem Ausland. „Ich habe nichts hier gekauft. Nur die Arbeitskraft.“ Ähnlich lief es in der Weinfabrik Jidvei: So gut wie alle Maschinen, die es mit EU-Geld bezahlt hat, kommen aus Deutschland und Italien. Der Nutzen für die Empfängerländer ist also weit geringer, als die Beträge vermuten lassen.
Mitre sagt: „Indem ich diese Plantagen hier schaffe, kann ich normalerweise 20 Leute und während der Erntezeit 100 hier halten, und sie stehlen nicht euren Job in England zum Beispiel.“
Das Problem ist: Er findet kaum noch Arbeiter. „Alle Guten haben Rumänien verlassen. Die arbeiten bei euch. Und wir haben keine Immigranten.“ Bei den Erntehelfern aus der Region wisse man nie, ob sie am nächsten Tag wiederkämen, obwohl er mehr als das Doppelte des gesetzlichen Mindestlohns zahle. „Für das, was in Holland ein Arbeiter macht, brauche ich hier vier.“ So langsam und unengagiert würden diejenigen arbeiten, die im Land geblieben sind.
Früher gab es noch genug fleißige Kleinbauern, die sich zeitweise auch auf Plantagen wie der von Mitre verdingten. Doch immer mehr dieser Landwirte werden von den Subventionsvampiren aus dem Geschäft gedrängt – und manche in die Emigration.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid