Afghanistan: Taliban verlassen ihre südliche Hochburg
In der Provinz Helmand fliehen die Taliban vor einer gegnerischen Übermacht aus Musa Qala. Der Ort im weltgrößten Opiumanbaugebiet ist von hoher symbolischer Bedeutung.
BERLIN taz Afghanische Truppen sind am Montag nach Angaben der internationalen Truppe Isaf erstmals in die seit Februar von den Taliban kontrollierte Kleinstadt Musa Qala in der Provinz Helmand im Süden Afghanistans vorgedrungen. Dies sagte der US-amerikanische Isaf-Sprecher Charles Anthony aus Kabul telefonisch der taz. Isaf stützt die erste von Afghanen geführte Offensive mit starken Kräften.
Einen Agenturbericht, dem zufolge das afghanische Verteidiungsministeriums bereits die Eroberung der Stadt gemeldet habe und es nur noch Kämpfe im Umland gebe, wollte Anthony nicht bestätigen. Ein Talibansprecher sagte jedoch Nachrichtenagenturen, die Gotteskrieger hätten sich ganz aus der Stadt zurückgezogen, um Verluste unter Zivilisten zu vermeiden.
Laut Anthony wurden bei den seit Freitag anhaltenden Kämpfen bisher zwei Isaf-Soldaten getötet. Zu Verlusten der afghanischen Armee und der Taliban wollte er nichts sagen. Am Samstag hatten Agenturen den Tod von zwei Kindern gemeldet, die offenbar ins Kreuzfeuer geraten waren, sowie mehrere getötete mutmaßliche Talibankämpfer, darunter zwei Kommandeure.
Seit Freitag führen nach Isaf-Angaben mehr als 4.000 Soldaten der USA, der Nato-geführten internationalen Isaf-Truppe und der afghanischen Armee eine Offensive gegen diesen einzigen von den Taliban bisher gehaltenen größeren Ort durch.
Gegenüber Journalisten, die sie in die kleine Stadt eingeladen hatten, hatten die Taliban in der vergangenen Woche behauptet, dass sie dort 2.000 Kämpfer hätten. Nato-Militärs gingen hingegen von nur wenigen hundert Taliban-Kämpfern aus.
Berichten zufolge hatten viele Bürger die von Paschtunen bewohnte Stadt verlassen. Dazu waren sie zuvor auf von der Isaf abgeworfenen Flugblättern aufgefordert worden. Viele Einwohner flohen in die angrenzende Wüste, wo ihnen gestern schwere Regenfälle zusetzten. Wieviele Zivilisten in der Stadt blieben, ist unklar.
Der Ort Musa Qala am Fluss gleichen Namens und im gleichnamigen, etwa 50.000 Einwohner zählenden Distrikt im Norden der Provinz Helmand ist von sehr großer symbolischer Bedeutung. Nach unerwartet schweren Verlusten im Sommer 2006 hatten britische Isaf-Militärs im Oktober desselben Jahres mit lokalen Stammesführern einen Rückzug der internationalen Truppe aus dem umkämpften Ort vereinbart. Die Stämme sollten fortan selbst für Sicherheit sorgen und die Taliban draußen halten. US-Militärs kritisierten das so genannte Musa-Qala-Protokoll als Kapitulation. Als Ende Januar 2007 ein Taliban-Kommandant durch eine US-Bombe getötet wurde, eroberte sein Bruder mit seinen Truppen kurzerhand die Stadt. Laut Taliban war der Kommandant innerhalb des entmilitarisierten Gebietes getötet worden, nach US-Angaben außerhalb. Als eine weitere Bombe darauf den neuen Taliban-Kommandeur tötete, war das Musa-Qala-Protokoll endgültig Makulatur.
Nach afghanischen Regierungsangaben baten die im Februar entmachteten Stammesführer jetzt die Armee um Vertreibung der Taliban. Helmand ist das weltgröße Opiumanbaugebiet. Viele der dortigen Distrikte werden von den Taliban kontrolliert. Die Isaf, die dort vor allem mit britischen Truppen vertreten ist, kontrollierte bisher allenfalls die Ortschaften.
Der britische Premier Gordon Brown besuchte gestern unangekündigt Afghanistan. Er traf aus Helmand kommend, wo er britische Soldaten besuchte, in Kabul ein. Am Mittwoch will er in London eine außenpolitische Rede halten, in der Berichten zufolge der afghanische Wiederaufbau betont werden soll. Auch will London seine Truppen in Afghanistan aufstocken.
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