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Afghanistan Mindestens 15 Tote bei Bombenanschlag in der Hauptstadt KabulLkw-Bombe im Morgengrauen

Im ersten Halbjahr 2015 kamen 4.921 Zivilisten zu Schaden – mehr als je zuvor

Kabul taz | Eine gewaltige Lkw-Bombe hat am frühen Freitagmorgen, dem hiesigen Wochenendfeiertag, halb Kabul aus dem Schlaf gerissen. Sie tötete nach vorläufigen offiziellen Angaben 15 Menschen, verletzte 240 und richtete große Verheerungen an. Anschlagsziel war wohl eine Geheimdiensteinheit der afghanischen Armee im Stadtteil Schah Schahid, einem dicht besiedelten Viertel südöstlich des Stadtzentrums.

In der Gegend werden mit Überwachungskameras bestückte Luftschiffe gelagert und steigen gelassen. Sie wurden von den westlichen Truppen eingeführt und gehören inzwischen zum Stadtbild.

Fast alle Opfer des Anschlags sind Zivilisten. Bis zu 1.000 Gebäude sollen beschädigt worden sein. In Schah Schahid sind selbst von mehrstöckigen Basargebäuden nur noch Betonskelette übrig. Ein afghanischer Journalist schrieb auf Twitter, es sei „vielleicht der schwerste Bombenanschlag gewesen, den ich jemals erlebt habe“.

Die Zahl der Toten und Verletzten wird wohl noch steigen, da viele Menschen unter eingestürzten Gebäuden liegen. Vor dem wichtigsten Krankenhaus für Kriegsopfer drängen sich die Menschen, die Angehörige einliefern.

Auch wenn der Anschlag kein Einzelfall war – schon am Donnerstag tötete eine Autobombe in der Nachbarprovinz Logar acht Menschen –, kommt er zu einem strategischen Zeitpunkt. Anfang Juli fanden in Pakistan erstmals direkte Friedensgespräche zwischen afghanischen Regierungs- und Ta­li­ban­ver­tre­tern statt. Die Taliban behaupten, sie seien unter falschen Voraussetzungen dorthin gelockt worden; ihnen sei Vertraulichkeit zugesichert worden. Doch sowohl Kabul als auch Islamabad machten das Treffen nur Stunden vor dem Beginn öffentlich, sodass die Taliban nicht mehr zurückkonnten. Als sie protestierten, kam die Nachricht vom Tod ihres Gründers und Anführers Mullah Mohammed Omar und sorgte für Flügelkämpfe. Die nächste Gesprächsrunde wurde abgesagt.

Außerdem ereignete sich die Bluttat, zwei Tage nachdem die UNO ihre Halbjahresstatistik über zivile Opfer des Afghanistankriegs vorlegte. Dem Bericht zufolge kamen im ersten Halbjahr 2015 so viele Zivilisten zu Schaden wie nie zuvor: 4.921, davon 1.592 Tote und 3.329 Verletzte.

Damit starben in diesem Jahr bisher täglich im Durchschnitt neun Zivilisten, und 18 wurden verwundet. Der Anteil der Frauen und Kindern stieg dabei um 23 beziehungsweise 13 Prozent. 70 Prozent aller Opfer gingen auf das Konto der Taliban und anderer Aufständischer.

Als indirekte Folgen konnten 491.832 Kinder wegen Unsicherheit nicht gegen Polio geimpft werden, und weitere 103.000 Afghanen wurden aus ihren Wohnungen vertrieben. Die Zahl der Binnenflüchtlinge stieg dadurch auf fast ein Million.

Thomas Ruttig

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