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Afghanischer Verlag setzt Zeichen auf der Buchmesse„Menschen weinen mit uns“

Der afghanische Verlag Aazam präsentiert auf der Frankfurter Buchmesse keine Bücher. „Wir wollen zeigen, dass wir trauern“, sagt Yalda Abassi.

Leerer Stand: Yalda Abassi vom afghanischen Verlag Aazam auf der Frankfurter Buchmesse Foto: Ulrich Gutmair
Ulrich Gutmair
Interview von Ulrich Gutmair

taz: Frau Abassi, Sie sitzen am Stand Ihres Verlags Aazam, es ist der einzige aus Afghanistan, aber ohne Bücher. Hinter ihnen hängt ein Banner, auf dem zu lesen ist: „No books this year!“ Warum?

Yalda Abassi: Ich denke, jeder weiß, wie es derzeit um Afghanistan bestellt ist. Aus einer politischen Krise ist eine humanitäre Krise geworden. Wir nehmen seit sieben Jahren an der Buchmesse teil. In diesem Jahr hatten wir keine Hoffnung. Wir wollten anfangs gar nicht zur Messe kommen. Wie können wir hier Bücher ausstellen, während zu Hause die Menschen hungern?

Nun sind Sie aber hier.

Im Interview: 

Yalda Abassi ist Repräsentantin des Verlags Aazam in Europa. Der Verlag publizierte medizinische und politische Bücher.

Da haben wir erst vor einigen Tagen beschlossen. Wir leben noch. Es ist nicht unsere Schuld, dass die Bücher nicht hier sein können. Die Bücher sind ein Symbol für Bildung und Kultur. Auch wenn sie verschwinden: Wir sind noch da. Wir lieben Bücher, wir glauben an Kultur, also müssen wir hier präsent sein. Wir wollen den Menschen auf der Welt zeigen, dass wir trauern.

Sie hätten Ihre Bücher präsentieren können, aber haben sich dafür entschieden, ein Zeichen zu setzen.

Ja. Die Bücher unseres Verlags befinden sich in Frankfurt. Aber wir wollen sie nicht zeigen, weil unser Herz blutet. Es ist nicht die Zeit, um Bücher zu präsentieren. Wir glauben, dass Bildung und Kultur das Wichtigste im Leben sind. Aber die Lage ist so schlecht, dass selbst die Bücher jetzt an zweiter Stelle kommen.

Kommen viele Leute zu Ihrem Stand?

Viele besuchen uns. Das ist sehr bewegend. Oft kommen Menschen und weinen. Sie umarmen uns. Sie sind in ihrem Herzen getroffen und zeigen uns ihre Solidarität. In einem gewissen Sinn ist das unsere beste Buchmesse, weil wir so viel Aufrichtigkeit erleben.

Welche Bücher hat Ihr Verlag publiziert?

Der Verlag hat ursprünglich medizinische Bücher veröffentlicht, weil unser Gründer Medizin studiert hat und weiterhin als Arzt arbeitet. In den vergangenen Jahren hat sich das Spektrum erweitert, wir haben vor allem politische Bücher verlegt. Wir haben auch Bücher aus dem Ausland übersetzt.

Welche Hoffnung verbinden Sie mit Ihrem Auftritt hier auf der Messe?

Wir erwarten nichts. Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber dennoch hoffen wir. Vielleicht wird unser Handeln einen Schmetterlingseffekt haben. Wenn man das Richtige zur rechten Zeit und am richtigen Ort tut, kann anderswo ein Tornado entstehen. Wir haben in den letzten Tagen auf der Messe Menschen getroffen, die mit uns geweint haben, und das gibt uns viel Kraft. Was wir hier tun, wird irgendwo auf der Welt etwas bewirken. Aber politisch wird es nichts ändern.

Kann Ihr Verlag in Afghanistan noch arbeiten?

Die Maschinen stehen still. Unsere Mitarbeiter sind im Wartemodus. Sie arbeiten nicht, und wir haben keine Hoffnung, dass die Lage in der nahen Zukunft besser werden wird. Wir hoffen, dass es auf lange Sicht besser wird.

Wie stellt sich die Lage in Afghanistan aus Ihrer Perspektive heute dar?

Die Hälfte der Bevölkerung, also Mädchen und Frauen, können nicht zur Schule gehen. Die andere Hälfte ist nicht genug gebildet, um ein Interesse an Büchern haben zu können. Davon abgesehen sind die Menschen derzeit damit beschäftigt, zu leben und nicht zu sterben.

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1 Kommentar

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  • Eine gute und richtige Aktion. Die Menschen in Afghanistan dürfen nicht vergessen werden.



    Wenn schon das Aussenministerium und das Innenministerium zusammen mit dem Entwicklungsministerium ihre Versprechen gegenüber den bedrohten Verbündeten nicht einhält und im Gegenteil unserem Gevater Seehofer nichts besseres einfällt als Pushbacks an der Europäischen Grenze gegenüber den nun zu Flüchtlingen gewordenen Nichtgeholfenen zu begrüßen, wo er doch Wochen vorher nicht fähig genug war die Menschen von dort mit rettenden Maßnahmen zu schützen.



    Demnächst sind das dann wiedermal alles Terroristen - auch wenn sie zuvor für uns als Übersetzer, Lehrer, Fahrer, usw. gearbeitete und versucht haben eine Demokartie aufzubauen. Hauptsache das populistische Narrativ passt.